Zeig nicht her deine Füße und schon gar nicht dein Gemächt

Wenn ich spätabends in der U-Bahn sitze und mir ein fremder Mann einen nackten Körperteil präsentiert, dann weiß ich, la vacanza è finita, ich bin wieder im Alltag angelangt.
Statt italienischer Meeresbrise weht mir fremder Männer-Atem durch mein sonnengebleichtes Haar. Statt Myrte, Lorbeer und Ginster steigt mir ein beißender, säuerlicher Geruch in die Nase. Ein allzu bekanntes Szenario spielt sich - mal wieder - ab. Eine neue Episode der grausigen Alltagsshow "Widerlinge in den Öffis belästigen Frauen":
Ein Mann streift durch die fast leeren Waggons, sein Blick fällt auf die allein sitzende Frau. Er bleibt stehen und das eindringliche Anstarren, das wohl nur durch Körperkontakt noch aufdringlicher würde, beginnt. Die U-Bahn mag ruckeln und wackeln, sein Blick aber bleibt fixiert. Wäre er nicht so plump durch die Gänge geschlurft, er würde an ein Raubtier erinnern, das gerade Beute taxiert.
Eindringen, Aufdrängen
Die nächste U-Bahn-Station zieht an uns vorbei, die nächste Phase der unerwünschten Begegnung wird eingeleitet. Trotz gähnender Leere und etlicher freier Plätze lässt sich der obsessiv Starrende auf einen Sitz schräg gegenüber sacken, wodurch sich die avisierte Beute seinem Blick nicht entziehen kann. Er weiß, ich weiß, dass er da ist, mich beobachtet. Er hat sich in mein Bewusstsein gedrängt und ich bin alert. Er ist in meinen Freiraum eingedrungen, hat sich meine Unbekümmertheit genommen.
Mist. Noch 5 Stationen, bis ich aussteigen muss. Oder soll ich früher raus?
Und dann zwingt er mich auf die nächste Intimitätsstufe, zwingt mir seinen Körper auf - und beginnt sich zu entkleiden.
Ich blicke aufs Handy, Adrenalin und Fluchtinstinkt kicken in meinem vom Urlaub vormals entspannten Körper, der in aufrechter Bewegungslosigkeit erstarrt. Soll ich jemanden anrufen?
Aber was regt sich da? Widerwillig hebe ich meinen Blick wieder, nur um festzustellen, was mir da entgegen ragt, ist ein nackter Fuß.
Fast stolz wird eine Ferse mit tiefem, blutenden Riss in der Hornhaut in mein unmittelbares Blickfeld gedrückt. Der andere Fuß ruht barfuß auf dem Schuh, ganz so als hätte er mit der blutigen Szene auf Sitzflächenhöhe überhaupt nichts zu tun.
Ekel und Verwirrung mischen sich mit dem Gefühl der Belästigung, des Übergriffs. Aber trifft das überhaupt zu? Zumindest bin ich mir jetzt relativ sicher, dass er mir barfuß und mit dem tiefen Hornhautriss in der Fußsohle nicht so schnell nachkommen würde. Ich fühle mich dennoch belästigt. Ganz ehrlich, er macht mir Angst. Ich warte auf den allerletzten Moment, bevor die Türen zugehen, springe auf und hüpfe aus der U-Bahn. Ich lasse den beißenden Geruch der geschundenen Fußsohle und seinen merkwürdigen Träger zurück.
Was war das? Das unangemessene Anstarren, die unnötige Nähe, das Ausziehen, den Blick fest auf mich gerichtet.... Und dann der Fuß? Ist das ein Kink, von dem ich nichts weiß, oder hatte er "nur" schmerzende Füße?
Der öffentliche Raum und seine entblößten Penisse
Auf den letzten Metern des Heimwegs gehen mir einige Gedanken durch den Kopf: Wo fängt Belästigung an? Ein fremder, nackter, beißend nach Essigpatschen stinkender Fuß mit Hornhautriss ist zwar ekelhaft, allerdings ist mir der Fuß lieber als der entblößte Penis, den ich ehrlicherweise nach dem Anstarren, dem sich zu mir setzen und vor allem dem Entkleiden erwartet hatte.
Es wäre leider nicht das erste Mal, dass mir fremde Männer, gegen meinen Willen, ihren Penis - erigiert und nicht - aufdrängen, im Kaffeehaus aus der Hose holen oder in der U-Bahn direkt neben mir onanieren. Und da bin ich bedauerlicherweise auch bei Weitem keine Ausnahme.
Die Regelmäßigkeit, mit der Belästigung in Öffis stattfindet, ist atemberaubend. Schlimmer als der Fußgeruch. Wer sich einmal in seinem Umfeld umhört, wird wohl nur wenige Frauen finden, die solche Erfahrungen noch nicht machen mussten. Sexuelle Belästigung in Öffis ist Alltag.
Allerdings fängt Belästigung nicht erst beim unerwünschten Körperkontakt, Grapschen oder dem entblößten Penis an. Sie beginnt viel früher. Ja, schon das unangemessene Anstarren oder anzügliche Blicke sind Belästigung.
Aber wer meint, in Österreich ist das ein Wien-spezifisches Problem, irrt leider. Im Juni präsentierte der Verein Wendepunkte eine Studie zu Belästigung in Öffentlichen Verkehrsmitteln in Niederösterreich. Von den über 1.000 Befragten erlebten 52 Prozent der Frauen und 13 Prozent der Männer Belästigung. (Alle Erkenntnisse der Studie zu sexuellen Übergriffen in Öffentlichen Verkehrsmitteln finden Sie hier)
Es gibt nur Anständige und Widerlinge
Die Folgen für Frauen und Mädchen als Teilnehmerinnen im öffentlichen Verkehr laut Studie: geringes Selbstbewusstsein, Angst im öffentlichen Raum, Angstverhalten und Stress, Verlust an Selbstständigkeit, Misstrauen gegenüber Fremden, schlechtere soziale Teilhabe, verfestigte Mobilitätsmuster, Normalisierung von Grenzverletzungen.
Die Alternative zu Übergriffen, Aufdringlichkeit, Angstmomenten, Penissen und scheinbar auch Füßen kann doch nicht sein, dass Frauen auf Individualverkehr ausweichen, nachts Rad fahren beziehungsweise viel Geld für Taxis ausgeben müssen.
Der öffentliche Raum ist kein Jagdrevier, hier gibt's weder Beute noch Jäger. Nur Anständige und Widerlinge. Die Wiener Linien haben vor einigen Jahren ihre Anti-Manspreading-Kampagne mit dem Spruch: "Sei ein Ehrenmann und halt' die Beine zam" gelauncht. Ich möchte das gerne mit einem neuen Merksatz ergänzen "Zeig nicht her deine Füße und schon gar nicht dein Gemächt".
Grazie und Gute Fahrt.
"Dauerzustand" ist die Kolumne von Newsdesk-Redakteurin Diana Dauer über die Lebenswelt als kinderlose Millennial-Frau, über das Älterwerden, Schablonen, die man ausfüllen muss und Alltags-Sexismus.
Kommentare