Das künstlerische Biotop im Wien der 1960er-Jahre sei „absolut vergleichbar“ mit jenem um 1900, das Stars wie Egon Schiele oder Oskar Kokoschka hervorbrachte, insistiert Kunsthistorikerin Eva Badura-Triska.
Dass sich bald Touristenmassen vor dem Gründerzeithaus in der Wiener Weihburggasse 26 drängen und sich für ein Selfie vor Otto Muehls kackbraunem Material-Wühlbild von 1963 anstellen, ist trotzdem eher nicht zu erwarten. Aber es ist gut, zu wissen, dass der Wiener Aktionismus, diese radikale und international einflussreiche Strömung der österreichischen Kunst, nun einen fixen Ort hat: Am morgigen Freitag eröffnet das „Wiener Aktionismus Museum“, kurz WAM, offiziell. Mit einem Jahresbudget von 700.000 Euro, von privaten Geldgebern bereitgestellt, sei die Existenz für 10 Jahre gesichert, hieß es bei der Pressekonferenz am Mittwoch.
Die Eröffnungsausstellung, die bis 31. Jänner 2025 zu sehen ist, nennt sich schlicht „Was ist Wiener Aktionismus?“ und fokussiert auf jene radikalen Werke, mit denen Günter Brus, Hermann Nitsch, Otto Muehl und Rudolf Schwarzkogler in den 1960ern gegen alle Tabus anrannten. Als „Wiener Aktionisten“ wurde die Gruppe erst später von Peter Weibel bezeichnet, anders als bei anderen Gruppierungen gab es kein gemeinsames Manifest, erklärt Badura-Triska – die Frage, was Aktionismus sei, sei also so leicht nicht zu beantworten.
Der Expertin, die lange die Aktionismus-Aktivitäten des mumok verantwortete, gelingt jedoch ein präziser und anschaulicher Überblick. Material liefert die 2022 von den WAM-Initiatioren erworbene „Sammlung Friedrichshof“ mit Ikonen, aber auch raren Dokumenten – etwa von Hermann Nitschs 9. Aktion, für die Protagonisten auf Felder bei Stammersdorf zogen und ein Lamm zerlegten.
Ja, Kunst!
Zu zeigen, dass der Aktionismus sich als Kunst (und nicht als Provokation) verstand, klare ästhetische Vorstellungen verfolgte und sich dabei im bewussten Austausch mit Vorbildern befand, ist Badura-Triska ein Anliegen, das auch in der Auswahl und Präsentation der Werke klar zum Ausdruck kommt.
Manchmal ist es fast verblüffend zu sehen, wie tief die Aktionisten – bei allem antiklerikalen Revolutionsfuror – in der katholischen Opfer- und Erlösungssymbolik wateten, von Schmerzensmann-Darstellungen eines Günter Brus bis zu Arrangements von Muehl, der eine Akteurin wie ein Engerl im Altarbild von der Decke des Perinet-Kellers, dem Ort vieler Aktionen, baumeln ließ.
Dass sich auch ein großer Teil der Ausstellungsfläche des WAM im Souterrain befindet, ist ein kleiner Wermutstropfen für alle, die lieber zur Kunst empor- als hinabsteigen; für die Präsentation der Materialien (viel Fotografie, viel Papier) ist der Tageslichtmangel wohl kein Nachteil.
Das Wiener Aktionismus Museum, kurz WAM, befindet sich in der Weihburggasse 26, 1010 Wien. Die Ausstellung "Was ist Wiener Aktionismus?" läuft bis 31. Jänner 2025. Das Museum ist von Dienstag bis Sonntag und an Feiertagen von 11-18 Uhr geöffnet, Der Eintritt kostet 7 Euro, ermäßigt 3,50 €. Infos auf wieneraktionismus.at
In Sachen Beleuchtung und Ambiente hat man sich bei der Adaption der einstigen Galerieräumlichkeiten sichtlich um museale Standards bemüht, ein Bookshop soll das Angebot bald abrunden. Zudem will das Museum den Aktionismus in die Welt tragen, mit verwandten Strömungen und mit Zeitgenossen konfrontieren. Man darf gespannt sein auf das, was da noch kommt.
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