Paaradox: Im Kartenhaus

Paaradox: Im Kartenhaus
Geburtstagsworte: Papier ist geduldig, heißt es. Mitunter sorgt es aber nur für Irritation
Gabriele Kuhn

Gabriele Kuhn

Michael Hufnagl

Michael Hufnagl

SIE

Hä? Was? Wie? Ich? Das Entsetzen des Mannes nebenan schien grenzenlos. Ein Mix aus Ekel und Unverständnis zeichnete seinen Blick. Als hätte ich ihn darum gebeten, mit bloßen Händen den Abfluss von  menschlichen Überresten, Spinnenbeinen und ganzen Waranen zu befreien. Dabei ging es  doch nur nur um den Kauf einer Geburtstagskarte. Die hatte ich vergessen und da er nun schon einmal auf dem Weg in die Stadt war – punkti, punkti, punkti.

Theater & Trauma

Sie müssen sich an dieser Stelle ausufernde Theatralik vorstellen, die der Drama-King auspackte, um den Affront zu verhindern: Ich? Jetzt? In welche Papierhandlung bitte? Weißt du nicht, dass ich  seit der Unterstufe an einem Papierhandlungstrauma leide? (Es folgte ein sehr ausführlicher Exkurs über strenge Lehrer,  verlorene Vokabelhefte und Schulangst). Wo es so heiß ist? Wo die Luftfeuchtigkeit bei knapp 90 Prozent liegt? Wo ich vor  1000 Karten stehen  und ganz sicher jene aussuchen werde, von der du dann behauptest, die sei fad und schiach? Ich sagte nichts, nur: „Erledige einfach einmal was, ohne ein „Vom Winde verweht“-Dings daraus zu machen. Bittedanke.“ Dann zog er los, nicht ohne zu murmeln, dass er sich diesen Sommertag  anders vorgestellt hätte. 25 Minuten später war er  am Zielort eingelangt, ab nun poppten auf meinem Handy  im Sekundentakt Fotos von Karten auf: Die da? Oder die da? Was sagst zu der? Ich gab auf und schrieb zurück: „Wurscht. Nimm einfach alle mit. Es kommen ja noch viele Geburtstage in den nächsten Monaten auf uns zu.“ Dass dann auch ein Billett dabei war, mit der Aufschrift Für die Liebste zur diamantenen Hochzeit, fand ich mäßig originell. So wie er wohl meine Frage, die da lautete: Und? Mir hast nix mitgebracht?  Nun zogen Gewitter auf.

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ER

Man sieht es nicht. Hört es nicht. Spürt es nicht. Es schleicht sich aus dem Hinterhalt an, auf samtenen Pfoten, geduckt, perfekt getarnt. Aber  plötzlich springt es mich überfallsartig an, wickelt mich ein, nimmt mir die Luft zum Atmen. Und ich weiß, dass es völlig sinnlos ist, sich gegen das „Duuhuuu?!“ zu wehren. Denn das „Duuhuuu?!“ ist nicht bereit, mit mir zu verhandeln. Nein, es tut nur so, als hätte ich eine Fluchtoption. Das „Duuhuuu?!“ entfaltet seine ganze Macht, dank jahrelanger Erfahrung zu antizipieren, wann ein Opfer dramatisch unvorbereitet ist. Das „Duuhuuu?!“ täuscht listig  eine liebevolle Kommunikation vor, gerne auch in Verbindung mit einem irreführenden Konjunktiv („Könntest du so lieb sein ...“), und will am Ende doch nur eines: die außergewöhnliche Erledigung.

Überrumpeln

Wenn gnä Kuhn ihr gefürchtetes „Duuhuuu?!“ zum Klingen bringt, weiß ich, dass ich unmittelbar danach unter einem Kasten liege, auf einer Leiter stehe oder in ein Gartencenter reise. In diesem Fall saß ich mehr oder weniger entspannt in der Schienensauna (im Volksmund auch „Bim“ genannt),  träumte von einem fröhlichen FKK-Urlaub am Pjassinosee im Nordsibirischen Tiefland, als mein Smartphone vibrierte. Und ehe ich mein Leid in Worte fassen konnte, hatte mich das „Duuhuuu?!“ schon überrumpelt. Ich möge bitte aussteigen, ein Papierfachdings aufsuchen  und für ihre Freundin, die ich zuletzt im Jahr 2005 gesehen hatte, eine Geburtstagskarte besorgen. Bedeutender Nachsatz: „Aber weißt eh, nicht so 0815, schon irgendwas Originelles.“ Das wollte ich mir nicht bieten lassen und konterte mit einem gnadenlosen „Äh ... es ist ... also ... hm ... aber ... und überhaupt  ... wie ...wo ... boah“. Dann sagte meine Frau: „Bussidankehabdichliiiehiiieb“, und ich wusste: 1. Verdammt. 2. Ich brauche einen Racheplan.

michael.hufnagl@kurier.at

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