David Sedaris: „Es ist mir egal, wenn Sie sich beleidigt fühlen“
Man müsse sich gut überlegen, wofür man kämpfe, riet David Sedaris in einer Rede vor Hochschulabsolventen. Wer Sturmgewehre verbieten wolle, habe seine hundertprozentige Unterstützung. Nicht jedoch, wer die Entfernung eines Balthus-Gemäldes aus dem Metropolitan Museums fordere, weil man darauf die Unterwäsche der dargestellten Person sehen kann. „Es geht darum, weniger mit den Taliban gemein zu haben, nicht mehr.“
David Sedaris kann Waffenfreaks und Extremrechte nicht leiden. Die Cancel Culture aber auch nicht.
Mitte der 1990er ist der 66-jährige US-Autor bei uns mit seinen schrägen autobiografischen Erzählungen „Nackt“ berühmt geworden. In freundlichem Plauderton gab er darin und auch in den folgenden Büchern Ungeheuerliches über seine exzentrische Familie preis und machte sich in Kolumnen und Essays Gedanken über Gott und die Welt. Wobei er, gelinde gesagt, gerne irritiert. Das mag er auch in der persönlichen Begegnung. „Wann haben Sie Ihre Eltern das letzte Mal nackt gesehen“ gehört zu seinen Standardfragen an wildfremde Leute.
Zwei neue Bücher ("Bitte lächeln“ und "Kleine Happen:Tagebücher 2003–2020", beide bei Luchterhand erschienen) führten Sedaris vergangene Woche im Rahmen einer Lesereise nach Wien, wo er im Gartenbaukino Auszüge aus seiner skurrilen Lebenschronik las, Witze erzählte und mit großer Begeisterung die Grenzen des guten Geschmacks auslotete. Der KURIER traf Sedaris zum Interview und sprach mit ihm über Triggerwarnungen, schlechten Humor und Waschsalons.
Zur Begrüßung überrascht Sedaris mit einigen deutschen Sätzen mit unerwartetem Inhalt: „Meine Schuhe sind sehr teuer.“ (Sie sind von Comme des Garçons. Sedaris liebt diese japanische Designmarke, er schreibt viel darüber.) Dann sagt er: „Ich lerne gerade Deutsch. Deutsch ist wie Englisch, nur umgekehrt, das mag ich.“
KURIER: Nachdem Sie eine Affinität zur deutschen Sprache haben kennen Sie vielleicht deutsche Comedians wie Harald Schmidt und Otto Waalkes. Deren alte Shows werden jetzt mit Triggerwarnungen versehen. Könnte Ihnen das auch passieren?
David Sedaris: Ja, sicher. Erst kürzlich warf mir jemand vor, dass es für meine Lesung keine Triggerwarnung gab. Aber man weiß halt nie, was andere triggern könnte. Ich könnte beispielsweise von schlimmen Zahnschmerzen erzählen und es würde sich gewiss jemand finden, der davon beleidigt wäre, weil er vielleicht auch schon einmal Zahnweh hatte. Als ich jung war, habe ich als Weihnachtself im Kaufhaus Macy’s gearbeitet. Jedes Jahr gab’s ein Theaterstück und jedes Jahr kam ein neues Wort daraus auf den Index. Plötzlich bat man uns, das Wort „Fremder“ aus dem Text zu nehmen, denn es könnte sich jemand ausgeschlossen fühlen. Auch „zurückgeblieben“ darf man jetzt nicht mehr sagen, dabei wüsste ein wirklich „Zurückgebliebener“ doch gar nicht, dass er gemeint ist.
Hochschulabsolventen haben Sie unlängst den Rat gegeben, sie sollten sich eine Sache aussuchen, die sie wirklich beleidigt, statt sich über alles aufzuregen. Was ist denn Ihre eine Sache, die Sie wirklich aufregt?
Tiere mit Sonnenbrillen. Das ist peinlicher Humor.
Sie teilen in alle Richtungen aus, Minderheiten werden auch nicht ausgespart.
Warum sagen Sie denn das?
In einem Ihrer letzten Essaybände schreiben Sie über eine Schlägerei zwischen einem Schwulen und einem Rollstuhlfahrer um einen Behindertenparkplatz.
Ach ja, das habe ich mal für eine Essaysammlung von schwulen Autoren geschrieben. Mein Protagonist wird aber nicht gehasst, weil er schwul ist, sondern weil er ein Trottel ist. Die Geschichte hat dem Autorenkollektiv nicht gefallen, sie wurde abgelehnt, man wollte lieber Geschichten, wo die Schwulen heldenhaft sind.
Denken Sie, dass Sie weniger kritisch gesehen werden, weil Sie selbst diversen Minderheiten angehören? Sie sind schwul, Ihre Eltern kommen aus einer griechischen Einwandererfamilie.
Ach ich weiß gar nicht, was Sie haben. Die Leute sagen ständig zu mir, ich könne dieses oder jenes nicht auf der Bühne sagen, aber ich weiß nicht, wovon die reden. Wenn man heute in den USA einen gewöhnlichen Job hat, darf man gar nichts mehr sagen. Sie dürfen nicht einmal mehr sagen, „das ist ja keine Raketenwissenschaft“, denn dann könnte Ihr Gesprächspartner vielleicht denken, Sie finden ihn dumm. Dafür könnten Sie gefeuert werden. Es ist kein Menschenrecht, nicht beleidigt zu werden. Wenn Sie sich von mir beleidigt fühlen, ist mir das egal.
