Was wird aus den Origami-Kranichen?

Was wird aus den Origami-Kranichen?
Milena Michiko Flašar schreibt in wieder von den ganz großen, von den letzten Dingen

Der Hamster ist ihr Lieblingsmensch. Suzu, 25, hat und will nichts, außer dem Nager nachts in seinem Hamsterrad zuzuhören. Und den halbtauben Nachbarn, die vor dem Fernseher um die Wette schreien. Die Emoji-gespickten Nachrichten der Mutter ignoriert sie, das Studium hat sie hingeschmissen, den Job als Kellnerin wegen Empathielosigkeit verloren und von einer Internet-Bekanntschaft wird sie sang- und klanglos stehen gelassen. Geghostet.

Was wird aus den Origami-Kranichen?

Milena Michiko Flašar: „Oben Erde, unten Himmel“. Wagenbach.  304 Seiten. 27,50 Euro

KURIER-Wertung: Viereinhalb von fünf Punkten

Suzu ist ambitionslos, doch die Miete muss bezahlt werden und dass sie kein Talent fürs Zwischenmenschliche hat, glaubt sie mittlerweile selbst. Also bewirbt sie sich als Putzfrau. Als sie bei einer ominösen Reinigungsfirma anheuert, hat Suzu keine Ahnung, worum es geht. Herrn Sakais Putztrupp ist auf das Reinigen von Kodokushi-Schauplätzen spezialisiert. So nennt man in Japan den einsamen Tod. Auf Menschen, die oft lange Zeit unbemerkt in ihrer Wohnung liegen, machen in der kalten Jahreszeit weder Gerüche noch Insekten aufmerksam. Erst mit dem Frühling kommt die olfaktorische Herausforderung. Ein Fall für Herrn Sakai, der hier seinen Traumberuf gefunden hat. Er ist der Nachlassverwalter der einsamen Seelen, grüßt die Verstorbenen, wenn er ihre Wohnung betritt, und wird Suzus Lehrmeister in Sachen Empathie.

Milena Michiko Flašar, Tochter einer japanischen Mutter und eines österreichischen Vaters, hat über einsame Männer auf einer Parkbank geschrieben („Ich nannte ihn Krawatte“) und über einen Mann, der sich in der Pension Existenzfragen stellt. („Herr Katō spielt Familie“). Auch in „Oben Erde, unten Himmel“ geht’s um die ganz großen Fragen. Um den Unterschied zwischen Einsamkeit und selbst gewähltem Alleinsein und zwischen Diskretion und Empathielosigkeit. Um das Altwerden und darum, wie es ist, wenn sich jemand „nach und nach aus der Welt geschlichen hat“. Um die Frage: Was bleibt? Herr Sakai übergibt den Verbliebenen sogenannte Erinnerungsboxen: Darin sind Origamikraniche, eine Medaille im Leistungsschwimmen 1974, eine Baseballkappe.

Zart, diskret und eindringlich zugleich ist Flašar auch diesmal wieder. Sie erzählt von vergessenen Menschen und solchen, die ein Auto mieten, nur um still darin zu sitzen. Um einen Ort für sich zu haben. BB