Anke Engelke: "Vorgelesen zu bekommen, ist das Größte"
Die erste Ausgabe von "Die Häschenschule" von Albert Sixtus (Text) und Fritz Koch-Gotha (Zeichnungen) wurde 1924 veröffentlicht – und hat Generationen von Kindern begleitet. 100 Jahre danach hat die deutsche Schauspielerin und ROMY-Preisträgerin Anke Engelke eine neue Version des Kinderbuches angefertigt, da die Originalversion, wie sie im Interview sagt, längst überholt ist.
KURIER: Haben Sie die Originalversion von "Die Häschenschule" als Kind gelesen?
Anke Engelke: Ja, wir hatten das Buch zu Hause. Allerdings nicht die ganz alte Ausgabe, auf deren Titel der Hasenlehrer noch einen Rohrstock in der Hand hält. Ich habe mich als Kind von diesem Hasenlehrer gefürchtet, mit seiner Körperhaltung verbindet man Strenge und das Bild, auf dem er einem Hasenjungen zur Strafe das Ohr lang zieht, habe ich immer schnell überblättert. Ich habe mich gefürchtet, aber nachhaltig verstört hat es mich, glaube ich, nicht. In der Grundschule hatte ich eine dermaßen tolle Klassenlehrerin, dass sich jetzt niemand Sorgen machen muss, dass in meiner Kindheit irgendwas in mir kaputtgegangen ist.
Diese autoritäre Seite des Buches haben Sie in ihrer Version entschärft. War das auch der Auftrag?
Ja, das war dem Verlag (Esslinger, Anm. d. Red.) und mir war bei der Neugestaltung auch sehr wichtig. Durch das Buch soll man mit der Schule und dem Unterricht etwas Positives, Schönes verbinden. Bei den Updates bin ich vorsichtig vorgegangen und habe das Vorhandene zeitgemäß aufgefrischt, die Welt ist ja heute eine andere als vor 100 Jahren. Deshalb auch der vegane Fuchs als Neuankömmling in der Schulklasse.
Gab es vonseiten des Verlages noch weitere Vorgaben?
Ich hatte den Auftrag vom Verlag, eine moderne Fassung zu machen. Modern bedeutet für mich auch, dass man sich die Zusammensetzung einer Schulklasse ansieht. Die sehen nicht alle gleich aus, wie beim Original. Das wäre auch traurig, wenn wir alle gleich aussehen, gleich denken und fühlen würden. Die andere Vorgabe war, dass es wie in der Originalausgabe einen Konflikt bzw. eine Gefahr geben muss. Also haben wir entschieden, die frische Freundschaft von Hase und Fuchs ins Gefahrenzentrum zu packen. Der Schrecken wird durch eine große Mähmaschine ausgelöst. Die Botschaft dahinter ist aber nicht: böse Bauern. Sondern: Kinder, passt auf! Überall wo Fahrzeuge unterwegs sind, vor allem im Straßenverkehr, kann es zu Unfällen kommen. Viele Autos sind nach wie vor zu schnell unterwegs – das ist nicht nur für Kinder gefährlich.
Was war Ihnen persönlich bei der Neugestaltung des Kinderbuch-Klassikers besonders wichtig?
Dass die Freundschaft im Mittelpunkt steht. Dass man sich gegenseitig hilft, sich gegenseitig zur Seite steht. Es ist mir dabei auch ein großes Anliegen, die Kommunikation zwischen Eltern und Kindern anzuregen. Deshalb lasse ich im Buch vieles offen: Ich biete keine Lösungen. Im besten Fall entsteht ein Austausch zwischen der Person, die vorliest, und dem Kind. Wir leben in Zeiten, in denen sich die Menschen zu wenig austauschen, sondern vieles mit sich selbst oder Gleichtickenden in ihrer Ego-Blase ausmachen.
Wie stehen Sie zum nachträglichen Ändern von Kinderbüchern, die oft heftig debattiert wird?
Ich bin dafür, dass diese alten Bücher weiterhin existieren, aber ich bin auch für Änderungen einzelner Stellen. Wenn es Adaptionen gibt oder Streichungen, müsste man diese im Buch auch kurz erklären, finde ich. Wie diese Änderungen im Detail aussehen, müssen wir noch miteinander verhandeln, was dann natürlich zu Debatten führt.
Haben Sie als Kind gerne vorgelesen bekommen?
Ich denke, dass kein Kind es blöd findet, wenn Erwachsene ihnen etwas vorlesen. Etwas vorgelesen zu bekommen ist das Größte. Ich habe das auch immer geliebt und bin auch heute noch begeisterte Besucherin von Lesungen, war erst unlängst erst bei einer Lesung von Maria Schrader. Und natürlich lese ich auch selbst gerne vor.
Vielen Kindern wird aber nicht mehr vorgelesen, sondern ein Smartphone in die Hand gedrückt, wie finden Sie das?
Ja, viele Kinder werden zum Beispiel im Buggy mit dem Smartphone oder dem Tablet allein gelassen. Das finde ich schon befremdlich. Offenbar haben viele Menschen nicht mehr die Zeit, sich eine halbe Stunde hinzusetzen und zu lesen. Die Konkurrenz der digitalen Medien ist groß. Ich verfluche digitale Medien nicht, ich lebe ja nicht hinterm Mond, aber als Alternative zum geschriebenen Buch oder zur Zeitung sind sie einfach nix für mich.
Können Sie sich vorstellen, weitere Kinderbücher neu zu gestalten bzw. zu schreiben?
Ich denke, dass das eine einmalige Sache war. Bücherschreiben ist ja auch nicht meine Kernkompetenz. Ich bewundere Menschen, die Bücher schreiben, sich Geschichten ausdenken, aber ich bin hauptberuflich nun einmal Schauspielerin. Und das wird auch so bleiben. Ich liebe es sehr, als Schauspielerin zu arbeiten.
Anke Engelke: Die deutsche Schauspielerin (58) wurde einem breiten Publikum Ende der 90er-Jahre durch das TV-Comedy-Format „Die Wochenshow“ bekannt. Für ihre Rolle im Film "Der Onkel" von Michael Ostrowski wurde Sie 2023 mit einer ROMY ausgezeichnet. Engelke ist seit 2007 die deutsche Synchronstimme von Marge Simpson.
Überarbeitung: Weil „Die Häschenschule“ in diesem Jahr 100 Jahre alt wird, hat Engelke eine neue Version des Kinderbuch-Klassikers gedichtet: „Die neue Häschenschule“. Der Fuchs kommt dabei als neuer Mitschüler in die Klasse und ist Veganer. Statt dem autoritären Lehrer gibt es eine liebe Lehrerin. Gefahr lauert dafür im Kornfeld: Achtung, Mähdrescher! Das schmeckt den deutschen Bauern nicht. Sie lösten einen Shitstorm aus.
Anke Engelke: „Die neue Häschenschule – Wie Fuchs und Hase Freunde wurden“. Esslinger. Ab 4 Jahren. 40 Seiten, 15 Euro
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