Sie sagen, Sie hassen das Wort „queer“.
Ja, heutzutage hat es jeglichen Sinn verloren. Kürzlich las ich von einer Frau, die sich aufgrund ihrer Körpergröße als „queer“ bezeichnet. Und unlängst traf ich eine Mutter, die stolz darauf war, dass ihre zwölfjährige Tochter „queer und asexuell“ sei. Das ist total verrückt. Die Frau sollte einfach froh sein, dass ihre Tochter mit zwölf keinen Sex hat.
Sie werden oft eingeladen, an Universitäten zu sprechen. Gerade in den USA sind viele Unis „woke“. Hatten Sie da noch nie Probleme?
Eigentlich nicht. Nur unlängst wurde ich ausgebuht, weil ich gesagt habe, dass man Kinder schlagen darf. Ich finde, ich sollte fremde Kinder hauen dürfen.
Sie schreiben seit 35 Jahren über Ihre Familie. Nach dem Tod Ihrer Mutter und Ihrer Schwester ist nun auch Ihr Vater 98-jährig gestorben. Haben Sie keine Sorge, dass Ihnen der Stoff ausgeht?
Der einzige Grund, warum ich überhaupt noch eine Beziehung mit meinem Vater hatte, war der Schreibstoff. Er war ein schrecklicher Typ.
Sie sind viel unterwegs. Haben Sie den Eindruck, dass Ihr Humor ortsspezifisch anders wahrgenommen wird?
Ja, aber noch mehr als vom Ort hängt das von Klassen und auch vom Alter ab. In New Yorker Verlegerkreisen wird überhaupt nur mehr geflüstert, aus Angst, etwas Falsches zu sagen. Anderswo wird schallend gelacht, vor allem, wenn sich die Menschen in der Dunkelheit der Theater, in denen ich lese, unbeobachtet fühlen.
Wie gehen eigentlich die Verlage mit der neuen Sensibilität um?
Mittlerweile ist es bei uns gang und gäbe, sogenannte „sensitivity readers“ einzusetzen, die den Text auf mögliche Beleidigungen abklopfen. Aber auch das ist sehr subjektiv: Der gleiche Text kann von zwei „sensitivity readers“ verschiedener Generationen völlig unterschiedlich wahrgenommen und beurteilt werden. Auch bei mir haben sie so etwas probiert, ich habe aber alle Änderungen verweigert. Ich glaube, das ist vor allem ein USA-Ding.
Auch bei uns gibt es ähnliche Debatten. Die Übersetzung der Gedichte der schwarzen US-Poetin Amanda Gorman hat für Diskussionen gesorgt. Dass ursprünglich eine weiße Person mit der Übersetzung beauftragt wurde, wurde scharf kritisiert.
Ich bin wirklich gespannt, wohin das noch führen wird. Dazu fällt mir die aktuelle Debatte um den Leonard-Bernstein-Film ein, in dem Hauptdarsteller Bradley Cooper eine Nasenprothese trägt. Ihm wird „jewfacing“ vorgeworfen und dass er die Rolle als Nicht-Jude überhaupt angenommen habe. Das scheint in den USA gerade die Botschaft zu sein: Bleib in deiner Spur, du darfst nur über dich selbst und deine eigene Erfahrung sprechen. Ich bin aber jetzt in einem Alter, wo ich sagen kann, das ist alles nur eine Modeerscheinung.
Wie kriegen Sie so was eigentlich mit? Sie sind ja nicht auf Social Media.
Stimmt, würde ich gecancelt, bekäme ich es wohl nicht einmal mit. Hin und wieder kriege ich einen bösen Brief, der Rest zieht an mir vorüber. Ich weiß nicht einmal, wie Twitter aussieht. Ab und zu ruft mich mein Verleger an und sagt, es gibt einen Shitstorm, aber ich kann auch nichts dafür, wenn Leute zu blöd sind, meine Texte richtig zu lesen. Und ich gehöre nicht zu den Menschen, die ihr Leben am Handy verbringen, ich lebe lieber analog. Ich schreibe täglich in mein Tagebuch und frage mich: In welchem Moment fühlte ich mich am lebendigsten? Das ist mir wichtiger als irgendwelche Twitter-Schlachten.
Sie reisen viel, sind aber kein großer Sightseeingfan. Was machen Sie stattdessen?
In Waschsalons gehen. Unlängst in Zürich habe ich einen fantastischen Streit beobachtet. Alle Waschmaschinen waren besetzt und eine Frau hat sehr lange sehr laut am Handy telefoniert, während ihre Wäsche längst fertig war. Der Typ hinter ihr hat einfach ihre Maschine geöffnet und ihre Wäsche rausgeholt. Sie ist völlig ausgeflippt. Fantastisch war das. Ich liebe Waschsalon-Kämpfe.
Was machen Sie sonst noch auf Reisen, außer Waschsalons besuchen?
Shopping. In Zürich habe ich gerade 500 Franken für Postkarten ausgegeben. Und natürlich kaufe ich gerne Schuhe.
Können Sie sich an ein Mitbringsel aus Österreich erinnern?
Ja. Eine geschnitzte antike Jesusbüste. Hat 10.000 Euro gekostet. Ich bin nicht sehr an Jesus interessiert, aber der ist einfach sehr schön. Steht bei mir daheim auf dem Klavier.