Die Berlinale geht heuer früher zu Ende. Der Hauptpreis, der Goldene Bär, wird pandemiebedingt bereits nach nur knapp einer Woche Spielzeit verliehen – und ein gewisses Maß an Aufatmen lässt sich nicht verleugnen. Zwar wurde das Filmfestival, das trotz vielfacher Kritik als Präsenzfestival stattfand und vom Berliner Publikum kräftig frequentiert wurde, keineswegs zur befürchteten Virusschleuder, im Gegenteil: Tägliche Besuchertestungen ergaben, dass nur zwei Prozent der durchgeführten Tests – also eine vergleichsweise niedrige Zahl – positive Ergebnisse aufwiesen. Trotzdem war die Erleichterung, die mit dem absehbaren Ende der Berlinale zunehmend eintrat, deutlich spürbar.
Der mit großer Freude erwartete Ehrengast der Berlinale, die französische Schauspielerin Isabelle Huppert, war positiv auf Covid getestet worden. Infolge dessen konnte sie nicht nach Berlin anreisen, um den Goldenen Ehrenbären für ihr Lebenswerk entgegenzunehmen. Ihr Filmpartner, der deutsche Schauspiel-Allrounder Lars Eidinger, musste seine Lobrede vor einem zugeschalteten Videobild halten.
Schade nur, dass die Berlinale keinen besseren Film als das verhuschte Drama „À propos de Joan“ gefunden hat, um die große Französin zu ehren. In „À propos de Joan“ spielt Eidinger den deutlich jüngeren Liebhaber von Isabelle Huppert. Der Altersunterschied wird nicht problematisiert – und das ist auch schon das Beste, was man über Laurent Larivières Film sagen kann.
Altersunterschied
Mit einem viel jüngeren Mann bekommt es auch die österreichische Schauspielerin Sophie Rois in dem zünftigen deutschen Wettbewerbsbeitrag „A E I O U – Das schnelle Alphabet der Liebe“ zu tun. In der heiteren Erzählung von Regisseurin Nicolette Krebitz, die zuletzt mit ihrem ungewöhnlichen Liebesfilm „Wild“ auffiel, wird Sophie Rois in der Rolle einer zugeknöpften Schauspielerin namens Anna von einem jungen Burschen die Handtasche gestohlen.
Kurze Zeit später wird sie dazu engagiert, einem Problemschüler Sprechunterricht zu geben. Und plötzlich sitzt ausgerechnet der Taschendieb – er heißt Adrian – vor ihrer Nase.
Zwischen dem Schüler und seiner knapp sechzigjährigen Lehrerin entsteht ein seltsam komplizenhaftes Verhältnis, das sich während lautmalerischen Vokalübungen vertieft. Von einander fasziniert, unternimmt das ungleiche Paar einen Trip an die Côte d’Azur und übt sich in Brieftaschenklau.
Krebitz übernimmt ihren leichtfüßigen Tonfall aus der Kinogeschichte, irgendwo zwischen französischer Nouvelle Vague und Hitchcocks „Über den Dächern von Nizza“. Newcomer Milan Herms als Adrian wirft sich ordentlich ins Zeug, um seiner älteren Gefährtin zu imponieren. Mit unterschwelligem Humor und verhaltener Energie lässt sich Sophie Rois vom Liebesglück niederringen.
Krisen
Beziehungen lösen sich auch in den Schweizer Alpen auf, wo Regisseur Michael Koch in seinem kargen, wunderschön fotografierten „Drii Winter“ das Zerbrechen einer Ehe mit den Jahreszeiten auf der Hochalm synchronisiert.
Familien droht das Dach über dem Kopf zu verschwinden – wie etwa in dem zweiten, mit Spannung erwarteten, zartfühlenden Spielfilm „Alcarràs“ von Carla Simón, der zum Ende der Berlinale im Wettbewerb gezeigt wurde: Eine Gruppe von Kindern sieht buchstäblich dabei zu, wie ein Bagger seine Schaufel in den Boden bohrt und ihre Welt verändert.
Seit jeher verbringt die Familie Solé ihre Sommer auf ihrer Pfirsichplantage in Alcarràs, einem Dorf in Katalonien. Doch der Besitz ihres Hauses steht auf dem Spiel, ebenso wie ihre Bäume, die durch Solarpaneelen ersetzt werden. Ein Teil der Familie setzt beharrlich auf Tradition, der andere sucht Anschluss an die Veränderungen innerhalb der Landwirtschaft. Ein Autowrack wird zum Inbegriff einer fundamental bedrohten Existenz, einem Moment der Krise, das sich als roter Faden durch das Programm der Berlinale zieht und unsere Welt treffend beschreibt.
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