Finger im Melkfett
Bock, 1965 im norddeutschen Schleswig-Holstein geboren, zählt Schwarzkogler zu seinen Einflüssen: „Er war immer sehr präzise und hat mehr mit den Fingern als mit der Hüfte gedacht“, sagt er. Auch das morbide Element und die stilisierte Gewalt in Schwarzkoglers Arrangements spreche ihn an.
Bocks Wien-Gastspiel, das den geschmeidigen Titel „Die Eierlegende Wollmilchsau des Herrn Schwarzkogler mit Melkfett einschmieren“ trägt (bis 30. 8.), ist trotz allem keine Hommage oder Aufarbeitung des Wiener Aktionismus, sondern eher eine Konfrontation. Denn Bocks Kunst, die bei aller Durchgeknalltheit feinen Gesetzmäßigkeiten folgt, lässt sich über weite Strecken als Dagegensein verstehen: Gegen Kategorien und Begriffe, gegen Geltungsdrang und Wichtigtuerei, gegen die Aura, die sich fast zwingend über Dinge der Kunst legt. Hier erklimmt Bock neue Sphären der Radikalität – und doch gelingt ihm dabei etwas wie Poesie.
Dass Bocks Materialarrangements zu einem guten Teil aus Dingen bestehen, die andere als Müll betrachten, hat vor diesem Hintergrund Methode. In der aktuellen Schau sind neben Eierschalen und Joghurtbechern jene Verschlüsse präsent, die man beim Öffnen von Getränkepackungen abzieht – „Dinge, die man einmal benutzt und die dann ihre Bedeutung verlieren“, wie Bock sagt. Er nennt diese Objekte „Kleinodtotsods“ und arrangiert sie mithilfe von Wattestäbchen akribisch auf Leuchtkästen – die leeren Zeichen erhalten so eine neue Bedeutung, die aber wieder nicht fixiert ist.
Wenn man so will, ist die Ablösung der Begriffe von den Dingen das Wesensmerkmal von Bocks Kunstkosmos. Dieser dehnt sich von Materialcollagen auf viele Medien aus: Für die Berliner Schaubühne realisierte Bock 2000 eine Inszenierung von Ibsens „Peer Gynt“ gemeinsam mit dem Schauspieler Lars Eidinger. Der spielt auch in dem Horror-Spaghettiwestern „Hell’s Bells“ mit, der in der Wiener Schau zu sehen ist.
Überall schwirren also Dinge und Worte herum, ermöglichen Variation und Spiel: Es ist wohl diese Offenheit, die Bocks Arbeit so ein beschwingtes Gefühl des Befreitseins verleiht (und Eindeutigkeitsfanatiker zur Weißglut treiben kann).
Der Wiener Aktionismus erscheint im Vergleich sehr ernst, aber freilich lassen sich Verbindungen ziehen – ebenso zu Grenzgängern wie Jonathan Meese oder Christian Eisenberger, die vielleicht auch nicht ganz zufällig an Ursula Krinzingers Galerie angedockt haben. Immer wieder findet sich dazu Material aus der Natur und Landwirtschaft – bei den Aktionisten wie bei Bock, der auf einem Bauernhof aufwuchs und bis heute dort Dinge aufsammelt. Womit die Sache mit dem Melkfett auch geklärt wäre.
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