Strategische Inkompetenz: Für wie dumm haltet ihr euch?

Auf der Couch liegend hat er das Smartphone in der Hand und schaut drein. Aber schaut nicht auf, als sie ihn bittet, staubzusaugen.
Seine Aufmerksamkeit gilt dem Bildschirm. “Gleich”, gibt er ihr eine verzögerte, fast leblose Antwort und bewegt weiter keinen Finger - außer den Daumen, der im immer gleichen Tempo weiter von unten nach oben streicht. "Wie immer", denkt sie und weiß, dass sie es wieder selbst machen wird.
Und so spielen die beiden ihre Rollen im Repertoirestück "Alltag" perfekt weiter.
Ja, gleich ... wie immer...
Zweiter Akt: 30 Minuten später. Ein neuer Versuch ihrerseits. Er rührt sich zu einem lustlosen "Ja, gleich". Auch er weiß, wenn er ihren Ärger nur noch etwas durchtaucht, wird sie selbst saugen, wischen, aufhängen und zusammenlegen.
Ergo: Alles machen, was im Haushalt anfällt. Wie immer.
Dritter Akt/ Szenenwechsel: Sie hat alles gemacht. Stunden unbezahlter Arbeit geleistet, damit die Wäsche zusammengelegt und aufgehängt, der Boden gesaugt und gewischt, ..., die Wohnung wieder von ihrem gemeinsamen Alltagsleben grundgereinigt ist. Sie ist verschwitzt und wütend.
Wie geht es nun weiter?
Wird sie streiten? Wird er um Verzeihung bitten? Erkennt er, dass es seine Verantwortung ist, seinen Anteil am Haushalt zu übernehmen?
Nichts da. Er weiß, was jetzt kommt: Jetzt muss er nur noch ihren üblichen "nörgelnden" Monolog bis zu seinem Einsatz abwarten und mit seiner manipulativen "Logik" aufwarten: “Aber Schatzi, du lässt mich dir ja nicht helfen.” Oder: “Ich kann das nicht so gut wie du”; “Es passt dir ja nicht, wie ich es mache”; und meine Lieblinge: "Du kannst das viel besser. Ich weiß nicht, wie es geht, damit es dir passt" und "Ich dachte, du machst das gerne".
Und so leben sie glücklich bis ans Ende ihrer Tage? Ende?
So lebt er glücklich und ausgeruht
Falsch: So lebt (meist) er glücklich und ausgeruht, während (meist) sie die Hauptlast der unbezahlten Arbeit übernimmt. Das Muster-Beispiel der "Ich kann das nicht"-Strategie lässt sich auch auf unzählige andere unliebsame Aufgaben applizieren, die "typische" Frauenangelegenheiten sind. Etwa Betreuung von Kindern, Begleitperson in der Schule des Kindes sein, Kindergeburtstage - inklusive Geschenkbesorgung und Koordinierung mit den anderen Eltern, Begleitung inklusive Small Talk mit den fremden Eltern (Hinweis: Kaum jemand will mit fremden Eltern reden.); Pflege von kranken Kindern und Angehörigen, etc etc. Ihr könnt diese Liste selbst fortsetzen. Fakt ist: Im Schnitt leisten Frauen in Österreich täglich zwei Stunden mehr unbezahlte Arbeit als Männer.
Diese sich in Dauerschleife abspielende Schmiere der Arbeitsabwälzung hat einen Namen: Strategische Inkompetenz (auch "weaponized incompetence" genannt.)
Keine Heiligsprechung des Mindestmaß bitte
Kurzer Einschub: Bevor wir hier diese Strategie zerpflücken, muss schon eine erste Absurdität geklärt werden. In Sachen Haushalt, Kinder, Erziehung, Urlaubsplanung, soziale Verpflichtungen, etc. muss Mann der PartnerIn nicht helfen. Er hat seinen Beitrag zu gleichen Teilen zu leisten. Es geht ausdrücklich nicht darum, dass ein Partner die Güte und Großzügigkeit besäße, die Partnerin bei ihren Aufgaben zu unterstützen. Und er verdient hierbei schon gar kein Lob, wenn er einen Teil oder gar 50 Prozent der anfallenden To-Dos erledigt. Er ist nicht für das Mindestmaß heiligzusprechen. Also bitte streichen wir die Worte "Unterstützung" und "Hilfe" in diesem Kontext - und erst recht das Lob für jene, die Selbstverständliches tun.
Reden wir nun also über die Strategie hinter seinem sudelig dahin geschnulzten "Schatzi, ich kann das nicht", das auch mit hilfelosen Hundeblick nicht süß oder Mutterinstinkt erweckend ist, sondern lediglich dreist, respektlos und perfide.
Sei schlau, stell dich dumm
Von strategische Inkompetenz ist dann die Rede, wenn sich eine Person taktisch oder unbewusst als inkompetent ausgibt, um Verantwortung oder Aufgaben auf jemand anderen abzuwälzen. Das trifft auch zu, wenn eine Person eine Aufgabe absichtlich so schlecht macht, dass sie künftig nicht mehr um diese Aufgabe ersucht wird: À la "Sei schlau, stell dich dumm".
Während viele männlich sozialisierte Personen bei "Frauenangelegenheiten" strategisch unfähig sind, sind es weiblich sozialisierte Personen oft bei sogenannten "Männersachen", wie Handwerklichem - weil wir alle es so gelernt haben.
Und hier wird's wieder unausgeglichen. Auf Frauen wird durch strategische Inkompetenz deutlich mehr und häufiger abgewälzt. Oder wie oft muss euer Geschirrspüler installiert und der Luster montiert werden? (Bitte traut euch den Griff zur Leiter und Lusterklemme zu. Ein Schritt zu mehr Autonomie.)
Zudem sind all diese Aufgaben - handwerkliche, wie haushaltsbezogene - von allen gesunden Menschen machbar. Oder für wie dumm haltet ihr euch? Schließlich verdienen Männer im Schnitt 18,3 Prozent mehr, weil ihnen vermeintlich mehr Kompetenz zugesprochen wird. Dann besitzen sie auch die kognitive Kompetenz, die Wäsche richtig zu waschen und aufzuhängen.
Sie können nichts dafür?
Nun gibt es Stimmen, die den Strategen die Böswilligkeit absprechen, weil es sich um ein sozialisiertes und erlerntes Verhalten handelt. Aber: Erwachsene, gesunde Menschen sind in der Lage, erlerntes Verhalten zu ändern, umzulernen, sich ehrlich Mühe zu geben und endlich Verantwortung zu übernehmen - auch für so etwas vermeintlich Lapidares wie den Haushalt.
Um ein versöhnliches Ende zu finden, damit das Skript der Schmiere bei der Wiederaufnahme die notwendige Überarbeitung erhält: Lieber vermeintlich Inkompetenter, an deinem "Schatzi, ich kann das nicht so gut wie du" ist sogar etwas Wahres dran. Klar kannst du die Fenster nicht so gut putzen, wie deine Partnerin - du hast es ja auch noch nicht so oft geübt.
Aber ich glaub' ganz fest an dich. Übung macht den Meister. Ende.
"Dauerzustand" ist die Kolumne von Newsdesk-Redakteurin Diana Dauer über die Lebenswelt als kinderlose Millennial-Frau, über das Älterwerden, Schablonen, die man ausfüllen muss und Alltags-Sexismus.
Kommentare