Der Sommer ist sehr groß und treibt einen aus der Großstadt hinaus, weil Concrete Jungle cool sein mag, aber nicht bei dreißig Grad im Schatten. Da zieht es einen in die Berge, an schwindende Gletscher, zu kühlen Bergbächen und einem unfassbar riesigen, unfassbar guten gerührten Eiskaffee mit unfassbar beeindruckendem Kaffeelikör, der in Zeitlupe durch das Eissediment herabsinkt und den man ebenso unfassbar gerührt am Ufer der Traun einnimmt, im Baumschatten beim Zauner, in Bad Ischl. Hier gibt es Erdbeerrouladen, Cremeschnitten, und Russisches Brot, das nicht aus Mehl, sondern aus kandierten Früchten und Nüssen besteht. Wer es traditioneller haben möchte, kann sich ein Konfekt namens Baronesserl zu Gemüte führen. Der Hund bekommt die Eiswaffel, der Laptop brutzelt vor sich hin und der Augenblick ist schön und möge bleiben. Am Nachmittag kann man mit der Gondel auf die Katrin fahren und dort ins Tal herabsehen, unterwegs kann man Gämsen treffen, was ein bisschen selten ist, so wie die Perseiden, und dieses Jahr sogar beides im Doppelpack. Das Erstere im Wald, die Letzteren am geschnitzten Balkon des Goldenen Ochsen, der schönste Ort, den man in Bad Ischl beziehen kann: mit Gastgarten, mit SPA samt elegantem chinesischen Interieur, mit Sauna, Schwimmbecken und einem Frühstück, das einen in seiner Reichhaltigkeit gnadenlos flachlegt.
Zwei Mal suchte ich den Ort heim und zwei Mal wurde ich stets aufs Neue überrascht.
Die Spatzen pfeifen es aus den Gartenhecken: Bad Ischl ist ein Fixstern meines Schreibens, seit Jahren. Gleich in der Nachbarschaft des Ochsen befindet sich ein Lokal, das den Bad Ischler klassischen Rahmen in erfreulichster Art und Weise sprengt: das Weinhaus Attwenger. Von jungen Menschen geführt, mit einer so originellen wie hochwertigen Speisekarte mit Schwerpunkt auf Nachhaltigem und Qualitativem. Der Garten und das Gasthaus mit den schönen Balkonen samt diversem Geweih selbst sind von einer klassischen Gemütlichkeit und stehen mit dieser im Kontrast zu der Experimentierfreudigkeit des Kochs, der die Ischler Tradition mit amerikanischen und italienischen Einflüssen aufbricht. Zwei Mal suchte ich den Ort heim und zwei Mal wurde ich stets aufs Neue überrascht. Einmal von den Tapas, von den frischen Eierschwammerln, vom cremigen Steinpilzrisotto, dass auf der Zunge schmolz, aber dennoch die nötige Körnigkeit an den Tag legte und am nächsten Tag noch mehr vom Seeteufel, dessen zartes, weißes Filet von urigem Speck ummantelt auf einem beinahe noch perfekteren, sonnengelben Safranrisotto ruhte. Und damit die Überraschungen noch eine weitere Steigerung erfuhren, wählte meine Mutter – das erste Mal in Bad Ischl und nach mehreren Tagen die täglichen Genussorgien gewohnt, die sie anfangs noch dezent zu umgehen suchte – als krönenden Abschluss ein Überraschungsdessert, das Sisis Namen im Titel trug. Die Überraschung bestand nicht nur in der Bandbreite des Gebotenen, sondern auch in seiner ganzen Fülle: vom Schokobrownie mit Salzkaramell und Eis über Waldmeistercreme, bis hin zu einer so knackig glasierten Creme brûlée, dass die Karamellschicht entgegengesplittert kam. Der Keller wies eine sehr schöne Tätowierung am Oberarm auf, die die Zahnräder der Welt zeigte, und auch wenn er auf Nachfrage hinwies, dass manche der Zahnräder rostig dargestellt seien, um das Ungleichgewicht in dieser Welt zu zeigen – zumindest diese Zeit im Attwengerhaus, im Goldenen Ochsen und im Zauner in Begleitung meiner von örtlich Lukullischem sanft gestimmten Mutter fühlte sich nach Equilibrium an.
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