Johannas Fest: Von Geistern, die man nicht rief

Gastliche Begegnungen erfolgen in der Regel auf dem Prinzip Freiwilligkeit. Ihr Ablauf ist wenig vorhersehbar.
Johanna Zugmann

Johanna Zugmann

Die Tage werden kürzer, die Abende länger – Zeit zusammenzurücken und es sich daheim gemütlich zu machen. Zu Allerheiligen und Allerseelen schärft zudem das Gedenken an liebe Verstorbene das Bewusstsein für die Endlichkeit des eigenen irdischen Daseins. Helene und Georg versuchen aus jedem Tag des Jahres das Beste zu machen. Die Personalchefin und der Unternehmer, der gut hundertfünfzig Tage im Jahr geschäftlich rund um den Globus unterwegs ist, planten zum November- Beginn ein urgemütliches langes Wochenende am Land: knisterndes Kaminfeuer, ein spannendes Buch, Chansons von Georges Brassens und gemeinsames Kochen standen auf dem Programm.

Aus der trauten Zweisamkeit wurde nichts. Alfred und Irene, die man seit Jahren nicht mehr getroffen hatte, meldeten sich überraschend an.

Irene würde eine Bouillabaisse mitbringen, Helene sollte einen Fisch besorgen.

Böse Geister

Die Besucher kamen am Halloween-Tag mit einem Porsche Cayenne in der entlegenen Gegend an. Auch ohne Grusel-Make-up oder Skelettkostüme sollten sie die „Gastgeber“ im Laufe des Abends noch das Fürchten lehren.

Nach einem Rundgang durch das Landhaus, in dessen Renovierung Georg viel Erspartes und Eigenleistung investiert hat, regnete es Tipps, wie er das eine oder andere hätte besser machen können. Das war aber erst das „amuse gueule“ in Sachen „böse Geister“. Irene kam mit zwei kleinen Tupperware-Gefäßen; im einen die zum legendären Fischtopf gehörige Rouille (eine Knoblauch- Mayonnaise mit Cayenne-Pfeffer), im anderen die angekündigte Bouillabaisse; oder das, was die Sparmeisterin dafür ausgab, denn die im Sud schwimmenden Fischstücke, Garnelen und Muscheln ließen sich an den Fingern einer Hand abzählen.

Alfred begleitete Georg in den Weinkeller und half ihm bei der Auswahl der Rebsäfte für diesen Abend, wobei er sich als echter Connaisseur bewies:

Zielsicher griff der pensionierte Jurist zu den teuersten Tropfen und verstand es auch zu begründen, warum diese am besten zu dem Menü des Abends passen würden. Drei Bouteillen gingen schon als Weinbegleitung des Hauptgangs weg, zur Käseplatte zwei Château Margaux, bis man endlich beim Dessert angelangt war. – In vino veritas?

Die Gäste begannen zu politisieren. Helene und Georg bekannten Farbe. Die aus Wien im Luxusgefährt angereisten Bewohner einer Cottage-Villa warfen ihnen soziale Kälte und mangelnde Sensibilität in Sachen Verteilungsgerechtigkeit vor. Je später die Stunde, desto vehementer die Auseinandersetzung und aussichtsloser die Hoffnung auf auch nur den kleinsten gemeinsamen Nenner. Irene verzog sich vor Mitternacht ins Gästezimmer, Alfred schaffte noch ein paar weitere Eskalationsstufen. Am nächsten Morgen war der Spuk vorbei. Gruß- und wortlos waren die beiden türenknallend abgereist. Horrorgäste, nennt Helene die Halloween-Invasoren. Von Porschekommunisten spricht Georg seither.

„Jemanden zu Gast laden, heißt für sein Glück sorgen, solange er unter unserem Dache weilt“, postulierte der französische Gastrosoph Jean-Anthelme Brillat-Savarin in seiner 1826 erschienenen „Physiologie des Geschmacks“.

Gastliche Begegnungen erfolgen in der Regel auf dem Prinzip Freiwilligkeit. Ihr Ablauf ist wenig vorhersehbar, außer dass das Überschreiten von Wein-Obergrenzen schnell in unüberwindbare Gräben führen kann. Und dass man Geister – auch diejenigen, die man nicht rief – zu später Stunde in einer Gegend, in der sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen, nicht mehr loswird.

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