Frauen und ihr gelernter Selbstschutz: Die Angst geht immer mit

Frauen und ihr gelernter Selbstschutz: Die Angst geht immer mit
Nachts alleine nach Hause zu gehen, gilt als gefährlich - für Frauen. Warum die Verantwortung für Sicherheit bei Frauen liegt und die Mental Load schon beim Aus-dem-Haus-gehen beginnt.
Diana Dauer

Diana Dauer

Durch die Kopfhörer kommt keine Musik mehr. Ich habe sie pausiert, als ich ihn bemerkt habe. Sonst höre ich nicht, ob seine Schritte näherkommen. Sonst höre ich nicht, ob er mir nachgeht, hinter mir auch die Straßenseite wechselt, mir bis zur Haustüre folgt. Der größte Schlüssel an meinem Bund ragt wie eine Mini-Waffe durch die Finger der geballten Faust in meiner Jackentasche.

Es ist 0:30 Uhr. Fast bin ich bei meiner Türe. Jetzt spricht er mich an. Ich tue, als höre ich ihn nicht. Schließlich habe ich ja - sehr sichtbar - noch meine Kopfhörer auf. Ich gehe weiter, nur noch ein paar Schritte bis zur Haustüre. Ein kurzes Abwägen: Soll ich schnell ins Haus oder an der Türe vorbei, damit er nicht weiß, wo ich wohne? Er geht schneller. Ich war zu langsam. Er zieht an meinem Arm.  “Hey, warte. Du gefällst mir. Wollen wir nicht noch etwas trinken gehen?” Meine Absage macht ihn sauer.

Und er weiß jetzt, wo ich wohne. Das ist mir beim späten Heimgehen immer bewusst. Ab nun vermeide ich die kleine Gasse, ich gehe den längeren Weg über die große Straße.

Szenenwechsel: Ich jogge am helllichten Tag durch die Stadt. Es ist meine gewohnte Route. Seit Kurzem ist hier ein Gerüst. Als ich vorbeilaufe, werde ich wie Freiwild angebellt und angejault. Es sind keine Hunde. Das Gebelle kommt von einer Gruppe Männer auf dem Gerüst, die von oben – mich noch lange im Blick habend – jaulen, pfeifen und bellen (das Bellen war neu für mich). Nach außen bin ich hart, bin wütend, bleibe mitten auf der fünfspurigen Straße stehen und schreie meinerseits Vulgaritäten Richtung Gebelle aus der Höhe und weiß, dass sie mir von dort oben nichts tun. Und innen? Ich meide diese Straße, ändere meine Laufroute, die jetzt über die stark befahrene Straße führt und das Gerüst nicht mehr passiert.

Vermeiden, ausweichen, unsichtbar sein, nicht bemerkt werden, um “sicher” zu sein. Wie selbstverständlich bewegen sich Frauen mit automatischen Vermeidungsstrategien durch ihr Leben im öffentlichen Raum. Vor allem nachts.

Schon in Kinder- und Jugendtagen lernen wir Schutzmechanismen: Meide dunkle Gassen; meide verwaiste Unterführungen; wenn finanziell möglich, nimm ein Taxi statt öffentlich zu fahren oder zu Fuß zu gehen; merke dir das Nummernschild; steig nicht direkt vor der Haustüre aus; nimm den Schlüssel zwischen die Finger, damit du dich im Falle des Falles wehren kannst; achte darauf, ob dich jemand verfolgt. Steht sicher niemand hinter dir, wenn du die Türe aufschließt?

Diese Selbstschutzmechanismen sind nicht immer - wenn auch sehr häufig und zu oft - Reaktionen auf negative Erlebnisse, Übergriffe oder Gewalt. Sie sind von klein an angelernt. Wir lernen Schuhe zu binden, die Uhr zu lesen, Gefahren zu vermeiden.

Naturgesetze und Freiwild

Auch bei Burschen und Männern wird der Glaube an Sicherheit und Unversehrtheit im öffentlichen Raum mitunter ins Wanken gebracht.  Allerdings ist das meistens eher eine Reaktion auf negative Erfahrungen, während der öffentliche Raum für Frauen von vornherein als Risikoort gilt. Nächtliche Straßen, dunkle Gassen, fremde Männer sind als Gefahr für Frauen in uns allen abgespeichert. So ist das eben… Eine Art Naturgesetz, oder?

Die ständigen Vermeidungsstrategien sind aber nicht nur Selbstschutz, sondern soziale Normen, die von uns allen - inklusive mir - normalisiert sind und die Frauen dazu drängen, sich zurückzuhalten und sich “sicher” zu verhalten.

Verantwortung von Frauen

Die Verantwortung für die Sicherheit von Frauen im öffentlichen Raum liegt somit nicht bei potenziellen Tätern, sondern bei den Frauen selbst. Hier herrscht der Gedanke: Ich muss vermeiden, ich darf nicht auffallen, ich muss mich unsichtbar oder weniger leicht greifbar machen, damit ich vor Gefahr geschützt bin.

Das schränkt die Bewegungsfreiheit und das Verhalten von Frauen enorm ein. Dieser Umstand ist - in uns allen - so tief verwurzelt, dass es uns nicht weiter als sonderbar auffällt. Man kann sich hierbei selbst hinterfragen: Wie oft habt ihr einer weiblichen Person spätabends gesagt, sie soll Bescheid geben, wenn sie sicher zu Hause ist? Und wie oft zu einem Mann? 

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Aber wovor die Angst?

Die konstante mögliche Gefahr für Frauen im öffentlichen Raum wird nicht durch ihr eigenes riskantes Verhalten verschuldet - egal, wie kurz der Rock oder wie dunkel die Gasse war. Sondern sie liegt an unseren gesellschaftlichen Normen: an der “Gefahrenquelle Mann”, an unserer Wahrnehmung von Frauen, die im öffentlichen Raum Beute im Jagdgebiet sind und von der vielerorts verbesserungswürdigen, geschlechter-unsensiblen Stadtplanung, Angsträumen. Wobei man hier dazusagen muss: Niemand hat vor der Dunkelheit wegen der Dunkelheit Angst, sondern davor, wer in der Dunkelheit lauert. 

"Dauerzustand" ist die Kolumne von Newsdesk-Redakteurin Diana Dauer über die Lebenswelt als kinderlose Millennial-Frau, über das Älterwerden, Schablonen, die man ausfüllen muss und Alltags-Sexismus. diana.dauer@kurier.at

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