Catcalling: Wollen Sie wirklich ein Hund sein oder belästigen Sie Frauen?

dog with leather leash waiting to go walkies
Kompliment? Sexuelle Belästigung? Warum man wirklich nicht mehr alles sagen darf und das eine gute Sache ist.
Diana Dauer

Diana Dauer

Kennen Sie den Satz “Ich wäre gerne ein Hund, damit mich eine so schöne Frau an die Leine nimmt”? Ein Mann sagte das zu einer fremden Frau, die mit ihrem Hund spazieren war. "Das ist ein altbekanntes Kompliment!", wurde mir wutentbrannt erklärt, als ich mich über einem Teller Pasta am Tisch in einer Runde über den Satz und die Situation beschwere.

Wirklich? Müssen wir wirklich wieder darüber reden? Leider, ja. Der Herr irrt sich nämlich. Es ist Catcalling und sexuelle Belästigung erster Güte. 

Sie sind anderer Meinung? Bloß ein Kompliment? Alles nett gemeint? Lassen Sie uns die Botschaft und die Situation, in der der Satz fällt, sezieren. 

Ich male Ihnen ein Bild: Eine Frau geht mit ihrem Hund Gassi. Dieser pinkelt an Laternen. Immer wieder hinterlässt er Häufchen, die sie mittels hauchdünnem, wärmedurchlässigem Sackerl (würdelos) aufklauben muss. So weit, so unerotisch. Sie geht weiter. Dabei wird sie von einem völlig Fremden aus dem Nichts angesprochen. Dieser fabuliert laut darüber, dass er gerne ein Hund wäre, damit sie auch ihn an die Leine nehmen würde. 

Welche möglichen Interpretationsvarianten kann es von dieser Aussage geben? (Spoiler: Es gibt nur eine richtige Antwortmöglichkeit und diese ist Variante drei)

Variante eins: Besagter Mann träumt davon, seine Notdurft an der frischen Luft zu verrichten. Unwahrscheinlich.                         

Variante zwei: Ein harmloses Kompliment, das es schon seit Jahrzehnten gibt. Falsch. 

Variante drei: Richtig. Das ist Catcalling. Also sexuelle Belästigung durch sexuell anzügliche Sprüche, Zischen, Pfeifen, Kussschmatzen, vulgäre Geräusche, anzügliche Gesten - manchmal sogar Miauen. Nachgeschmissen auf der Straße, in dunklen Gassen, in Öffis, in denen Betroffene sich nicht in voller Sicherheit wähnen können. Der Begriff stammt im Übrigen ursprünglich noch aus dem 17. Jahrhundert, wo er das Zischen der Missbilligung von Theaterbesuchern zu einem Stück beschrieb. Als Bezeichnung für sexuelle Belästigung wird er seit er #MeToo-Bewegung genutzt. 

Dieser Satz mag Frauen schon seit Jahrzehnten nachgerufen werden. Er war aber auch schon vor Jahrzehnten kein Kompliment, sondern sexuell belästigend. Die Welt hat sich weiterentwickelt - und die Stimmen der Frauen, die sich wehren, sind lauter geworden.

Unerträglich oft wird sexuelle Belästigung nach wie vor als Kompliment bagatellisiert. Und das obige Beispiel ist tatsächlich ein weniger explizites. Plastischere und vulgärere Kommentare sollen hier aber erspart bleiben. 

"Nichts darf man mehr sagen "

Männer haben keine fremden Körper zu komplimentieren. Punkt. 

Die vehemente Verteidigung als Kompliment (meistens durch die "Komplimentgeber"), fällt fast immer und ist immer falsch. Ganz unangenehm wird es, wenn die beleidigten und zurechtgestutzten "Komplimentgeber" im Abgang der Debatte dann noch den faden und falschen Beisatz poltern: “Man darf ja gar nichts mehr sagen.” 

Ach, wie öde ist doch diese Phrase. Es ist schon beinahe unangenehm, dieses durch die Manege des Gesellschaftskonflikts gezerrte Thema “Kompliment versus sexuelle Belästigung” an dieser Stelle zu beschreiben. Aber es zeigt sich auch auf der politischen Weltbühne, wenn Trump (ja, ich weiß, trotzdem) Meloni ein sexistisches "Kompliment" macht. Die Allgegenwärtigkeit der Problematik bedingt leider die Notwendigkeit. Ich dachte, wir wären alle schon weiter...

Denn nochmal: In Wirklichkeit ist es patriarchale Machtausübung und sexuelle Belästigung. Es ist nicht "nett gemeint“. Dahinter steckt was ganz anderes. 

Wäre es in der Tat ein Kompliment, hätte es nicht immer mit sexualisierten Bildern zu tun? Besagter Möchtegern-Hund ruft nicht: "Wow, den Hundekot hast du sehr gekonnt ins Gackerl-Sackerl manövriert." Es geht nicht um die Freiheit des Hundes, an die Hausecke pinkeln zu können. Es geht auch nicht darum, einer fremden Person etwas Nettes zusagen. Es geht ausschließlich um seine sexualisierte Vorstellung, um ihren Körper, um Macht und den patriarchalen Anspruch von Männern, Frauen und Mädchen zu belästigen. Es geht um die Selbstverständlichkeit, mit der sich ein Fremder einer Frau auf der Straße aufdrängt - und dabei noch dazu vorgibt, galant zu sein. 

“Ach, ihr in deiner Generation seid so sensibel!”- “Hab dich nicht so” - “Du verstehst keinen Spaß”

Frauen, die gecatcalled werden und sich wehren, werden als “übersensibel” und “Spaß-befreit” geframed. Ihr Protest wird dadurch lächerlich gemacht. Frauen haben den Ausdruck seiner Meinung und Fantasien über den eigenen Körper über sich ergehen zu lassen. Andernfalls seien es nämlich die Frauen, die die Männer in ihrer Freiheit einschränken, denn diese dürfen ja nichts mehr sagen…

Sind wir sensibel? Bin ich sensibel? Ja, gesellschaftlichem Fortschritt sei Dank, wird Belästigung nicht mehr überall als Kompliment verharmlost. Die Gesellschaft hat sich weiterentwickelt. In Deutschland etwa wird aktuell in der Koalition darüber debattiert, Catcalling strafbar zu machen. 

Wer solche “Komplimente” macht, belästigt. Wer solche “Komplimente” macht, hat den Schuss nicht gehört. Die trotzige Reaktion und Aggression darüber, dass es “früher okay” war, zeigt, wie schmerzhaft die Erkenntnis sein muss, gesellschaftlich abgehängt zu sein. Aber es liegt in der Verantwortung der Catcaller, ihr Verhalten zu ändern. Denn wer solche “Komplimente” macht, ist nicht mehr sozialverträglich. 

"Dauerzustand" ist die Kolumne von Newsdesk-Redakteurin Diana Dauer über die Lebenswelt als kinderlose Millennial-Frau, über das Älterwerden, Schablonen, die man ausfüllen muss und Alltags-Sexismus. diana.dauer@kurier.at

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