Belvedere-Chefin Rollig: „Ich gebe gar nichts auf, im Gegenteil!“
Kommenden Dienstag, am 8.12., werden das Obere Belvedere und das Belvedere 21 wieder öffnen. Das Untere Belvedere bleibt jedoch bis ins Frühjahr 2022 geschlossen: Es wird um 5,8 Millionen Euro saniert und technisch adaptiert.
KURIER: Umbauten hätten Sie auch ohne Pandemie auf den Weg gebracht. Muss sich aber das Museum als solches nicht massiv umstellen? Ich meine nicht nur das Belvedere, sondern auch andere Häuser, die bisher starken Tourismusbetrieb hatten.
Stella Rollig: Tatsächlich hat die aktuelle Krise dazu geführt, dass das Belvedere in diesem Jahr nur noch 20 Prozent seiner Besucherinnen und Besucher im Vergleich zum Vorjahr hat. Das ist natürlich dramatisch. An dem Diskurs am Beginn der Krise hat mich die Abwertung des touristischen Publikums irritiert und gestört. Da konnte man hören und lesen, dass die „Museen, die sich dem Tourismus angebiedert haben“, jetzt schauen können, wo sie bleiben – es war eine schadenfrohe Note zu spüren. Von einer Anbiederung kann aber keine Rede sein! Auch wenn man sich keinen „Overtourism“ wünschen kann, ist Tourismus aus der Perspektive der Bildung, der Weltoffenheit, des Austausches gut und wichtig. Ich würde mich selbst ungern als eine Besucherin zweiter Klasse fühlen, die ja „nur“ Touristin ist. Und die Menschen werden wieder das Bedürfnis haben, zu reisen, andere Menschen zu treffen und Dinge zu sehen. Aber es wird vielleicht nicht so ganz bald sein, voraussichtlich nicht 2021, und vielleicht nicht in dem Ausmaß, wie es bisher der Fall war.
Die Museen sollen nun dafür sorgen, dass Menschen, die hier leben, mehr ins Museum gehen. Sie tun es aber nicht wirklich.
Wenn wir unser eigenes Verhalten und die Gesellschaftsgeschichte ansehen, müssen wir anerkennen, dass der Besuch von Museen zunehmend an ein touristisches Verhalten gekoppelt worden ist. Sehr viele Menschen gehen auf Reisen in Museen, auch wenn es ihnen nie einfallen würde, in ihrer eigenen Stadt eines zu besuchen. Das kann das Museum allein nicht wirklich ändern. Aber wir können natürlich trotzdem etwas tun – allein schon, weil ich überzeugt bin, dass ein Museum als Kultur- und Bildungsinstitution bei der lokalen Bevölkerung akzeptiert sein muss. Die Menschen, die hier leben, sollen stolz auf diese Einrichtung sein und froh sein, dass sie gibt. Das Belvedere ist in den letzten Jahren stark in diese Richtung gegangen – mit freien Freitagabenden, Tagen der offenen Tür oder Arbeit in der Nachbarschaft des Belvedere 21, für die wir eine eigene Kuratorin engagiert haben.
Dennoch habe ich ein wenig den Eindruck, dass Sie die Hoffnung, die lokale Bevölkerung in breitem Ausmaß zu erwischen, etwas aufgegeben haben.
Die Frage ist: Was ist das breite Ausmaß? Im Jahr 2019 waren rund 280.000 Besucher und Besucherinnen des Belvedere aus Österreich, 250.000 davon aus Wien. Das ist nicht wenig. Zeitgenössische Kunst und die „Im Blick“-Reihe im Oberen Belvedere sind vor allem ans lokale Publikum gerichtet. Und da haben wir von den digitalen Aktivitäten noch gar nicht gesprochen. Ich gebe gar nichts auf, im Gegenteil!
In Großbritannien oder in Frankreich scheint es dennoch verbreiteter zu sein, ein Museum einfach als Aufenthaltsraum zu sehen. Warum ist das so?
