Familie kritisiert Kehlmann-Roman über G. W. Pabst
Im Herbst 2023 hat Daniel Kehlmann mit dem Roman „Lichtspiel“ über den österreichischen Regisseur G.W. Pabst Aufsehen erregt. Pabst hat in der Stummfilmzeit gefeierte Meisterwerke geschaffen („Die freudlose Gasse“,1925, „Die Büchse der Pandora“, 1929), aber er hat auch während der NS-Zeit in Deutschland Filme gedreht, was seine Reputation nachhaltig beschädigt und ihm den Ruf eines Opportunisten eingebracht hat. Der Schriftsteller Daniel Kehlmann hat diese Geschichte fiktional angereichert und daraus ein Buch über Kunst und Korruption gemacht, das der Rowohlt Verlag mit den Worten „Durch Erfindung die Wahrheit hervortreten lassen“ bewirbt.
Die Familie des Regisseurs ist mit diesem Verfahren und der Darstellung von G.W. Pabst gar nicht einverstanden. Sie hat Kehlmann und den Verlag kontaktiert, einen Anwalt eingeschaltet und sich letztlich außergerichtlich geeinigt. Ein nun vorliegender Vergleich sieht vor, dass in künftigen Auflagen die Fiktionalität des Werkes deutlicher gemacht wird. Die Diskussion um Kehlmanns Roman ist auch aus literaturhistorischer Sicht interessant. Sie wirft die Frage auf: Ist alles legitim, bloß weil das Wort „Roman“ auf dem Cover steht? Kehlmann habe sich bei seinen Recherchen nicht an die Familie gewandt, sie habe erst kurz vor dem Erscheinen des Roman davon erfahren. „Wir wurden vor vollendete Tatsachen gestellt“, so Enkel Daniel Pabst im Gespräch mit dem KURIER. „Das Hauptproblem liegt in der Rezeption des Romans. Es wird nahegelegt, dass Pabst ein Nazi-Günstling war und einer seiner Söhne ein Nazi. Kehlmann wird als Experte verstanden und es ist im Buch nur sehr schlecht ausgewiesen, dass es sich dabei um Fiktion handelt.“
Die Rechtsberatung der Familie sieht in dem Roman eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte. Trotzdem will die Familie dagegen nicht rechtlich vorgehen. Was ihr allerdings wichtig ist: „Es muss klar sein, dass es sich bei dem Buch um Fiktion handelt. Das war bisher nicht der Fall. Man sagte uns: ,Es steht Roman drauf, das muss reichen“. Dass Kehlmann uns nie bei seinen Recherchen kontaktiert hat, bedauern wir sehr. Umso mehr hätten wir uns erwartet, dass der Rowohlt Verlag genau prüft, welche engen Verwandten noch am Leben sind“, sagt Pabst-Enkelin Marion Jaros. Was sie besonders stört: „Dass wir als Familie in der Öffentlichkeit jetzt wahrgenommen werden, als wären wir Nachkommen von Nazis und könnten die schwierige Vergangenheit nicht akzeptieren.“
Außer Streit steht, dass G.W. Pabst im Auftrag des NS-Regimes Filme gedreht hat. „Das kann natürlich keine Bagatelle sein. Auch dann nicht, wenn diese Filme keine Propaganda für das Regime enthielten.“ Besonderer Stein des Anstoßes ist die im Buch aufgestellte Behauptung, dass Pabst bei Dreharbeiten für den Film „Der Fall Molander“ 800 KZ-Häftling eingesetzt habe. Dafür gibt es keine Belege. Problematisch sei nicht nur, dass die Nachfahren nunmehr in einem anderen Licht gesehen werden, sondern auch, was diese Darstellung für das Werk von Pabst bedeute. Denn das mache seine Aufklärungsarbeit, die er nach dem Krieg mit Filmen wie „Der Prozess“ und „Der letzte Akt“ betrieben habe, unglaubwürdig. Die Familie ist nicht allein mit ihrer Kritik. Filmhistoriker wie Martin Koerber, ehemaliger Leiter des Filmarchivs der Berliner Kinemathek, bezeichnen Kehlmanns Buch gar als „skandalös“, das Leben von G.W. Pabst werde „auf dem Altar der Kunst geopfert.“
Kehlmanns Intention sei es nicht in erster Linie gewesen, über G.W. Pabst als Person zu schreiben, sagt Marion Jaros, sondern über die Demoralisierung von Künstlern unter totalitären Regimen. „Dafür musste allerdings unser Großvater herhalten. Er hätte sicher Künstler finden können, die tatsächlich moralisch vor einem totalitären Regime eingeknickt sind, anstatt unserem Großvater ein Nazivergehen anzudichten.“
Dennoch gibt man sich nun versöhnlich: Das Leben von G.W. Pabst war lange vergessen. Daniel Kehlmann hat es nun mit seinem Roman „Lichtspiel“ ins Zentrum des öffentlichen Interesses gerückt. Der Rowohlt Verlag und die Pabst-Erben haben in der Sache zu einem einigenden Abschluss gefunden. Es wird am Ende des Romans ein Satz hinzugefügt, der die Fiktionalität des gesamten Werkes deutlicher macht. „Wir hätten uns noch mehr Deutlichkeit gewünscht“, sagt Marion Jaros und ihr Bruder Daniel Pabst fügt hinzu: „Wir sind nicht wutentbrannt. Aber wir wollen daran arbeiten, dass in der Öffentlichkeit ein differenzierteres Bild entsteht.“