Männer äußern sich oft erst ehrlich zu Gleichstellungsthemen, wenn keine Frauen anwesend sind.
Das Berater-Duo Herr & Speer schafft deshalb 'Safe Spaces' für Männer, um Vorurteile und Ängste offen zu diskutieren.
Wie Männer wirklich über Frauenquote, Feminismus und Co. denken, hat das Berater-Duo im soeben erschienenen Buch "Wenn die letzte Frau den Raum verlässt" festgehalten.
Welchen Archetypen von Männern Herr & Speer in den reinen Männerrunden begegnen und ob deren Aussagen gerechtfertigt sind, verraten sie im KURIER Interview.
„Bei uns wird man nur noch befördert, wenn man eine Frau ist.“ „Wir brauchen schon Männer- statt Frauenförderung.“ „Ich bin ja selbst kein Sexist. Ich habe fast nur Frauen im Team, fördere sie seit Jahren.“ „Frauen sind doch schon gleichberechtigt.“
Hand aufs Herz. Wie viele dieser Sprüche haben Sie bereits gehört? Oder gesagt? Sollte beides nicht der Fall sein, genügt es, das Wort Feminismus in den Raum zu stellen. Oder noch mutiger: Frauenquote. Dann fängt die Diskussion so richtig an.
Vincent-Immanuel Herr und Martin Speer kennen das Phänomen. Das Duo „Herr & Speer“ schreibt Artikel im Spiegel und in der Zeit, berät internationale Unternehmen und deren Führungskräfte und ist als „HeForShe“-Botschafter für UN Women Deutschland unterwegs. Die Mission: mehr männliche Verbündete gewinnen, die sich für die Gleichstellung von Frauen und Männern einsetzen. Ein hartes Pflaster.
Die Berater Vincent-Immanuel Herr (links) & Martin Speer (rechts) sind oft in Männerrunden unterwegs
Sichere Männerräume: Warum es sie braucht
Ungefiltert trauen sich nämlich nur die wenigsten Männer zu sprechen. Über Privilegien, die sie angeblich haben und freiwillig abgeben sollen. Über das eigene Gefühl, ungerecht behandelt zu werden. „Das Thema ist ein Minenfeld“, hören die Berater oft. Man könne nur verlieren.
Also eröffneten sie sogenannte „Safe Spaces“. Sichere Räume nur für Männer, in denen alles gesagt werden darf, was auf der Seele brennt. Es zeigte sich: Der Redebedarf ist groß. Was passiert, wenn die letzte Frau den Raum verlässt, haben sie jetzt in ein Buch gepackt (siehe weiter unten). Dem KURIER gab Vincent-Immanuel Herr pünktlich zur Veröffentlichung ein Interview. Über Videocall aus Missouri, wo er sich gerade in Elternzeit befindet.
KURIER: Jetzt wollen wir es wissen: Was passiert, wenn die letzte Frau den Raum verlässt?
Vincent-Immanuel Herr: Männer positionieren sich, teilen Vorurteile oder fragen, ob das mit der Ungleichbehandlung wirklich so schlimm ist. Unser Eindruck ist, dass viele Männer gelernt haben, über Gleichstellung zu sprechen, wenn Frauen dabei sind. Das ist dann zensiert, vielleicht zurückhaltend. Unsere Hoffnung ist, mit diesen Gesprächsrunden den Druck aus dem Kessel zu nehmen. Gedanken rauszulassen, konstruktiv darüber zu sprechen. Das passiert viel zu selten in Unternehmen.
Was wollen Männer sagen – und dürfen nicht?
Generell herrscht ein fehlendes Verständnis, in welchen Situationen sich Frauen im Beruf wiederfinden. Viele Männer haben das Gefühl, Gleichstellungsmaßnahmen wären überzogen. Frauen werden übervorteilt, Männer benachteiligt. Eine häufige Sorge ist, als Mann nicht mehr befördert und außen vor gelassen zu werden.
Was mit einem Blick auf die Zahlen schnell widerlegt ist.
Es stimmt tatsächlich in den meisten Fällen nicht. Wir sehen das auch in den Unternehmen, in denen wir sind. Männer werden sehr wohl befördert. Ihre Sorgen sind also größer als das Problem, mit dem sie es zu tun haben. Dennoch sind die Ängste real und lassen einen großen Widerstand entwickeln.