Den Eindruck habe ich auch in Deutschland – wenn ich dort an einem Wochentags-Nachmittag in ein Museum gehe, sind da Bürgerinnen und Bürger, die sich in Gruppen verabreden, um Ausstellungen anzusehen. Das ist in Österreich nicht so üblich. Ich denke, dass in diesen Ländern auch seitens der Regierung mehr Nachdruck gesetzt wird. In den 1990er Jahren haben wir alle nach Großbritannien geschaut: Da wurden Museumsförderungen an der Beurteilung der Vermittlungsprogramme ausgerichtet. Fördertöpfe waren ausschließlich für Community Work gewidmet. Es gibt eine Behörde, die die staatliche Kunstsammlung das ganze Jahr durchs Land touren lässt. In Österreich hat die Kulturpolitik in den letzten Jahrzehnten – man muss das so weit fassen – kaum Interesse daran gezeigt, die vermittelnden, partizipativen und integrativen Aspekte der Museumsarbeit zu fördern. Belohnt wird eigentlich immer die hohe Besucherzahl.
Sie hatten gegen die Rekord-Besucherzahlen des Belvedere zuletzt aber auch nichts einzuwenden.
Wir haben diesen Erfolg aber auch sehr gut genutzt. Das Belvedere 21 – mit 7 bis 8 Wechselausstellungen, einem Diskursprogramm und den erwähnten Nachbarschaftsaktivitäten – das haben, wenn sie es zugespitzt ausdrücken wollen, die Touristen bezahlt. Auch die baulichen Maßnahmen konnten wir zu einem Teil aus diesen Einkünften bestreiten.
Im Moment fließt Geld vom Staat im Krisenbekämpfungsmodus an Museen. Aber es braucht danach eine kulturpolitische Weichenstellung, um die Aufgaben der Museen anzupassen. Was schwebt Ihnen da vor?
Die Definition dessen, was ein Museum ist, ist gerade ein sehr aktuelles Thema, im internationalen Verband ICOM werden darüber hitzige Debatten geführt. Es gibt die Initiative, die Definition stark zu erweitern, in Richtung von mehr Partizipation und einer aktiven Mitarbeit an den Problemen der Welt.
Der Entwurf nennt die Arbeit an sozialer Gerechtigkeit, Gleichheit und Wohlergehen des Planeten. Eigentlich sollen Museen die Welt retten!
Man muss acht geben, sich nicht darüber lustig zu machen. Ja, die Formulierungen scheinen teilweise pathetisch – aber im Grunde ist das die Richtung, in die Museen gehen sollen und müssen. Es gibt noch keine Museumsdefinition, an der sich die Kulturpolitik orientiert. Politik ist immer auch das Sprechen über Dinge und das Vorleben von Haltungen. Ich wünsche mir, dass Politikerinnen und Politiker selbst auch zeigen, welche Bedeutung die Museen haben. Diese Übersetzungsleistungen müssen von dieser Museumsvision getragen sein. Wenn der Politiker, die Politikerin immer nur die Ausstellung eröffnet, auf der ein Blockbuster-Name steht, ist das nur die Bestärkung des Old-School-Modells.
Doch was wäre eine Investition in die Zukunft?
Ich würde diesen Wunsch nach Haltung unabhängig vom Finanziellen sehen wollen. Die Museen bekommen eine Basisdotierung, deren Widmung die Geschäftsführung mit ihrem Kuratorium abstimmt. Daran sollte nicht gerüttelt werden, sonst gibt es keinen Gestaltungsspielraum mehr. Die Galerienförderung, die vielen Museen und damit auch Galerien, Künstlerinnen und Künstlern zugutekommt, als fix gewidmetes Budget aufzustocken, das würde ich aber sofort befürworten.
Wie kann man sich die nächste Zukunft im Belvedere vorstellen? Zuletzt gab es eine Aufteilung auf Sonderschauen im Unteren Belvedere und kleineren Ausstellungen neben der Sammlungspräsentation im Oberen Belvedere.
Diese Balance wird gezwungenermaßen etwas verschoben werden. Eine Lovis-Corinth-Personale und eine Ausstellung, die erstmals die Dürerzeit in Österreich beleuchten wird, werden aufgrund des Umbaus im Unteren Belvedere nun im Oberen Belvedere stattfinden; wir machen dazu einen Sammlungsflügel frei. Zumindest für ein Jahr wird so ein Status hergestellt, an den sich ältere Wienerinnen und Wiener vielleicht noch erinnern, weil früher im Unteren Belvedere das Barockmuseum war. Wir werden das aber nur temporär tun. Da wir so viel wie möglich von der Sammlung herzeigen wollen und das im Oberen Belvedere tun, hat sich die bisherige Aufteilung sehr gut bewährt.
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