Schuld, Scham und Spiele: Was es bedeutet, eine Frau zu sein

Schuld, Scham und Spiele: Was es bedeutet, eine Frau zu sein
Am 8. März ist Weltfrauentag. Zeit, über die gar nicht so banale Frage zu reden, was es bedeutet, eine Frau zu sein.
Diana Dauer

Diana Dauer

Als mir das erste Mal bewusst wurde, dass ich eine Frau bin, wurde ich in eine kleine Hütte aus Stahlstäben gezogen. Ich wurde vor einen Autoreifen geschoben, der am sandigen Boden lag. Eine kleine, dreckige Hand drückte mir einen buschigen Ast in meine ebenso kleinen, dreckigen Hände. 

Meine Aufgabe: Das imaginäre Eigenheim putzen und für die Buben ein eingebildetes Mahl zubereiten. Als Kochtopf diente ein Autoreifen, der auf dem Boden lag, der Ast war Besen und Kochlöffel in einem. 

Wir waren im Kindergarten und ungefähr 5 Jahre alt. Das Spiel heißt Mädchen-Fang.

Die “Hausfrauen”-Arbeit war die Strafe für alle Mädchen, die beim Buben-Fangen-Mädchen-Spiel in die klebrigen Fänge der Mikro-Machos gerieten. Man kann sich das Spiel in etwa vorstellen, wie eine noch maskulinistischere Adaption von Räuber-und-Gendarm. Die Buben trifft keine Schuld – sie spielten nach, was sie kannten. Wir spielten mit.

Es setze die ersten Bausteine für das Konstrukt in meinem Kopf, was es bedeuten sollte, eine Frau zu sein. Ich sollte später also im Haus sein,  putzen und kochen, während die Buben draußen spielten?

Nun ist später. Seit dem kindergärtlichen Trad-Wife-Spiel sind über 25 Jahre vergangen. Aus dem Spiel wurde Realität, die sich heute für viele Frauen zumindest in Facetten anders darstellt. Aus den Stahlstäben wurden WG-Zimmer, Mietwohnungen, Genossenschaftswohnungen, Reihenhäuser, Einfamilienhäuser. Ja, das Spielbrett wurde modernisiert, die Regeln wurden aktualisiert – aber das Handicap haben auch jetzt noch Frauen. 

Das wollen viele der Mitspieler und auch manche MitspielerInnen nicht gerne hören. Eigentlich verständlich, schließlich müssten Männer dann ihren Spielvorteil erstens eingestehen und vielleicht auch noch einbüßen… Und das macht weniger Spaß. 

Aber nehmen wir uns doch anlässlich des Weltfrauentags (8. März) ein paar Momente, um die vielseitige Frage zu beleuchten, was es heute im Durchschnitt bedeutet, eine Frau zu sein. Vielleicht hilft uns das zu mehr Fair-Play? (Ok, nun setze ich Sport- und Spiel-Metaphern ein Ende)

Also, was bedeutet es, eine Frau zu sein?

Frau sein bedeutet, “sprachlich” mitgemeint zu sein, aber bei Krisen am härtesten getroffen zu werden und bei Gehältern, Beförderungen und der Besetzung von Spitzenjobs meist übergangen zu werden. 

Frau sein bedeutet, vermittelt zu bekommen, man sei zu grantig und übellaunig, wenn man fokussiert und ernst ist und nicht ständig seine Gesellschaft durch strahlendes Lächeln erheitert. 

Frau sein bedeutet, gesagt zu bekommen, man sei zu emotional für verantwortungsvolle Posten, aber Männern im Amt zuzusehen, wie sie sich vor laufenden Kameras streiten oder im Parlament Rauchbomben und Fäuste fliegen lassen.

Frau sein bedeutet, im Durchschnitt 18 Prozent pro Stunde weniger zu verdienen als männliche Kollegen, ein deutlich höheres Risiko für Altersarmut zu haben und mit einer höheren Armutsgefährdung zu leben.  

Frau sein bedeutet, im Durchschnitt 25 Prozent weniger Jahre in Gesundheit zu leben als Männer. Das verdanken wir dem Gender Health Gap. Frauen erhalten häufig deutlich spätere richtige Diagnosen und eine wenig angemessene gesundheitliche Versorgung. Das liegt einerseits daran, dass medizinisches Personal Berichte von Frauen über Schmerzen und Symptome weniger ernst nimmt und die medizinische Forschung auf die männliche Anatomie und Symptomatik ausgerichtet ist.  

Verantwortung als Selbstverständlichkeit

Frau sein bedeutet, die Verantwortung für Verhütung zu tragen, aber für Schwangerschaftsabbrüche verurteilt zu werden. 

Frau sein bedeutet, nicht zu entsprechen, sich zu schämen und schuldig zu sein. Eigentlich immer: Wenn man Sex hat, wenn man keinen Sex hat. Wenn man Kinder hat, wenn man keine Kinder hat. Wenn man “trotz” Familie “zu viel” arbeitet. Wenn man wegen der Familie nicht arbeitet; Wenn man Kinder will, wenn man keine Kinder will; Wenn man sich pflegt, wenn man sich nicht genug pflegt; Wenn man belästigt oder missbraucht wird, haben wir es provoziert?

Frau zu sein heißt, immer die Verantwortung für alles zu tragen. Angefangen bei der Mental Load und unbezahlten Care Arbeit aber auch in emotionalen Belangen. Schließlich seien wir Frauen ja emotional reifer . . .Wer als Frau in einer schlechten heterosexuellen Beziehung (um nicht toxischen Beziehung zu sagen) mit einem cis-Mann war, ist selbst schuld. Denn man hätte es sich erst gar nicht gefallen lassen dürfen und überhaupt hätte man als feinfühlige Frau doch wissen müssen, dass er ein mieser Typ ist.Nur haben wir als Frauen leider nie gelernt, eigene Bedürfnisse zu priorisieren und Grenzen setzen zu dürfen. Diese emotionale Verantwortung wird nicht als Last gesehen, sondern als eine Art “angeborene Selbstverständlichkeit”. 

Schuldig sein 

Frau zu sein heißt, zur Männer-Hasserin stilisiert zu werden, wenn man das Patriarchat kritisiert. Dabei will man (oder ich zumindest) die ängstlichen, zornigen Buben einfach nur in den Arm nehmen, weil sie vor lauter Panik, ihre Privilegien zu verlieren, nicht erkennen, dass sie selbst enorm unter dem Patriarchat leiden (Männer haben ein höheres Risiko für: Suizid, Mord und Gewalt, Depression, geringere soziale tiefe Verbindungen – um nur die tragischsten zu nennen). 

Und bei all dem bitte immer schön lächeln, hübsch, jung und zurückhaltend sein – wie damals vor dem alten Autoreifen – sonst darfst du nicht mitspielen. 

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