Mircea Cărtărescu: Blumen des Bösen
Vorab eine Triggerwarnung. Nicht, weil hier so viel Blut fließt. Das auch, schon ab Seite eins wird es echt grauslich mit den Schilderungen des Lebens unter den langen Fingernägeln des Tyrannen Theodoros.
Gewarnt muss jedoch vielmehr davor werden, diesen „Theodoros“ für einen lupenreinen historischen Roman zu halten und nebenbei historische Daten zu recherchieren. Vergessen Sie’s.
Der Rumäne Mircea Cărtărescu, immer wieder als Kandidat für den Nobelpreis genannt, verdichtet hier die Geschichte des Kaisers von Äthiopien (1855 bis 1868) sowie allerhand Dazuerfundenes zu einem rauschartigen, schaurig-schönen, wortgewaltigen Tableau. Hut ab an dieser Stelle vor Übersetzer Ernest Wichner und danke an die Herausgeber für das Glossar, dem man entnehmen kann, was „Exorassen“, „Fif-Fir“ und „Tella“ sind.
Schießpulver statt Salz
Der Protagonist dieses Schwergewichts von einem Roman ist der Schrecken in Person. Er streut Schießpulver statt Salz auf seine Speisen, er mordet, pfählt, vergewaltigt, unterjocht. Beherrscher der Welt wollte er einst werden, doch der Posten war schon vergeben – an Christus im Himmel und Königin Victoria auf Erden.
Vielleicht ist es ja auch dem historisch belegten Theodoros so ergangen. Der wurde in Äthiopien geboren, stammte aus einfachen Verhältnissen, schlug sich als Räuber durch, bevor er sich 1855 zum „König der Könige“ von Abessinien krönen ließ. Cărtărescus Roman setzt am Ende der sogenannte Britischen Äthiopienexpedition von 1868 ein, die in die Schlacht um Magdala mündete. Anstatt zur Geisel der Briten zu werden, erschießt sich Theodorus, dieser „Mann des Blutes“. Ab hier wird seine Geschichte im Roman aufgerollt. Der Erzähler spricht ihn beschwörend mit „du“ an, was eine starke Sogwirkung erzeugt. Cărtărescus Theodorus stammt aus der Walachei, dem südlichen Teil des heutigen Rumäniens. Geboren als Kind zweier Diener am Hofe eines großen Bojaren, wird ihm schon bei der Geburt prophezeit, dass er Kaiser werden wird. Die Prophezeiung wird zur Obsession. Mit 17 Jahren macht er sich auf in die Welt, schreibt seiner Mutter Briefe aus der Levante und dem Orient über sein abenteuerliches Leben und seine grausamen Taten.
Nach zwanzig Wanderjahren kommt er in Abessinien an, nimmt am „Krieg der Fürsten“ teil und übernimmt die Macht – als berühmter Kaiser Theodoros II. von Abessinien. Inmitten dieses mehr oder weniger realistischen Rahmens erzählt Cărtărescu zugleich die Geschichte von König Salomon, der Königin von Saba und ihrem Sohn Menelik, der laut dem äthiopischen heiligen Buch Kebra Nagast die Bundeslade, den heiligen Kultgegenstand der Israeliten, aus Jerusalem stahl und nach Abessinien brachte.
Unterhaltungsliteratur ist das natürlich nicht. Cărtărescus kraftvolles, fantastisches, romantisch-düsteres Schreiben ist anspruchsvoll. Es wird oft mit jenem des Argentiniers Jorge Luis Borges verglichen, dem Erfinder des magischen Realismus. Hier drängt sich allerdings eher Charles Baudelaire mit seinen „Blumen des Bösen“ auf: Cărtărescu beschwört die Schönheit des Grauens. In Wahrheit braucht er aber keine Vergleiche. Mircea Cărtărescus Schreiben steht für sich. Es ist einzigartig.