Richard Ford: "Die Demokraten sind um nichts besser als die Republikaner"
Richard Ford kommt zu spät zum Zoom-Termin. Stromausfall. „New Orleans fällt auseinander. Hier funktioniert nichts.“ Jetzt hat er noch schnell den Hund aus dem Arbeitszimmer befördert und es kann losgehen.
Hinter dem Schreibtisch drängt sich eine Affenmaske ins Bild, sie hängt gut sichtbar an der Wand. „Jeder braucht eine Affenmaske. Vielleicht setz’ ich sie dann auf.“ Tut er aber nicht. Er erzählt lieber über das „pretty“ Österreich, wo er früher öfter zu Gast war, lästert ein bisschen über Bill Clinton, der seinerzeit das Kulturbudget reduziert hat („Und das von einem Liberalen!“) und wir sind mitten im Gespräch über Frank Bascombe, den Protagonisten und Erzähler seines neuen Romans „Valentinstag“, dem Ford nun bereits den fünften Roman gewidmet hat.
KURIER: Frank Bascombe begleitet Sie seit fast 40 Jahren. Was bedeutet er Ihnen?
Richard Ford: Alles, was er in den fünf Romanen erzählt. Darüber hinaus: nichts. Er ist ein Instrument, um Romane zu schreiben. Er glaubt nicht einmal an dieselben Dinge wie ich. Also, manchmal vielleicht doch. Aber wenn ich so darüber nachdenke, fällt mir dieser Satz des Dichters Philip Larkin ein: „Hinter aller Literatur liegt ein Verlangen nach Vergessen.“ Ich glaube auch, dass in den Menschen ein Verlangen liegt, jemand anders zu sein. Oder in jemand anderem zu leben und so Dinge zu sagen oder zu tun, die einem sonst nicht möglich sind. Nicht immer, aber manchmal. Puppenspieler, Schauspieler oder Porträtmaler können dieses Bedürfnis, aus sich selbst herauszutreten und manchmal ein anderer zu sein, befriedigen. Ich wäre gerne Puppenspieler geworden.
Frank Bascombe hat nun seinen fünften Roman. Ein anderer berühmter Serienheld der US-Literatur, John Updikes Harry „Rabbit“ Angstrom, starb im vierten Roman. Wie denken Sie darüber, Ihren Helden sterben zu lassen?
Das geht nicht, weil er ja der Erzähler seiner eigenen Story ist. Wobei, man könnte das vielleicht wie im Film „Sunset Boulevard“ machen, wo der Erzähler gleich zu Beginn tot im Swimmingpool gefunden wird und selbst aus dem Jenseits kommentiert.
Updikes Held Harry Angstrom war Republikaner. Ihr Frank Bascombe hasst die Republikaner, aber die Demokraten mag er auch nicht sehr.
Stimmt. Ich würde niemals ein Buch von einem Demokraten erzählen lassen! Die sind doch genauso engstirnig wie die Republikaner. Dieser Tage bin ich bei der jährlichen Buchmesse in Mississippi. Der ehemalige Vizepräsident Mike Pence kommt auch, weil er ein Buch geschrieben hat. Und die Demokraten wollen das verhindern! Das darf doch nicht wahr sein! Die Demokraten sind um nichts besser als die Republikaner. Sie wollen canceln und zensurieren.
Frank Bascombe hatte schon bisher kein einfaches Leben. Krankheit, Scheidung, Tod eines Sohnes. Und jetzt hat sein jüngerer Sohn mit 47 die unheilbare Krankheit ALS bekommen. Warum tun Sie ihm das an?
Zunächst: Weil ich es kann. Ich wollte wissen, was ich schreiben kann. Und dann wollte ich, dass er in seinen späten Jahren etwas hat, gegen das er kämpfen muss, damit er sein Glück einfordern kann. Im Sinne von: Gut ist die Abwesenheit von Böse.
Gegen Ende zitieren Sie den Dichter Anthony Trollope. In seiner Autobiografie schreibt er, im Leben gebe es einen so großen Kummer, dass allein die Angst davor zu einer „Legierung von Glück“ wird.
Das ist sehr zwiespältig. Ich habe mit meiner Frau darüber diskutiert, sie ist nicht meiner Meinung, aber ich glaube, es bedeutet, dass es eine Form von Unglück gibt, die das Glück nicht verringert, sondern stärken kann.
Zu Beginn des Buches sagt Frank, dass Glück ihm nicht viel bedeutet. Das ändert sich, als sein Sohn krank wird. Warum?
Ich glaube, die meisten Menschen nehmen vieles für selbstverständlich, so lange es ihnen halbwegs gut geht. Erst Krisen bringen sie zum Nachdenken.
