Haben Frauen den Arbeitsplatz zerstört? Lasst uns doch zusammen weinen
"Haben Frauen den Arbeitsplatz zerstört?" Unter diesem Titel hat die New York Times unlängst ein Meinungsstück veröffentlicht. Ein Podcast-Gespräch zwischen zwei konservativen Autorinnen, die sich selbst als Feminismus-Kritikerinnen bezeichnen. Helen Andrews, Autorin des Essays "Feminization of the Workplace", auf der einen Seite und Leah Libresco Sargeant, Autorin des Buches "The Dignity of Dependece", auf der anderen.
Alleine der gewählte Titel für das Meinungsstück erzeugte einen Shitstorm. Und Applaus. Die New York Times titelte um: “Hat liberaler Feminismus den Arbeitsplatz zerstört?” und titelte wieder um, "Haben weibliche Laster den Arbeitsplatz zerstört?"
Andere Wortwahl, gleiche Kernaussagen, nämlich: Liberaler Feminismus kapere Arbeitsplätze; die sogenannten Woke-Ideen hielten in Institutionen Einzug, die Me-Too-Bewegung habe die Art, wie wir arbeiten, verändert. Ach ja und vermeintlich weibliche Laster, wie Gossip, Konfliktvermeidung und Emotionalität würden überbetont und dabei männliches Verhalten, wie Vulgarität und sexuelle Belästigung herunterspielen.
Noch etwas Irritierendes: Ganz nebenbei werden durch die Titel und von den Autorinnen auch Feminismus und stereotype weibliche Attribute - oder wie es hier heißt "Laster und Tugenden" - vermischt. Ein Lexikon täte gut.
Aber gut, irgendetwas Weibliches soll also den Arbeitsplatz verhunzt haben. Ein Desaster. Alles zerstört. Ein Trauerspiel.
Es ist auch wirklich eine Tortur, dass man andere am Arbeitsplatz ohne Erlaubnis nicht anfassen sollte. Das Prinzip Konsens macht den ganzen Spaß kaputt. Und wie lästig, dass Frauen gleiches Gehalt und gleiche Chancen wie männliche Kollegen fordern. Mutterschutz, Arbeitsplatzgarantie nach Karenz, Karenz überhaupt und Anti-Diskriminierungsregeln. Was noch? Sollen wir etwa echte Gleichberechtigung erreichen? So weit kommt's noch. So kann man(n) doch nicht arbeiten.
Ich möchte an dieser Stelle die indische Journalistin Palki Sharma zitieren und den armen Betroffenen, denen die Frauen liberalen Feministen die Arbeitsplätze verhunzt haben, ausrichten: “Unsere Gedanken und Gebete sind bei euch!”
Na fein, ich drehe den Zynismus-Schalter wieder ab. Oh, ich höre es schon fast. Da schäumen die einen, da applaudieren die anderen. Und am stärksten fühlen sich jetzt jene von dem NYT-Kommentar verstanden, die fast 10 Jahre nach Beginn der Me-Too-Bewegung immer noch völlig verdattert die Ahnungslosen mimen, was sexuelle Belästigung (am Arbeitsplatz) eigentlich ist; die sich durch Frauenbeauftragte in Unternehmen bedroht fühlen; die sich durch Konsequenzen für belästigendes Verhalten in ihrem Menschenrecht eingeschränkt fühlen und oft aus voller Kehle und manchmal nur für sich selbst Misandrie (Männerhass) anprangern.
Meditation als Brücke: Ein Experiment
Nun ja, wie heißt es so schön in der Psychotherapie: Alle Gefühle haben ihre Berechtigung. Aber zur Klarstellung: Frauenfeindlichkeit und Misogynie sind keine Gefühle. Sie sind ein erlerntes System.
Aber tun wir einmal nur zum Spaß so, als wäre die misogyne Reaktion auf die "Zerstörung" des Arbeitsplatzes durch liberale Feministen, Frauen und oder weibliche Laster eine Emotion. Beginnen wir jetzt, unsere Emotionen zu regulieren. Wir atmen tief ein und aus. Gemeinsam. Einatmen. 2-3-4. Halten. 2-3-4. Wieder ausatmen. 2-3-4. Gut. Betrachten wir die Fakten:
Der ursprüngliche Essay von Andrews und das Buch von Sargeant haben einen Fokus auf die Situation in den USA - wo das Arbeitsrecht deutlich hinter den österreichischen frauenrechtlichen Errungenschaften liegt. Stichwort: Mutterschutz und Elternkarenz, Kündigungsschutz. Hier sind wir in Österreich besser aufgestellt. Die Stimmen, die sagen, dass “Frauen mittlerweile bevorzugt” würden, “Feminismus schon zu weit gegangen” sei, “früher alles besser” gewesen sei und “man nichts mehr darf", hört man aber überall und in vielen Sprachen.
Daher blicken wir kurz auf den von Frauen liberalen Feministen verhunzten Arbeitsplatz beziehungsweise das Arbeitsleben. Das ist in vielen Punkten nämlich tatsächlich verhunzt. Ein kurzer Auszug:
- Frauen übernehmen in Österreich den Großteil der unbezahlten Care-Arbeit und arbeiten deswegen viel öfter in Teilzeit als Männer.
- Frauen verdienen in Österreich im Schnitt 18,3 Prozent weniger als männliche Kollegen. Global gesehen verdienen Frauen 52 Cent von jedem Dollar, den Männer verdienen.
- Frauen sind in Führungspositionen unterrepräsentiert.
- Die bloße Existenz der Abwertungs-Theorie. Sie besagt, dass das Lohnniveau in einer Branche sinkt, wenn der Frauenanteil steigt.
- In Österreich ist jede vierte Frau am Arbeitsplatz von sexueller Belästigung betroffen.
Der Zusammenbruch der Gesellschaft
Und jetzt möchte ich noch einmal die Journalistin Palki Sharma zitieren: "Frauen tauchen auf, fragen nach Gleichstellung, Übernahme von Verantwortung und professionellen Standards und plötzlich tun wir so, als würde die Gesellschaft zusammenbrechen."
Ja, wir haben als Gesellschaft bereits einige Lücken verringert, einige Antidiskriminierungsgesetze erlassen und sind (Achtung!) woker geworden. Was im Übrigen nichts anderes bedeutet als “aufgewacht” oder “wachsam” zu sein und ein Bewusstsein für Ungerechtigkeit und Rassismus zu haben.
Jetzt denken sich einige: “Immer diese weinenden Feministen”. Danke auch für die Anteilnahme. Ich weiß, dass diese Situation tragisch ist.
So sind wir alle in einer traurigen Situation. Die einen sind traurig, weil sie durch Frauen einen verhunzten Arbeitsplatz zu haben glauben, die anderen sind traurig, weil der Arbeitsplatz für sie schon immer verhunzt war. Traurig. Das ist ein Gefühl. Darauf können wir uns einigen und können gemeinsam traurig in der Arbeit sein …
Jetzt war ich doch wieder zynisch. Ups.
"Dauerzustand" ist die Kolumne von Newsdesk-Redakteurin Diana Dauer über die Lebenswelt als kinderlose Millennial-Frau, über das Älterwerden, Schablonen, die man ausfüllen muss und Alltags-Sexismus. diana.dauer@kurier.at
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