Berlinale: Goldener Bär an spanisches Drama, Erfolg für Österreich

Berlinale: Goldener Bär an spanisches Drama, Erfolg für Österreich
Ruth Beckermanns Mutzenbacher-Projekt wurde als bester Film der Sparte "Encounters" gewürdigt. Mit Kurdwin Ayubs "Sonne" wurde ein weiterer Beitrag aus Österreich ausgezeichnet.

Alexandra Seibel aus Berlin

Das  Rätselraten hat ein Ende: Der Goldene Bär für den besten Film der Berlinale hat in Spanien ein neues Zuhause gefunden. Die Regisseurin Carla Simón konnte mit ihrem vielschichtigen, leise implodierenden Familiendrama „Alcarràs“ die  Preis-Jury unter dem Vorsitz von Hollywoods Mystery-Meister M. N. Shyamalan überzeugen.

Erzählt aus vielen Perspektiven, entwirft „Alcarràs“  das feinfühlige Porträt  einer schwer arbeitenden, spanischen Bauernfamilie, die seit jeher ihre Sommer auf einer Pfirsichplantage in Alcarràs, einem Dorf in Katalonien verbringt. Doch der Besitz ihres Hauses steht auf dem Spiel, ebenso wie die Bäume, die durch Solarpaneelen ersetzt werden sollen.   

Mit ihrem zweiten Spielfilm schlug die 36-jährige Katalanin die Bären-Konkurrenz aus dem Feld – darunter leider auch den österreichischen Regisseur Ulrich Seidl, dessen vorzügliches Schlagerporträt „Rimini“ im Wettbewerb leer ausging.

Preis für "Sonne"

Trotzdem wurde Seidls Name gleich zu Anfang der Live-Gala-Premiere in Berlin genannt – und zwar in der Dankesrede von Kurdwin Ayub, deren spritziger Teenfilm „Sonne“  von  Seidls Filmfirma produziert worden war und den  Preis für den besten Erstlingsfilm erhielt.

GERMANY-FILM-FESTIVAL-BERLINALE

Kurdwin Ayub

Kurdwin Ayub, 1990 im Irak geboren und in Österreich aufgewachsen, erzählt in „Sonne“ von     drei jungen Mädchen in Wien – eine davon kurdische Muslimin –, die mit  Burka in einem Musikvideo auftreten und so etwas wie YouTube-Stars in der muslimischen Community werden.

Frauenporträts

Der Große Preis der Bären-Jury ging an einen  alten Berlinale-Bekannten, den südkoreanischen Regisseur   Hong Sangsoo. „The Novelist’s Film“, ein hintergründig-vergnügliches  Porträt einer frustrierten Schriftstellerin, die an Schreibblockade leidet und zur Auflockerung ihrer müden Psyche  einen Film drehen möchte, lief als letzter Beitrag im Wettbewerb und setzte einen leichtfüßigen Schlusspunkt.

Den Preis der Jury erhielt  eine Regie-Newcomerin,die der cinephilen Fangemeinde als Schauspielerin in dem Film „Unsere Zeit“  ihres  Ehemannes  Carlos Reygadas  bekannt ist: Natalia López Gallardo arbeitet zudem als Filmeditorin und wurde  mit ihrem mexikanischen Langfilmdebüt „Robe of Gems“ gleich in den Wettbewerb der Berlinale geladen. Ein starkes Frauenensemble beherrscht Gallardos somnabules Drama, in dem eine mexikanische Kleinstadt, gefangen im Griff der Drogenkartelle, von latenter Gewalt durchsetzt wird. 

 

Claire Denis beste Regisseurin

Mit dem Silbernen Bären für beste Regie gewann schließlich eine weitere Frau einen wichtigen Berlinale-Preis –  die Veteranin Claire Denis mit ihrem Dreiecksdrama „Both Sides of the Blade“, mit Juliette Binoche in der Hauptrolle.

Im Jahr 2020 hatte der künstlerische Leiter Carlo Chatrian eine neue Programmschiene vorgestellt: „Encounters“ („Begegnungen“) zeigt experimentelle, wagemutige und innovative Filme. Heuer ging der begehrte „Encounters“-Preis für den besten Film an die österreichische Dokumentarfilmemacherin Ruth Beckermann für ihre facettenreiche Doku „Mutzenbacher“. 