„Bei uns wird nur noch die Frau befördert“ Der Blick nach Österreich zeigt: Führungsebenen sind männlich. Es gibt mit Radka Doehring von Immofinanz sage und schreibe einen (!) weiblichen CEO in den 55 im Wiener Börse Index gelisteten Unternehmen. Eine neue Deloitte-Studie zeigt außerdem, dass rund die Hälfte der heimischen Unternehmen derzeit keine Erhöhung des Frauenanteils in den obersten Führungsetagen plant. Ein Fünftel beklagt einen Mangel an qualifizierten Frauen.
In Ihren „Safe Spaces“ beobachten Sie zehn Archetypen von Männern – vom Alpha bis zum stillen Mann. Wer lässt sich am einfachsten als Verbündeter gewinnen?
Gut arbeiten kann man mit dem Pseudofeminist und dem Durchschnittsmann. Der Pseudofeminist ist in der Regel jemand, der das Problem schon ein bisschen verstanden hat. Der aber auch denkt, in der Praxis schon genug zu machen. Er überschätzt sich also selbst und unterschätzt die Thematik. Der Durchschnittsmann ist der größte Männertypus, also die Mehrzahl der Männer fällt in diese Kategorie. Er ist deshalb interessant, weil seine Sprüche, die er äußert, typisch sind für eine männliche, unreflektierte Einstellung. Das ist kein beinharter Sexismus, aber eine vollkommene Ignoranz dem Thema gegenüber.
Hätten Sie ein Beispiel?
Eine der häufigsten Aussagen, die wir im Unternehmenskontext hören, ist: Wir entscheiden nicht nach Geschlecht, sondern nach Kompetenz. Wenn ich das höre, weiß ich, der hat das Problem nicht verstanden. Weil er davon ausgeht, in einem Bewerbungsgespräch neutral beurteilen zu können, wer die hochqualifizierteste Person ist. Und nicht von Vorurteilen geprägt zu sein. Schon der Ähnlichkeitsbias, also die Person zu wählen, die einem ähnlich ist, ist enorm stark.
Ist das schon Chauvinismus?
Sie wollen in aller Regel nicht, dass es Frauen in ihrem Leben schlecht geht. Das zeigen uns Statistiken. Wenn sie also anfangen, das Thema zu verstehen, haben sie durchaus eine Offenheit.
Wie dringen Sie durch?
Die einzig effektive Methode, Männer zu aktivieren, ist, ihnen zu zeigen: Das Problem ist nicht weit weg. Es passiert nicht nur Frauen in Hollywood, sondern den eigenen Kolleginnen, Partnerinnen. Wir müssen es also sehr persönlich, fast schon schmerzhaft machen.
Konkret passiert das wie?
Wir holen anonymisierte Alltagserfahrungen von Sexismus ein, die Frauen innerhalb ihres Unternehmens machen. Wir konfrontieren die Männer damit, was sich ihre Kolleginnen teilweise anhören müssen. Wie sie übergangen oder behandelt werden. Da tritt bei vielen ein Schockmoment ein oder die Debatte fährt zumindest runter. Es kommen Sprüche wie: „Ich hätte nicht gedacht, dass es das heute noch gibt.“
„Wir brauchen Männer- statt Frauenförderung“ Unternehmen haben in den vergangenen Jahren gezielt Programme installiert, um Frauen in ihrer beruflichen Laufbahn zu unterstützen. Warum? Wenige Frauen in der Führungsetage (siehe oben), Gender-Pay-Gap (Frauen verdienen aktuell 12,2 Prozent weniger) und Gender Pension Gap (2024 bekamen Frauen 40,1 Prozent weniger Pension als Männer) sind nur ein paar der Gründe. Männliche Kollegen reagieren auf Frauenförderung laut dem Berater-Duo Herr & Speer mit „Karrieren auf dem Silbertablett“. Nicht wenige Männer würden Diskriminierung gegenüber Männern stärker wahrnehmen als gegenüber Frauen. Dabei sind Frauenprogramme frisch und beginnen überhaupt erst langsam zu greifen.
Das überrascht Sie vermutlich nicht. Sie sagen: Wer selbst kaum Sexismus erlebt, kann sich schlicht nicht vorstellen, dass es ihn gibt.
Das ist der Punkt, den wir wirklich versuchen, zu vermitteln, auch den weiblichen Leserinnen. Ich bin ja selbst ein weißer, deutscher Kerl. Jemand wie ich erlebt gar keine Diskriminierung. Männer verstehen das Problem nicht, weil sie das Gefühl haben, es ist nicht so groß, wie Frauen beschreiben. Und Frauen verstehen nicht, dass Männer sich nicht mehr dafür engagieren, weil es für sie so präsent ist.
