Paaradox: Das Blumen-Mehr

Paaradox: Das Blumen-Mehr
Besondere Situationen benötigen besondere Maßnahmen. Aber mitunter kann eben ein „gut gemeint“ zum Gegenteil von „gut“ werden.
Gabriele Kuhn

Gabriele Kuhn

Michael Hufnagl

Michael Hufnagl

Sie

Gänseblümchen, ja, es war ein Gänseblümchen. Die erste Blume, die er mir, damals frisch verliebt, auf einer Wiese sitzend, in die Hand drückte und sagte: Alles wird gut. Das Gänseblümchen und der Mann nebenan behielten recht: Es wurde gut. Und dennoch verlief nicht immer alles glatt, sondern ganz schön verkehrt. Nun, das gehört halt auch zu den großen Liebesgeschichten. Ebenso wie der etwas hölzerne psychologische Begriff Beschwichtigungsemotion. Damit sind Gefühle in der Partnerschaft gemeint, wie etwa Scham oder Schuldbewusstsein. Damit verknüpft sind sogenannte nonverbale Reparaturversuche im Sinne eines Schatzi-simma-jetzt-wieder-gut-bütte?. Der Mann nebenan ist diesbezüglich ein Meister seines Fachs, römisch Eins etwa für Reparaturversuch Dackelblick, frisch aus der Herz-Chirurgie. Oder Die-1-Stunden-Fußmassage trotz Barça-Match, knapp gefolgt von Ich sag’s durch die Blumen. Beschwichtigungstechnisch bin ich, vom Gefühl her, längst Herrin eines Blumen-Mehrs.

Floraler Reparaturversuch

Ja, dazu gehörten auch Nelken, damals im ersten Beziehungsjahr. Irgendwas war schiefgelaufen, auf einmal pflanzte er sich mit seinem Gebinde vor mir auf und garnierte es mit seiner Top-of-Verzeih-mir-Dramaturgie – nämlich: leicht feuchtes Schimmern in beiden Augenwinkeln. Mit stockender Stimme klärte er auf: Du weißt, dass rote Nelken für große Leidenschaft und weiße für Treue stehen? Wusste ich nicht. Was er wiederum nicht wusste, dass Nelken in meiner Vase einen ähnlichen Würgereflex auslösen wie Melanzani auf seinem Teller. Das verschwieg ich aber – und würdigte den floralen Reparaturversuch mit einem Kuss und weiteren spannenden Versöhnungsgesten. Irgendwas muss er trotzdem gespürt haben – es blieben die ersten und letzten Nelken aus seiner Hand. Wie heißt es so schön? Liebe ist lernen. Darum reicht der Kavalier nebenan jetzt immer Rosen, wenn’s brenzlig wird – geblieben ist einzig der leicht feuchte Dackelblick.

gabriele.kuhn / facebook.com/GabrieleKuhn60

Er

Erkenntnis  nach  23  gemeinsamen Jahren: Als Blumenbotschafter hat man’s nicht  leicht. Ich erinnere  mich noch gut an die Geschichte, als ich nach einem völlig verpatzten Alm-Ausflug (die Schuldfrage für die Schreierei vor Kühen und Murmeltieren ist freilich bis heute ungeklärt) Zeichen der Versöhnung setzen wollte. Und so ließ ich mir von  der Floristin ihres Vertrauens einen (endlosen) Vortrag über Pflanzen und deren Symbolik halten. Um zu dem Schluss zu gelangen, dass der Gag mit den Disteln bei gnä Kuhn allenfalls  nicht den gewünschten Lachanfall auslösen könnte. Ich entschied mich damals für Lilien. Die stehen angeblich für Liebenswürdigkeit, Reinheit und Weiblichkeit. Was mir die Expertin für Und-jetzt-vergess’-ma-das-alles-Blumen hingegen verschwieg: Dass mit Liebenswürdigkeit, Reinheit und Weiblichkeit eine Duft-Intensität verbunden ist, die einen sensiblen Mann aus den Schuhen fetzt. Ja, ich muss es so sagen: Meine Freude über ihre Freude wich sehr rasch einem bedrohlichen Schnupper-GAU.

Lektionen lernen

Ich hielt die bedingungslose Ausbreitung des Geruchs bis in die letzten Winkel der Wohnung kaum aus und hatte längst das Gefühl, mich selbst in eine Art Lilienschlumpf  zu verwandeln, dem sämtliche Mitmenschen mit gerümpfter Nase begegnen. Also verging kein Tag, an dem ich mir nicht gewünscht hätte, dass der Verwelkungsprozess eine schicksalhafte Beschleunigung erfährt. Während sich die Liebste Morgen für Morgen verzückt den Blüten näherte, um zu frohlocken:  Mmmmh! Ein Grund, warum ich den Gedanken, die Lilienlästlinge quasi als Willkommensgruß vor die Tür zu stellen, sicherheitshalber nie zu Worten reifen ließ. Aber ich habe meine Lektion gelernt. So, wie meine Frau  ihre. Sie käme heute ebenso fix nicht mehr auf die Idee, mir Hey-tut-echt-leid-Derbykarten für einen ehelichen Stadionbesuch zu schenken.  Stattdessen gibt’s Wiener Schnitzel. Weil sie ganz genau weiß: Meine Rosen haben die Gestalt einer perfekte Panier.

michael.hufnagl / facebook.com/michael.hufnagl9

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