Der eingeschlafene Film wird wach

Kurt Tucholsky mit seiner FrauMary Gerold
Kurt Tucholsky schrieb ein Drehbuch für Regisseur G.W. Pabst. Es schlummerte im Nachlass.

Selbst kurz vor seinem Selbstmord mit Schlaftabletten fiel ihm zum Thema Kino das Wort "langweilig" ein.

Kurt Tucholsky notierte 1935 als seinen eigenen Nachruf: "Er ging leise aus dem Leben fort, wie einer, der eine langweilige Filmvorführung verlässt, vorsichtig, um nicht andere zu stören."

Ein großer Verehrer des Kinos war er nicht, der große Satiriker, Kritiker, bestbezahlte deutsche Journalist seiner Zeit.

Band 15

Filmwissenschaftler Michael Töteberg fand in Tucholskys Werk Bemerkungen wie:

"In einem Kino an der Madeleine läuft ein Tonfilm. Lassen Sie ihn laufen."

Und wenn schon, dann wollte er Hollywood. Denn in deutschen Filmen erkannte Tucholsky früh rechte Propaganda. Er war Prophet, was die Politik, nicht aber die Zukunft des Films betraf.

Es überrascht, dass im Nachlass ein Drehbuch schlummerte. 80 Jahre schlummerte es, bevor es im Band 15 der 21-bändigen Gesamtausgabe auf den Seiten 400 bis 462 Platz fand.

Und so gut wie unbekannt blieb.

Jetzt ist dankenswerterweise die "Auskoppelung" erfolgt. Der Rowohlt Verlag brachte "Seifenblasen" als eigenes Buch heraus.

Der Film erwacht. 49 kurze Szenen vermittelt beim Lesen Bilder aus den Zwanzigerjahren. Tragikomische.

Sitzt die arbeitslose Barbara auf einer Parkbank und liest in der Zeitung Stellenangebote (und dergleichen): "Suche für meinen Freund eine Gattin, die ihm Lebensgefährtin, Sonnenschein und Mutter seiner acht Kinder sein kann. Goldner Lebenshumor Vorbedingung, Aktaufnahmen erwünscht ..."

Als "Panter"

Kurt Tucholsky schimpfte unter seinem Pseudonym Ignaz Wrobel über die Filmwirtschaft. Und als "Peter Panter" schrieb er das Drehbuch für die unabhängige, sich gegen den aufkommenden Nationalsozialismus stellende Nero-Film.

Der österreichische Regisseur G.W. Pabst ("Die freudlose Gasse" mit Greta Garbo) hatte ihn dazu gedrängt. Doch verließ Pabst die "Nero" Richtung Frankreich, und das Unternehmen musste 1933 nach Hitlers Machtergreifung die Produktion einstellen.

Kabelsalat

Ein "eingeschlafener Film" also – mit diesem entzückenden, verzwickten Inhalt: Barbara versucht, im Varieté unterzukommen. Zuerst als Nummerngirl, dann hat sie die Idee, sich als Mann auszugeben, als der Herr Paulus ... der Damen imitiert. Das verwirrte die Herzen.

Kurt Tucholsky hatte auch schon die Couplets fertig.

Man weiß bei dir nie, wie man dran ist – / ob du ein Mädchen oder Mann bist – / Ich rate rechts – ich rate links – / kleine Sphinx! kleine Sphinx! ...

Das stärkste Bild entsteht, Szene 34, in einer Baugrube: Arbeiter verlegen dicke Telefonkabel, dann ist Mittagspause, und die Kabel beginnen zu reden. Drei Paare machen sich Rendezvous aus ... Damit vermied Tucholsky sprechende Köpfe; und damit Langeweile im Kino.


Kurt Tucholsky:
„Seifenblasen“
Nachwort von Michael Töteberg.
Rowohlt Verlag. 128 Seiten. 10,30 Euro.

KURIER-Wertung: ****

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