Besetzungscouch

Zuletzt hatte die renommierte Regisseurin mit  „Waldheims Walzer“ auf der Berlinale Premiere gefeiert; dass auch „Mutzenbacher“ hier laufen würde, damit habe sie nicht gerechnet, beteuert  Beckermann in ihrer Dankesrede und betont,  wie wichtig es sei, den jeweils „anderen anzusehen “.

Berlinale 2022 - Preisverleihung

Ruth Beckermann mit ihrem Preis

In „Mutzenbacher“ legt die Regisseurin ihren Blick auf eine Gruppe von Männern, die während eines angeblichen Castingprozesses auf einer Besetzungscouch Platz nehmen und Textstellen aus dem berühmten Wiener Erotikroman von Felix Salten vorlesen. Bei der Gelegenheit geben sie tiefe Einblicke in ihren Vorstellungen von Sexualität – und den Verunsicherungen von Männlichkeit.

Insgesamt wurden  heuer viele der  großen Auszeichnungen an Regisseurinnen vergeben, und auch die beiden Genderneutralen Preise für beste Haupt- und Nebenrolle erhielten zwei Frauen,

Damit ging nach knapp einer Woche Spielzeit und trotz Omikron die Berlinale verkürzt, aber stark zu Ende. Die Entscheidung, das Festival unter strengen Vorsichtsmaßnahmen in Live-Präsenz abzuhalten, hatte sich als richtig und insgesamt als relativ sicher erwiesen und wurde vom  Berliner Publikum mit vielen Besuchen belohnt  –  trotz Krisenmodus.  

Festival geht noch weiter

"Für einen Festivaldirektor ist jeder Film so etwas wie sein Kind", zollte der künstlerische Leiter der Berlinale, Carlo Chatrian, allen 256 Werken der heurigen Ausgabe seinen Respekt. Deren Projektion hatte am 10. Februar mit der Eröffnung der 72. Berlinale unter strengen Coronahygienevorgaben gestartet. Und die Maßnahmen hielten. Zwar gab es kleinere Rückschläge, als etwa Frankreichs Schauspielstar Isabelle Huppert am Dienstag kurzfristig nicht zur Verleihung des Goldenen Ehrenbären nach Berlin reisen konnte, da die 68-Jährige einen positiven Coronatest erhalten hatte.

Im Großen und Ganzen bewährte sich jedoch das Konzept einer 50-Prozent-Besetzung der Säle, einer täglichen Testpflicht für das Fachpublikum und einer Verkürzung des Festivals auf sechs Tage. Nach der heutigen Preisgala geht die Berlinale nun für das Publikum weiter, das noch bis 20. Februar Werke aus dem Programmtalon sehen wird können.

AUSZEICHNUNG

GEWINNER/IN

Goldener Bär für den besten Film

"Alcarràs" von Carla Simón

Silberner Bär Großer Preis der Jury

"So-seol-ga-ui yeong-hwa" ("The Novelist's Film") von Hong Sangsoo

Silberner Bär Preis der Jury

"Robe of Gems" von Natalia López Gallardo

Silberner Bär für die beste Regie

Claire Denis für "Avec amour et acharnement" ("Both Sides of the Blade")

Silberner Bär für die beste Hauptrolle

Meltem Kaptan in "Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush"

Silberner Bär für die beste Nebenrolle

Laura Basuki in "Nana" ("Before, Now & Then")

Silberner Bär für das beste Drehbuch

Laila Stieler für "Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush"

Silberner Bär für herausragende künstlerische Leistung

"Everything Will Be Ok" von Rithy Panh

Goldener Bär für den besten Kurzfilm

"Trap" von Anastasia Veber

Bester Film in der Sektion Encounters

"MUTZENBACHER" von Ruth Beckermann

Beste Regie in der Sektion Encounters

"Unrueh" von Cyril Schäublin

Bester Erstlingsfilm des Festivals

"Sonne" von Kurdwin Ayub

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