Johannas Fest: Respekt vor dem ganzen Tier

Innereien-Essen erregt bei vielen Zeitgenossen Abscheu erregt. Das hat verschiedene Gründe, schreibt Gastrosophin Zugmann.
Johanna Zugmann

Johanna Zugmann

Max Stiegl lädt zum pannonischen Ganslessen.

Er ist einer der bedeutendsten Köche unseres Landes und steht hinter dem Herd des Weingut Purbach im Burgenland. In seine Töpfe und Pfannen und auf den Grill kommen ausschließlich saisonale und regionale Zutaten – zum Teil aus eigenem Anbau oder eigener Zucht. Der gebürtige Slowene verwertet stets das ganze Tier; im Fall des Ganslessens auch Zunge, Leber, Magen, Brust, Ei, Haxerl, Bischof und Hals, lässt er seine Stammkundschaft via WhatsApp-Nachricht wissen.

Dass schon allein die Erwähnung von Innereien-Essen bei der überwiegenden Mehrheit unserer Zeitgenossen Abscheu erregt, hat verschiedene Gründe:

Mit zunehmendem Wohlstand wurden die Eingeweide als minderwertiges Essen klassifiziert. Aus den Organen eines Tieres Augenschmaus und Gaumenfreude zuzubereiten, erfordert weitaus mehr Kochkunst und Zeit als das Abbraten eines Steaks oder Grillen eines Hendels. Oft müssen die Zutaten stundenlang gewässert, gekocht und zugeputzt werden. Mit ein Grund, warum diese Gerichte kaum mehr auf den Speisekarten unserer an Personalmangel leidenden Wirtshäuser zu finden sind. Und sie kommen auch nur mehr in Ausnahmefällen auf die Teller unserer Familientische.

Das war in meiner Kindheit anders. Ich hatte fünf Geschwister. Wie meine früh verwitwete Mutter die Großfamilie durchfütterte, ließe sich retrospektiv als Vorwegnahme zweier Trends betrachten: Erstens gab es nur einmal pro Woche Fleisch. Zweitens kam ein halbes Jahrhundert ehe der britische Koch-Revolutionär Fergus Henderson die Devise „from nose to tail“ ausrief (also für die Verwertung des ganzen Tieres und nicht nur der Filets eintrat) auf den Tisch, was man damals als Zuwaag bezeichnete. Nierndln, Kuheuter gebacken mit Sauce Tartare, geröstete Leber, Hirn mit Ei und so weiter. Als französische Schweizerin war meine Mutter eine besonders gute Köchin und verstand es vortrefflich, auch aus den billigeren Fleischteilen jeweils ein Festmahl zuzubereiten.

Heute wird der Konsum von Fleisch nicht zuletzt wegen des mit seiner Produktion verbundenen hohen Ressourcenverbrauchs fast schon so kritisch angesehen wie das Fliegen, ökologisch korrekte Zeitgenossen setzen auf immer mehr Gemüse.

Innereien-Renaissance

Während die einen die vegane Revolution im Kommen sehen, interpretieren „Eingefleischte“ den Respekt vor dem ganzen Tier und den damit verbundenen Innereien-Verzehr als ein Statement gegen die Wegwerf-Mentalität und die Uniformität moderner Speisekarten.

Immer mehr Sterneköche rund um den Globus kreieren feine Innereien-Gerichte aus den weniger wertvollen Teilen, der einstigen Zuwaag. Diese auch zu verwenden, liegt nicht nur im kulinarischen Trend, sondern erfüllt auch die angesagte Forderung nach Nachhaltigkeit. Apropos Ressourcen-Schonung: Während Greta Thunberg ein Gespräch mit Donald Trump als reine Zeitverschwendung ablehnte, setzt Fergus Henderson, der vor einem Vierteljahrhundert mit seinem Partner Trevor Gulliver in London das inzwischen legendäre „St. John Restaurant“ eröffnete, gerade zum Sprung über den großen Teich an. Ab 2020 werden sich US-Gourmets auch in Los Angeles an seiner legendären „From-nose- to-tail-Küche“ delektieren können.

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