Raab geht essen: Die Wasnerin

Wer hier zum Raunzer wird, Wiener hin oder her, dem ist dann wirklich nicht mehr zu helfen.
Thomas Raab

Thomas Raab

Drei Stunden sollte eine Familienfeier dauern, ohne der Krankenkassa schmerzhafte Kosten zu bescheren. Alles darüber lässt sich im besten Fall mit Psychopharmaka, im schlechtesten nur noch mit Gefängniszellen oder Beerdigungen behandeln.

Gut, in manchen Sippen reichen schon drei Minuten. Die Länge ist eben eine subjektive Maßeinheit, zu lange immer heikel, und je paradiesischer dabei die Umstände, desto garantierter das Geraunze (Beweis gefällig? Wien, die lebenswerteste Stadt der Welt) – womit wir schon in medias res wären: Hotelrestaurants. Gäste zufriedenstellen, die nach dem Abendessen gar nicht erst nach Hause gehen, sondern zum Frühstück à la Schlaraffenland wiederkommen, dann Nachmittagsjause, neuerlich dinieren usw. usf. Das kann nur schiefgehen. Allerspätestens ab Tag 3 hockt sich der lückenlos verwöhnte Querulant vorsätzlich neben ein offenes Fenster, keppelt über die Zugluft, die stets gleichen Affen, auch auf dem eigenen Tisch, und natürlich abends diese Warterei, weil (laut Prospekt & Buchungsbestätigung) mehrgängiges Wahlmenü. Und wenn wir das Haar eigenhändig in die Suppe legen müssen ... Kürzlich also weilte ich, selbst ein Zweifler (Beweis gefällig? Einst Mathelehrer, heut’ Krimiautor, immer schon Wiener und obendrein Thomas heißen! Bitter.) in der Wasnerin. Nur chancenlos: Die ersten beiden Tage war beim besten Willen nichts zu finden. Ich muss sogar eingestehen, selten so gut gegessen zu haben.

Tag 1 eine kräftige Rinderessenz mit Fleischstrudel; ein butterweiches Wildgeschnetzeltes mit Pizokel & Specktrauben; Crêpe Suzette mit Orangen-Buttersauce & Orangen- sorbet. Tag 2 Topinambur-Birnencreme-Suppe mit Speckcroûtons; ein kreativer, saftiger „Steirer Wrap“; als Nachspeise Mohnfruchtschnitte, Mohneis, Zitronenschaum. All das wunderschön angerichtet und, wie jede der Speisen hier, ohne Verwendung von Fertigprodukten und Geschmacksverstärkern. Gratulation an Küchenchef Johannes Fasching, die gesamte Truppe und natürlich das Herz dahinter. Seit 2012 liegt die Leitung der einst hatscherten Wasnerin in den Händen des Gastgeber- und Geschäftsführer- ehepaares Petra & Davor Barta. 2015 wurden die beiden Hotelier/Hotelière des Jahres. Mittlerweile ist das komplett umgestaltete, sanierte Haus ein Juwel, ausgezeichnet mit drei Relax-Guide-Lilien, 2016 bester Ausbildungsbetrieb, 2020 bestes Yogahotel Österreichs und obendrein das Literaturhotel dieses Landes schlechthin.

Von 27.– 29. 3. lesen dort unter anderem Nobelpreisträgerin Olga Tokarczuk, Bachmannpreisträgerin Birgit Birnbacher, Valerie Fritsch, Josef Haslinger... Kurzum: Schleunigst auf zu Tag 3. Fehlersuche. Dringend. Sich heimtückisch das verräterischste Dokument jeder Küche vorknöpfen: Dieses Synonym-Lexikon, demzufolge hinter diversen Disney-Figuren runzelige, aufgefächerte Würstel, pappige Fischstäbchen oder blasse Chicken Nuggets stecken, dazu schlabbrige bzw. gnadenlos durchfrittierte Pommes. Kurzum: die Kinderkarte. Was soll ich sagen? Die als solche bestellten Faschierten Laibchen mit Erdäpfelpüree waren „leider“ ein Gedicht, wahrscheinlich ging der Wasnerin meinetwegen das Faschierte aus. Und wie mir dann am letzten Abend ein Schnitzel serviert wurde, die Panier perfekt aufgebläht wie ein Zeppelin, der Geschmack ein von Butter- schmalz getragenes Erlebnis, wurde mir endgültig klar: Wer hier zum Raunzer wird, Wiener hin oder her, dem ist dann wirklich nicht mehr zu helfen.

Die Wasnerin
G’sund & Natur Hotel Sommersbergseestraße 19, Bad Aussee
Tel. 03622/52108, wasnerin.at

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