Frank macht sich Gedanken über diese jungen Autoren, die alle so brillant und clever sind und immer zu wissen scheinen, was genau was im Leben hervorruft. Ist das ernst gemeint? Und ist das überhaupt die Aufgabe von Literatur?
Literatur kann tun, was immer sie will. In der Literatur, die ich schreibe, lese und unterrichte, geht es immer um Konsequenzen. Konsequenzen von Dingen wie Liebe, Verlust, Bedauern, Hass, Verlangen. Diese Folgen, von denen wir glauben, wir kennen sie schon, zu beschreiben: Das suche ich in meinem Schreiben und das suche ich auch in der Literatur, die ich lese. Was die Frage betrifft, ob denn die jungen Autoren tatsächlich alle so brillant sind: Ich überlasse Ihnen die Antwort. Ich lese viel junge Literatur. Vieles ist Mist. Und vieles ist gut. Manchmal lese ich auch Bücher von Autoren, die tatsächlich smarter sind als ich und dann bin ich immer sehr beeindruckt. Aber es kommt nicht oft vor (lacht).
Sie haben in den 1990ern einen Winter in Berlin verbracht, kannten viele deutsche Autoren, Günter Grass etwa und Martin Walser, der jetzt gestorben ist. Er war einer der letzten, die noch große gesellschaftspolitische Debatten auslösen konnten. Sehen Sie da noch jemandem? Ist diese Zeit vorbei?
Naja, vielleicht Michel Houellebecq. Auch mein vor Kurzem verstorbener Freund Martin Amis war so ein Autor, der Debatten auslöste. Ich will aus Büchern lernen. Wenn ich Unterhaltung suche, dann drehe ich den Fernseher auf. Aber leider ist es heutzutage so, dass, wenn ein Buch Kontroversen auslöst, entweder die Rechte oder die Linke es verhindern will. Ich weiß, dass das jetzt nicht genau Ihre Frage war. Aber ich mag meinen Reflex nicht, der mir sagt, auf Ihre Frage mit „Nein, die Zeit der großen Debatten ist vorbei“ zu antworten. Ich will das einfach nicht wahrhaben. Ich kann Ihnen aber ehrlich gesagt auch niemanden heutzutage nennen wie Günter Grass oder Nadine Gordimer.
Sie kannten Grass und Gordimer auch persönlich von Treffen bei Ihrem italienischen Verleger Feltrinelli in Mailand.
Ja, Gordimer konnte mich nicht leiden, obwohl sie nie ein Buch von mir gelesen hat. Aber sie gehörte, wie Günter Grass, zu den Autoren, über die man weltweit sprach, die etwas auslösten! Wenn ich heute etwa an die USA denke, an erfolgreiche Autoren wie Jonathan Franzen oder Richard Powers: Ihre Bücher sind toll und sie inspirieren sicher zum Dialog mit ihren Lesern. Aber darüber hinaus? Das sehe ich nicht. Das hat möglicherweise auch mit den individuellen Ansprüchen der Autoren von heute zu tun. Das ist eine große Frage, über die wir hier sprechen, die in viele Richtungen geht.
Zum Beispiel?
Die ganze Frage der politischen Correctness, die Frage der kulturellen Aneignung. Sie arbeiten gegen den Impuls, kontroversielle Bücher zu schreiben. Wenn man der Meinung ist, dass ich, ein alter, weißer, heterosexueller Mann, kein Buch über eine junge, lesbische Frau schreiben darf, weil ich keine junge lesbische Frau bin – dann, na ja, zuerst einmal ist das vollkommen verrückt. Aber ich weiß von meinen Studenten, dass diese Frage sie umtreibt, dass sie besorgt darüber sind, dass man ihnen sagt, sie hätten kein Recht, ein Buch über dieses oder jenes zu schreiben. Das erstickt aber die Bücher, die wir brauchen, im Keim! So viel politische Konversation in dieser Welt, Feminismus und Wokismus etwa, die sehr wichtige und notwendige Anfänge haben, wird über kurz oder lang Machtpolitik, um die andere Seite zum Verstummen zu bringen. Und das mag ich nicht, das bedauere ich und ich habe leider keine einfache Antwort auf Ihre Frage. Aber das alles hat irgendwie damit zu tun, warum heutzutage keine Bücher mehr geschrieben werden, wie Martin Walser oder Nadine Gordimer sie sie schrieben. Weil die literarische Landschaft eine Landschaft der Machtpolitik wurde. Es geht nur mehr darum: Wer darf was sagen. Und vor allem: Wer darf was nicht sagen. Was für ein Mist!
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