A. L. Kennedy: „Ich bin schlecht vermarktbar“
Sie ist Schriftstellerin, Stand-up-Comedian, Autorin erfolgreicher Kinderbücher und lautstarke Kritikerin der englischen Regierung. Am Mittwoch eröffnete die schottische Autorin A. L. Kennedy die Wiener Buchmesse mit einer umjubelten Rede über die Kunst des Beginnens. Im Interview spricht sie über das Versagen des britischen Gesundheitssystems, die schrecklichen Royals und die schottische Unabhängigkeit.
KURIER: Ihr jüngster Roman „Als lebten wir in einem barmherzigen Land“ ist im Frühjahr auf Deutsch erschienen. Auf Englisch noch nicht. Warum?
A. L. Kennedy: Der deutsche Hanser-Verlag wollte unbedingt einen Roman von mir. Es wird auch eine englische Ausgabe davon geben, aber erst 2025. Wir haben ja ein ziemliches Durcheinander auf dem englischen Verlagssektor. Da tut sich gerade einiges, die Branche wirkt sehr nervös.
Was bedeutet dieser Buchtitel? Was meinen Sie mit „barmherziges Land“?
Man kann Menschen nur wünschen, in einem solchen zu leben.
Sie sind Schottin, leben auch dort, zuvor lebten Sie in England. Würden Sie sagen, das Wort „barmherzig“ trifft auf diese Länder zu?
Schottland ist leider nicht ganz unabhängig von England. Aber bei uns ist das Gesundheits- und Sozialsystem wesentlich besser. Und unsere Regierung agiert im Gegensatz zur englischen faktenbasiert.
Die englische Regierung agiert also polemisch?
Ja. Westminster hantiert mit Fantasiezahlen, was das Sozialsystem betrifft. Wer arm und krank ist, stirbt früher. Das war auch schon vorher so. Jetzt werden die Versäumnisse während der Pandemie evaluiert. Da wird nichts Gutes rauskommen.
In Schottland ist das besser?
Ja. Kaum, dass ich wieder in Schottland war, hat man mich zu diversen Vorsorgeuntersuchungen eingeladen, was grundvernünftig ist, weil Präventivmedizin am Ende ja Geld spart. Ich dachte: Wow! Das ist ja wie in Frankreich hier! Die kümmern sich tatsächlich um die Gesundheit der Leute!
Wird das noch was mit der Unabhängigkeit?
Ich hoffe es sehr. Beim letzten Unabhängigkeitsreferendum hatten viele in Schottland Angst, dass wir dann aus der EU austreten müssten. Jetzt sind wir immer noch nicht unabhängig und dank einer Bande von Verrückten auch nicht mehr EU-Mitglied.
Hier hat man oft das Gefühl, es wird mehr über die Royals als über englische Politik berichtet.
Das ist interessant, weil die Royals noch nie so unbeliebt wie jetzt waren. Und noch nie so viele gute Gründe für ihre Unpopularität geliefert haben.
Der neue König ist auch kein Lichtblick?
Oh nein, dieser Typ ist dermaßen übellaunig. Und dann diese schreckliche Frau! Dass die Ehe von Charles und Camilla aus einem Betrug an Diana hervorging, bringt die Leute immer noch auf. Und dieser Prince Andrew, der in einen Pädophilie-Skandal verwickelt ist! Das ist ziemlich viel auf einmal.
Kann es sein, dass Ihr letzter Roman nicht in England verlegt wurde, weil Sie eine besonders kritische Autorin sind?
Ja, klar, es gibt ja kaum mehr Rezensionen, alles dreht sich nur um Marketing. und ich bin halt nicht lauwarm, sondern mache eindeutige Aussagen. Das irritiert britische Zeitungen. Ich bin schlecht vermarktbar.
War das umgekehrt der Grund, warum man Sie eingeladen hat, die Buch Wien zu eröffnen?
Ich habe keine Ahnung. Auch halte ich mich nicht für eine besonders politische Autorin. Ich möchte bloß, dass es den Leuten gut geht. Und ich habe immer mit Menschen am Rande der Gesellschaft zu tun gehabt, die es schwer haben. Arme Leute, Menschen mit Behinderung, Psychiatriepatienten, Missbrauchsopfer. Alles Leute, über die man selten spricht. Es ist immer ein Kampf um Narrative. 2018 hat der Autor Philipp Pullmann einen offenen Brief publiziert, in dem er der Politik vorwarf, dass sie die ganze Zeit lügt. Und zwar ziemlich schlecht. Die Menschen wissen schon nicht mehr, was Realität und was Fiktion ist.
Sie haben Ihrer Eröffnungsrede ein bemerkenswert positives Motto vorangestellt: die Kunst des Beginnens. Interessant, in Zeiten wie diesen.
Ja. Es geht darum, von null zu beginnen. Jetzt jammern alle, auch die Mittelschicht. Aber ich sage: Diese Zeiten sind nicht schlechter als andere. Bloß merkt’s jetzt eben auch die Mittelschicht. Vorher war es den Menschen doch egal, wenn irgendwo auf der Welt Indigene massakriert wurden.
Also ist das Gefühl, dass wir in schwierigen Zeiten leben, eurozentristisch?
Ja, völlig.
Ein positives Schlusswort?
Junge Hunde sind süß.
Lesen Sie österreichische Literatur?
Ja. Ich liebe Schnitzler.