Kralicek geht essen: Der Wienerwald

Für Menschen aus der Generation Boomer kann ein Besuch im Wienerwald auch sentimentale Gründe haben.
Wolfgang Kralicek

Wolfgang Kralicek

Das Restaurant Wienerwald vis-à-vis vom Volkstheater in Wien ist eines dieser Lokale, die jeder Einheimische kennt, in die aber keiner reingeht. Der große Speisesaal ist sauber und hell, verströmt aber das aseptische Flair eines Bahnhofsrestaurants oder einer Autobahnraststätte – wenn es Bahnhofsrestaurants noch gäbe und Autobahnraststätten noch so aussähen. Das Service ist schnell und freundlich, die Speisekarte bietet – neben Standards wie Wiener Schnitzel, Tafelspitz oder Gulasch – vor allem Huhn in allen möglichen Farben und Formen: gegrillt oder gebacken, verschnitzelt oder geschnetzelt. Das „Hendl komplett“ (½ Grillhuhn, 2 Beilagen, 1 Finger- Reinigungstuch) kostet 14,40 Euro, was okay wäre, wenn es nicht so lieblos zubereitet wäre. Objektiv spricht also tatsächlich wenig dafür, das Lokal zu besuchen. Für Menschen aus der Generation Boomer aber kann ein Besuch im Wienerwald auch sentimentale Gründe haben. In ihrer Jugend, in den 70er-Jahren, war Wienerwald so etwas Ähnliches wie heute McDonald’s, nur dass das Fast Food nach gutbürgerlicher Küche aussah: Die Hendln wurden nicht als Nuggets, sondern im Ganzen serviert. Die Wienerwald-Lokale waren alle ähnlich eingerichtet (rustikal), hatten exakt dieselbe Speisekarte, und man konnte die Speisen auch mitnehmen. Der „Gassenverkauf“ – so das herrlich altmodische Wort für „to go“ – war ein wesentlicher Faktor für den enormen Erfolg von Wienerwald. Wenn die Mutter einmal krank war oder einen anderen guten Grund hatte, nicht kochen zu können, war es eine gesellschaftlich akzeptierte Alternative, das Sonntagsessen bei Wienerwald zu holen – was selbstverständlich der Vater erledigte. Der Gassenverkauf war so beliebt, dass es in den Wienerwald-Restaurants früher eine eigene Theke dafür gab. In der Filiale beim Volkstheater gab es sogar einen separaten Eingang, die Tür aber ist verschlossen. „Gassenverkauf vorübergehend im Restaurant“ steht auf einem Zettel, der dort schon seit vielen Jahren hängt.

Im Wienerwald-Imperium ging wirklich die Sonne nicht mehr unter

Der Linzer Friedrich Jahn („Hendl-Jahn“) hatte die Restaurantkette 1955 in München gegründet und 25 Jahre später quasi die Weltherrschaft übernommen: Ende 1981 betrieb der Pionier der Systemgastronomie 1.551 Restaurants auf allen Kontinenten. Allein in Österreich waren es über 60 Filialen, auch Autobahnraststätten, Bahnhofsrestaurants und ÖBB-Speisewägen standen im Zeichen des Hendls. „Im Wienerwald-Imperium ging wirklich die Sonne nicht mehr unter“, hielt Friedrich Jahn in seiner oft unfreiwillig komischen Autobiografie „Ein Leben für den Wienerwald“ fest. Doch so wie das Habsburgerreich zu einem Kleinstaat schrumpfte, ist auch der Wienerwald nur noch ein Schatten seiner selbst. Nach einer langwierigen Insolvenzgeschichte in den 80er-Jahren wurde das Imperium zerschlagen und wechselte mehrmals die Besitzer, die meisten Standorte wurden aufgegeben. (Dabei kam es zu der hübschen Pointe, dass der Wienerwald am Wiedner Gürtel von einem Lokal namens „Böhmerwald“ übernommen wurde.) In Wien haben nur drei Wienerwald-Restaurants überlebt; alle befinden sich im 1. Bezirk, und vermutlich werden sie überwiegend von Touristen frequentiert. Das hat eine gewisse Ironie: Die Gäste sind gekommen, um die Reliquien der Habsburger zu besichtigen – und ahnen nicht, dass sie auch ihre Mittagspause auf den Ruinen einer großen Vision verbringen.

Wienerwald
Bellariastraße 12, 1010 Wien
Tel. 01/523 72 79
geöffnet täglich 11 bis 23 Uhr

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