Ai Weiwei inszeniert Turandot: Pu-Tin-Pao und der Aufschrei gegen die Diktatur
Das Opernhaus in Rom, von außen ein 50er Jahre-Bau, ist vor der Vorstellung in den ukrainischen Farben beleuchtet. Am Ende des Abends, auf der Bühne des prachtvollen Innenraums aus dem 19. Jahrhunderts, trägt Oksana Lyniv eine blau-gelbe Schärpe. Eine ukrainische Dirigentin, ein chinesischer Dissident (Ai Weiwei) als Regisseur, Bühnen- und Kostümbildner, ein Werk, das die Brutalität chinesischer Machthaber thematisiert („Turandot“) – viel politischer kann ein Opernabend schon von der Konstellation her kaum sein.
Oper ist Auseinandersetzung mit unserer Zeit, Oper ist Politik, Oper ist ein Aufschrei gegen Missstände, all das stellt das Teatro dell’Opera di Roma eindrucksvoll unter Beweis. Aber ist die Produktion dadurch auch automatisch gut?
Pu-Tin-Pao heißt der Henker in Puccinis letztem Werk, und das ist wahrscheinlich selbst Opernliebhabern bisher kaum aufgefallen. Pao heißt übersetzt Schaum/Blase oder Kanone, aber das nur nebenbei. Ai Weiwei dient diese Figur (und alle anderen im Umfeld der blutrünstigen Prinzessin) jedenfalls für seine Abrechnung mit Unterdrückung, mit Überwachung, mit Hinrichtungen, mit autoritären Systemen.
Die Videos
Die Bühne besteht nur aus ein paar antiken römischen Säulen, dahinter laufen die meiste Zeit Videos ab. Im ersten Akt Bilder aus Hongkong, aus Syrien, aus Wuhan, von Protesten, von Flüchtlingen, von Corona-Toten und Menschen in Schutzanzügen. Natürlich hat all das allein dadurch miteinander zu tun, dass es in jüngster Zeit passiert ist. Zwingend logisch ist die Zusammenführung der Schreckensmeldungen aber nicht. Im zweiten Teil wird es weniger nachrichtlich und künstlerischer: Man sieht animierte Machtsymbole, chinesische Skylines, tanzende Bomben, da wird die Oper von der „ZiB“ zum „Kulturjournal“.
Biografie
Ai Weiwei wurde 1957 in Peking als Sohn eines Dichters, Malers und Regimekritikers (der 20 Jahre verbannt wurde) geboren. Wegen regierungskritischer Statements wurde der stets Repressalien ausgesetzte Künstler 2011 für einige Monate inhaftiert und mit Reiseverbot belegt. Nach dessen Ablauf ging er 2015 nach Berlin, danach nach Cambridge, aktuell lebt er in Portugal. Der politische Aktivist und Kämpfer gegen autoritäre Regime zählt mit seinen Arbeiten zu den wichtigsten Künstlern unserer Zeit. In Rom hat er zum ersten (und einzigen) Mal eine Oper inszeniert: Giacomo Puccinis „Turandot“
Ausstellung
Die fabelhafte Schau „Ai Weiwei. In Search of Humanity“ ist aktuell in der Albertina Modern in Wien zu sehen (noch bis 4. September)
Die Bilder sind gewaltig, berührend, todtraurig, die Videos sehr musikalisch bearbeitet. Und der politische Kopf Ai Weiwei geißelt unsere Zeit, in der Menschenrechte zugunsten diktatorischer Machtansprüche geopfert werden.
Allerdings könnte man dafür auch ins Kino oder in eine Ausstellung gehen. Wenn eine Operninszenierung ein gewisses Geschehen auf der Bühne bedingt oder gar eine Personenführung, dann handelt es sich diesfalls weniger um Musiktheater als um einen Kunstfilm, der dramaturgisch raffiniert die Kraft der Puccini-Musik nützt.
Die Augen werden permanent gefüttert, sodass man nicht weiß, wohin man zuerst schauen soll. Auf der Bühne selbst herrscht Stillstand wie bei einer erzkonservativen Regie. Immerhin die Kostüme geben Andeutungen zur Lesart, etwa stilisierte Waffen auf den Mützen von Ping, Pang, Pong.
Auf „Turandot“ ist Ai Weiwei gekommen, weil er einst als Statist bei der Zeffirelli-Inszenierung an der New Yorker MET mitwirkte. Sein Debüt als Opernregisseur hätte in Rom schon vor zwei Jahren stattfinden sollen, wurde jedoch pandemiebedingt verschoben. Der Krieg gegen die Ukraine ist also nicht Anlass, aber konzeptionell bei Ai Weiwei stets mitgedacht im Sinne seiner Auflehnung gegen Gewalt. Er hat ausgeschlossen, weitere Opern zu inszenieren. So bleibt diese Produktion einzigartig, wie eine Performance, ein singulärer Ausflug in ein Fach, das Bilder vermittels Musik so sehr zu intensivieren vermag.
Bei allen Einwänden gegen die Aufführung, bei aller Kritik, dass Ai Weiwei die Genres nicht verknüpft, sondern nur koexistieren lässt, wäre es schön, wenn seine „Turandot“ (ja, es ist seine, mehr als die von Puccini) als Wanderausstellung auf Reisen geht.
Die Musik
Oksana Lyniv leistet Großes, indem sie das Orchester farbenreich und dramatisch klingen lässt, aber auch die Bilder, die die Tempi diktieren, präzise mitträgt. Manches ist verschleppt, manches zu grell, manches geht in der Bilderflut unter. Insgesamt aber eine mächtige musikalische Vorstellung, die Puccini (gespielt wird sein Fragment) zu seinem Recht verhilft.
Ewa Vesin ist eine Turandot mit einer Stimme, die gefährlich scharf ist wie das Beil von Pu-Tin-Pao. Seit einer Klarstellung darf man getrost sagen, dass man sich wünscht, Anna Netrebko möge diese Partie bald wieder singen.
Angelo Villari forciert als Kalaf wie Yusif Eyvazov, in den lyrischen Passagen fehlen ihm Wärme und Ausdruck. Adriana Ferfecka ist eine Liú mit schönem, nicht sehr großem Sopran. Die kleineren Partien passen gut zum Konzept, wonach sich die Musik diesmal unterzuordnen hat.
So kraftvoll, politisch und aktuell war Oper schon lange nicht. Wobei: Oper?
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