Liebe, wen du willst, wenn du willst – nicht, wen du brauchst

Ich hatte neulich auf dem gynäkologischen Untersuchungsstuhl ein unerwartetes Erlebnis.
"Es ist toll", sagte meine Ärztin, während sie ihrem Handwerk nachging. Die Aussage war aber nicht dienstlich gemeint. "Ich hab’ jetzt begriffen, dass ich keinen Partner brauche", plauderte sie, das Spekulum einsatzbereit in der Hand.
Sie braucht - Betonung auf brauchen - keinen Partner.
Ich war positiv überrascht - nicht nur über die Offenheit der mir bisher noch völlig Fremden, sondern auch darüber, dass Lebensentwürfe wie ihrer immer schambefreiter gelebt und immer salonfähiger - oder Untersuchungszimmer-fähiger - werden.
Aussagen wie diese werden nicht mehr nur im Rahmen eines eingeschworenen FreundInnenkreises getätigt, in dem man sich gegenseitig im geteilten Lebensstil bestätigt. Das war auch hier nicht der Fall. Es war kein Manifest. Niemand hat sich zum feministischen Lesekreis verschwörerisch ins Hinterzimmer verzogen und niemand hat der romantischen Liebe abgeschworen (!).
Natürlich ist das tatsächliche Nicht-Brauchen das Ergebnis jahrzehntelanger Entwicklungen und trotzdem kein global geltender Fakt. Leider. Aber in Österreich brauchen wir Frauen schon seit einigen Jahrzehnten nicht mehr das Einverständnis der Ehemänner oder Eltern, um zu arbeiten, zu studieren oder eine Wohnung anzumieten.
Bei dieser Aussage geht es nicht nur um sozio-ökonomische Faktoren. Es geht ums Emotionale und die Erkenntnis, dass man auch ohne Partner glücklich und erfüllt sein kann. Die Frau Doktor muss es wissen.
Verliebtsein ist ein Bonus - oder eine Droge
Ja, Verliebtsein ist ein Hochgefühl (oder erschlägt durch Kummer - je nach Situation). Aber die westlich-gesellschaftliche Heiligsprechung einer einzigen Person fürs Leben ist nicht des Lebensrätsels Lösung. Nicht mehr zumindest. Und diese Erzählung ist vor allem: verklärend, überholt und löst Druck aus.
Die lebenslange Liebesverpflichtung als sinnstiftender Lebensinhalt ist nicht naturgegeben. Diese Vorstellung breitet sich erst seit etwa 250 Jahren in Europa aus. Und seither war die romantische Liebe durchaus umtriebig. Man kann ihr vieles, aber zumindest keine Untätigkeit vorwerfen. Ihr kultureller Output ist nicht von der Hand zu weisen - wobei es sich verhält, wie bei Nachrichten: Vom Guten und Einfachen lassen sich die wenigsten erschüttern. Das Tragische oder Unerfüllte hat deutlich mehr Nachrichtenwert und unsere Schmerztoleranz ist höher, als Außenstehende glauben.
Die Theorie, dass es für jeden Topf einen perfekten Deckel gibt, ist ja schön - aber überholt. Wissenschaft und Psychologie wissen heute, dass sich Gefühle verändern. Dass sich über die Zeit verändert, was man in einer/m PartnerIn anziehend findet.
Liebe muss keine Naturkatastrophe sein
Jetzt sagen einige sicher: "Ja, eh". Aber geht einen Moment in euch: Welches Bild habt ihr tatsächlich von Liebe und Leben?
Unsere westliche Gesellschaft ist besessen von der alles einnehmenden Liebe, die im Idealfall völlig unvorhergesehen über einen hereinbricht, wie eine Naturkatastrophe. Ignoriert werden dabei alle unromantischen sozialen, gesellschaftlichen und psychologischen Faktoren, warum wir uns verlieben. Und eben, dass Verliebtsein ein netter Bonus ist, der aufregend ist, Spaß macht - aber nicht lebenswichtig ist.
In uns läuft nach wie vor die Schmonzette: Wer nicht verliebt ist, dem/der fehlt was. Und erst, wenn sie/er den/die Eine/n gefunden hat, leben sie glücklich bis ans Ende ihrer Tage. Stimmt halt einfach nicht. Als Nicht-Verliebte ist man freier und unabhängig. Und es darf die ganze Zeit, um einen selbst gehen. Frei, wie ein Vogel zu sein, ist herrlich. (Probiert es mal aus)
Liebe deine Nächsten - etwa deine FreundInnen
Es gibt heute viel mehr Formen der Liebe, die an einem Tag wie dem Valentinstag zelebriert und wertgeschätzt werden sollten. Intensive Freundschaften etwa erfüllen heute auch bei Erwachsenen partnerschaftliche Funktionen: Vertrauen, Loyalität, Zuneigung, Beistand, Notfallkontakt, ReisepartnerInnen-Dasein. Etc.
In Deutschland hatte Bundesjustizminister Marco Buschmann 2024 die Einführung einer Verantwortungsgemeinschaft angekündigt. Dadurch sollen Personen mit unkonventionellen Lebensentwürfen, die Möglichkeit haben, im Notfall oder im Alter Verantwortung für einander übernehmen zu können. Das kommt auch nicht von ungefähr. Den Bund fürs Leben gehen heute immer mehr Menschen zu ihren FreundInnen ein - ganz ohne der Last und dem Druck der Verpflichtung einer lebenslangen amourösen Liebe.
Die Verbindung zu meinen FreundInnen überdauert bis heute alle wahrhaftig-geglaubten Lebenspartner. Die Liebe zu ihnen mag eine andere sein, aber erfüllend ist sie trotzdem.
Und noch für alle, die nun vielleicht ängstlich/sauer statt erleichtert sind, weil sie sich eine amouröse partnerschaftliche Liebe wünschen oder sie haben: Dass sie nicht gebraucht wird, heißt nicht, dass sie nicht gewünscht sein kann. Es ist doch schöner, von jemandem geliebt zu werden, weil er/sie dich will - und nicht weil er/sie dich braucht, oder?
"Dauerzustand" ist die Kolumne von Newsdesk-Redakteurin Diana Dauer über die Lebenswelt als kinderlose Millennial-Frau, über das Älterwerden, Schablonen, die man ausfüllen muss und Alltags-Sexismus.
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