Der Hund in der Kunstgalerie

Der Hund in der Kunstgalerie
Ohne Daria in Florenz: Ein steinerner Hund als inoffizieller Uffizien-Torwächter biss mich umgehend ins Gewissen.
Birgit Braunrath

Birgit Braunrath

Da stand ich nun, an jenem Ort, den ich seit Jahrzehnten endlich einmal betreten wollte: in den Uffizien in Florenz. Ehrfürchtig betrat ich die heiligen Hallen der Kunstgeschichte, an meiner Seite der dazugehörige Mann, jedoch nicht der dazugehörige Hund. Erstmals seit Jahren waren wir zu zweit, ohne Daria, auf Reisen.

Und das Erste, was mich ansprang, war – ein Hund. Sozusagen der inoffizielle Uffizien-Torwächter, der mich umgehend ins Gewissen biss.

Also musste ich zuerst die Gewissensbisse notverarzten, ehe ich diesen Ort meiner Sehnsucht leichten Schrittes durchwandern konnte. Denn das schlechte Gewissen ist ein Hund. Das weiß jeder, der je eines hatte. Man ahnt, dass es unnötig ist und niemandem hilft, kann es aber nicht abstreifen oder einfach dem Nächstbesten, der vorbeikommt, umhängen, weil es mit einem selbst und dem eigenen Wertesystem zu tun hat. In meinem Fall beruhte die innere Unruhe darauf, dass wir Daria zum allerersten Mal bei meinen Eltern untergebracht hatten. Meine Sorge war, dass wir Oma, Opa und Hund damit womöglich heillos überfordert hätten.

Bild „Zwei müde Damen“

Irgendwo zwischen Gemälden von Botticelli und Tizian erreichte mich ein Foto von meiner Mutter. Es zeigte Daria als Bademeisterin, wie sie, am Pool liegend, meinen Vater beim Schwimmen bewachte. Darunter der – eher nicht nach Notruf klingende – lapidare Text: „Nachmittag.“ Kurz darauf kam ein Foto von meinem Vater. Es zeigte meine Mutter beim Zeitunglesen und Daria, die zu ihren Füßen schlief. Darunter der – ebenso wenig alarmierende – Text: „Zwei müde Damen.“

Allmählich dämmerte mir, dass hier niemand überfordert war. Außer mir, die ich schwer an meinem schlechten Gewissen trug. Ich stand gerade bei Giovanni da Bolognas Marmorgruppe „Herkules und der Zentaur“. Also gab ich mein schlechtes Gewissen einfach dort ab und ersuchte Herkules, es nach dem Sieg über den Zentauren auch gleich mitzuerlegen.

Als wir am sechsten Tag wieder heimreisten, schrieb ich meiner Mutter: „Passt es euch, wenn wir Daria so gegen 19 Uhr abholen?“ Und sie antwortete: „Passt gut. Wir müssen nur noch überlegen, ob wir Daria wieder hergeben.“

Kommentare