Diskussionen führen dann oft ins Nichts. Frauen sagen, sie werden schlecht behandelt. Männer nennen Gegenbeispiele, wo es ihnen genauso geht. Ist das fair?
Da reißt mir manchmal ein bisschen der Geduldsfaden. Diese Relativierung passiert eigentlich bei jeder Veranstaltung, die wir machen. Da muss man schon klar dagegenhalten. Ja, es gibt viele Probleme, die Männer haben, die wir auch lösen müssen. Aber das ist nicht vergleichbar mit strukturellem Sexismus, den Frauen erleben. Als Gesellschaft wiederum beschäftigen wir uns sehr stark mit Männerproblemen, allein wenn wir uns medizinische Untersuchungen und Forschung anschauen. Wie viel Geld investiert wird. Männer fallen wirklich nicht unter die Räder.
Der Verlust von Privilegien fühlt sich oftmals wie eine Ungerechtigkeit an
von Herr & Speer
in „Wenn die letzte Frau den Raum verlässt“
Wie finden beide Parteien zueinander?
Das Thema ist kompliziert und gleichzeitig ist die Lösung nicht kompliziert. Es geht wirklich darum, Verständnis aufzubauen. Miteinander zu reden, Frauen zuzuhören, ihnen zu glauben. Das sind ja alles keine radikalen Forderungen.
Mit der Gleichstellung verstärkt sich natürlich auch der Wettbewerb. Warum sollte jemand, der bislang Privilegien genossen hat, freiwillig auf sie verzichten?
Es ist schon richtig – nähern wir uns einer gleichberechtigten Gesellschaft an, werden es Männer, vor allem die durchschnittlichen, schwieriger haben, eingestellt oder befördert zu werden. Oder in einen Chefposten aufzusteigen. So ehrlich muss man sein und das vermissen Männer häufig. Aber aktuell sehen wir die Situation, dass Männer eben nicht aufgrund ihrer Qualifikation aufsteigen, sondern weil sie Männer sind.
Ist ja sehr angenehm.
Wir Männer müssen uns überlegen, ob wir zu einem Gesellschaftssystem beitragen wollen, wo Mütter, Schwestern, Kolleginnen und Ehefrauen gut behandelt und respektiert werden. Sicher unterwegs sein können. Oder ob wir Teil eines Systems sein wollen, in dem das nicht der Fall ist. Indem sie unterbrochen, unterschätzt, sexistisch angegriffen werden. Eigentlich kann man kein Interesse an dieser Welt haben, auch wenn es bedeutet, einmal nicht befördert zu werden. Vielleicht wird es dann ja die Partnerin, dann profitiere ich auch davon.
Vincent-Immanuel Herr & Martin Speer: „Wenn die letzte Frau den Raum verlässt“ | Ullstein Verlag | 208 Seiten | 20,60 Euro
Möchte Mann jetzt Verbündeter werden, was muss Mann tun und wird er von Frauen dafür respektiert?
Was Frauen natürlich nicht wollen, ist, dass man ihnen jetzt erklärt, wie Gleichberechtigung funktioniert. Aber geht man ernsthaft mit einer Portion Demut hinein, mit der Bereitschaft zuzuhören, von Frauen zu lernen und auch anzuerkennen, als Mann das Thema nicht so gut zu verstehen, ja. Es braucht die Bereitschaft, Kritik zu bekommen und anzunehmen. Ich selbst beschäftige mich viel mit dem Thema und mache regelmäßig Fehler.
Eine Möglichkeit wäre natürlich auch, Ihr Buch zu lesen. Aber da wissen wir: Lesen werden es nur die, die das meiste davon schon gehört haben. Also Frauen. Oder sollen sie Partner und Kollegen zur Lektüre zwingen?
Das gibt es schon, wir haben von mehreren Frauen gehört, das Buch explizit für ihren Mann oder Bruder zu bestellen. Eine Journalistin, die das Buch vor Erscheinung erhalten hat, hat es ihrem Mann und ihren Söhnen gegeben. Und gesagt: Im Skiurlaub sprechen wir dann darüber. Unsere Hoffnung ist also schon, dass das Buch irgendwie seinen Weg in Männerhände findet. Wir haben jetzt auch keinen Zauberstab dafür, aber vielleicht ist das eine weitere Aufgabe von männlichen Verbündeten: Das Buch anderen Männern weiterzugeben.
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