Mircea Cărtărescu: „Als würde mir eine unsichtbare Kraft diktieren“
Das Publizieren ist nicht die Hauptsache. Mircea Cărtărescu geht es darum, mit Büchern zu leben. Bücher zu schreiben, sagt der rumänische Schriftsteller, sei für ihn so etwas wie eine Ehe – oder zumindest ein längeres Zusammenleben.
Die Idee für seinen jüngsten Roman, den ausschweifend-barocken „Theodoros“, hatte Cărtărescu bereits vor Jahrzehnten. Geschrieben hat er an dem 672-Seiten-Buch für seine Verhältnisse relativ kurz – zwei Jahre. An seiner Trilogie „Orbitor“ arbeitete der 68-Jährige 14 Jahre.
„Theodorus“ ist so etwas wie ein anachronistischer Historienroman. Irgendwie geht’s um einen äthiopischen Kaiser, der sich im 19. Jahrhundert mit den Briten angelegt und den es auch tatsächlich gegeben hat. Bloß, dass damals gewiss keine Drachen in Form von Coca-Cola-Flaschen auf dem Himmel herumflogen. König Solomon und die Königin von Saba kommen vor und am Ende heißt es, die Welt würde im Jahr 2041 untergehen. Wie gesagt, das meiste ist Fantasie.
Er hat den Roman so geschrieben, wie er es immer tut. Ohne innezuhalten, ohne zurückzuschauen und ohne zu wissen, was ihn auf der nächsten Seite erwartet. „So mache ich das immer, aber diesmal war ich glücklicher. Dieser Roman zeigt eine nettere Seite von mir, im Vergleich zu den strengen, metaphysisch-philosophischen Büchern von früher.“
„Nette Seite“ ist relativ. Der Roman ist wunderschön, aber auch finster und blutrünstig. Flauberts „Salambo“, Thomas Manns „Josef und seine Brüder“, und „Tausend und eine Nacht“ haben ihn beeinflusst. Ein dunkles, aufregendes, exotisches Buch ist es geworden.
Ein ganz normaler Kerl
Das vor wenigen Wochen erschienene Werk bekam euphorische Kritiken. Aber verkauft es sich auch gut? „In Spanien, Italien und Frankreich ist der Roman ein Phänomen. In Spanien, wo er vor zwei Monaten herausgekommen ist, ist er schon bei der dritten Auflage.“ Trotzdem ist auch Cărtărescu nicht verborgen geblieben, dass der Buchmarkt insgesamt schrumpft und immer weniger Menschen lesen. „Im Prinzip ist mir das egal. Ich werde immer schreiben, auch wenn ich keine Leser finde. Das ist mein Leben. Schreiben ist für mich auch keine Tortur, wie für viele andere Schriftsteller, sondern ein Vergnügen. Es geht mir leicht von der Hand, es ist beinahe, als würde mir eine unsichtbare Kraft etwas diktieren, als wäre ich in Trance oder unter Hypnose. Eigentlich bin ich ein ganz normaler Kerl, aber wenn ich mich an meinen Schreibtisch setze, verändere ich mich komplett. Ich tauche in den Roman ein und vergesse alles um mich herum.“
Sein jüngeres Selbst
Deshalb, sagt er, interessiert es ihn eigentlich auch nicht besonders, wer die Menschen sind, die seine Bücher lesen. „Allerdings wäre es natürlich schön, so viele wie möglich zu erreichen“.
Auch Konkurrenz fürchtet er keine, außer der des eigenen, jüngeren Selbst. Schreiben wie vor 20 Jahren würde er gerne, denn man wird beim Schreiben nicht besser, glaubt er. „Es ist wie mit dem Kinderkriegen: Das siebente Buch ist nicht besser als das erste. Und man mag auch die weniger wichtigen Bücher. Manche Bücher sind wie lebenswichtige Organe, andere bloß wie ein kleiner Finger. Aber wer will sich schon den kleinen Finger abschneiden, nur, weil er nicht überlebenswichtig ist. Ich habe jede Menge weniger wichtige Bücher geschrieben, ich liebe sie alle.“
Unabhängig davon, ob er gerade ein wichtigeres oder ein weniger wichtiges Buch veröffentlicht hat, wird Cărtărescu immer wieder als Nobelpreisträger gehandelt. Jetzt ist es wieder nichts geworden. Ist er enttäuscht? „Es ist vielmehr so, dass ich die Entscheidungsgrundlagen nicht nachvollziehen kann. Nach welchen Kriterien wählt diese Jury aus? Niemand weiß das, ich glaube, es ist Zufall. Es war ja schon der erste Preisträger, Sully Prudhomme, ein zweitklassiger Autor.“
Und dann gibt es da die Nobelpreisträger, die zwar nicht als Schriftsteller, aber als politische Individuen umstritten sind. In einem KURIER-Interview 2023 meinte Cărtărescu, das sei unwesentlich, denn Preise würden für Literatur und nicht für gutes Benehmen vergeben. Heute sieht er das anders. „Ich möchte das revidieren. Wir leben in einer so gefährlichen, dunklen Welt, dass mir ethische Koordinaten immer wichtiger werden. Gute Menschen sind mir lieber als schlechte, egal, was ihr Job ist und ob sie ein Genie sind oder nicht. Ich hätte es geliebt, wenn der französische Autor Céline kein Faschist und Antisemit gewesen wäre. Aber er war es und das beeinflusst heute auch sein Werk für mich, ich kann ihn nicht mehr mit demselben Vergnügen lesen. Ich habe meine Meinung dazu geändert. Wir sehen die Wiederauferstehung des Bösen überall auf der Welt, deshalb bin ich verpflichtet, ein weniger ausgeprägter ästhetischer Fundamentalist zu sein, als ich es war. Und mehr auf Charakter und Moral zu achten. Es ist nicht genug, ein guter Künstler zu sein.“
Und was ist mit den Lesern? Ist es ihm wichtig, was für Menschen das sind? „Ich bin ein Nischen-Schriftsteller, ich bin nicht jedermanns Geschmack, das weiß ich und ich will das auch nicht, ich will nicht von Millionen gelesen werden. Aber die paar Tausend, die mich lesen, geben sich der Literatur wirklich hin. Ich habe nie Zugeständnisse beim Schreiben gemacht, ich bin mir immer treu geblieben und ich glaube, dass meine Leser das schätzen. Ich stelle mir meine Leser als gute Menschen vor. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie Populisten oder Antisemiten sind. Jemand, der andere hasst, kann niemals Gefallen an meinen Büchern finden, davon bin ich überzeugt.“