David Sedaris schreibt auf, wenn er in seinen Mund schaut

David Sedaris
Ein Geschenk für Leser, die Schmerz spüren wollen: Notizen aus Tagebüchern.

Heute Morgen habe ich die Frau im Bademantel zum Klohäuschen schlurfen sehen.

Das war jetzt ein Zitat.

Das war die Tagebucheintragung vom 11. September 1977, als sich David Sedaris in Odell, Oregon, befand.

Und das war am 30. November 1996 bei ihm los:

"Helen rief an und fragte, ob ich etwas Soße wolle."

Hammer

Der Amerikaner Sedaris ("Das Leben ist kein Streichelzoo") ist Kult. Für einige. Angeblich sind seine Geschichten sogar gut gegen Depressionen.

Für andere ist er stark überschätzt und eigentlich eine Belästigung.

Er verschenkt im aktuellen Buch, aus dem er kürzlich in Wien vorlas, sozusagen seine Notizen aus den Jahren 1977 bis 2002. Was wohl bedeutet, dass auf die Sammlung "Wer’s findet, dem gehört’s" eine zweite folgen wird, für die Zeit bis 2017.

Danke, Sedaris.

Denn jetzt weiß man, wie interessant Karl Ove Knausgård vergleichsweise seinen Alltag beschrieben hat. Der Norweger hat immerhin geliebt und gekämpft und gesoffen und masturbiert.

David Sedaris beobachtet jemanden beim Schlurfen zum Klo.

Oder, auch bemerkenswert: "Heute Nachmittag ist mir ein Hammer auf den Kopf gefallen" (10. März 1986, Chicago).

Bzw, der großartige 23. Februar 2000, schon wieder ein Hammer: "Gestern Abend betrachtete ich zum ersten Mal seit drei oder vier Jahren meinen geöffneten Mund im Spiegel."

Und? Was hat er Schönes gesehen?

"Ich war nicht auf die vielen Lücken vorbereitet."

Über seine Gefühle schreibt David Sedaris nichts. Gefühle, so bekennt er im Vorwort, seien nicht so interessant. Nicht einmal für ihn selbst.

Der beste Witz im Buch.

Insgesamt hat der 60-Jährige 156 Tagebücher vollgeschrieben, eine Manie von ihm, und warum er ausgerechnet die nun veröffentlichten Passagen ausgesucht hat, bleibt für immer sein Geheimnis.

Auf dem Buchumschlag der deutschen Ausgabe steht: "Er erklärt uns nicht, wie sich die Welt für ihn anfühlt, er zeigt uns die Welt, und damit auch, was ihn wirklich ausmacht."

Doch nicht etwa der Hammer?

In Großbritannien gab es einen Journalisten (von der Wochenzeitung The Spectator), der bei diesem Schriftsteller "Anklänge von Truman Capote oder Tennessee Williams hört".

Das ist der zweitbeste Witz.

Traue nie Kritikern. Nur dir selbst, maximal dir selbst.

David Sedaris: „Wer’s findet, dem gehört’s“
Übersetzt von
Georg Deggerich.
Blessing
Verlag.
608 Seiten.
25,70 Euro.

KURIER-Wertung: **

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