Girl Hate: Warum ich andere Frauen "gehasst" habe

Girl Hate: Warum ich andere Frauen "gehasst" habe
Jahrelang wollte ich Schneewittchen unter den sieben Zwergen sein, bis ich gemerkt habe: Ich bin ihre böse Stiefmutter.
Diana Dauer

Diana Dauer

"Wer ist die denn? Die ist ziemlich hübsch. Die anderen scheinen sie zu mögen. Ich hoffe, die bleibt nicht da. Ich mag sie nicht, sie soll weggehen", zieht dieser unwillkürliche Bewusstseinsstrom seit Teenager-Tagen seine giftigen Schleifen durch meinen Kopf. 

Körperlich begleitet wird der mentale Shitstorm von Gefühlen wie schwefelig-saurem Neid, leise siedender Missgunst oder - selten bis nie - sogar stechender Eifersucht, die sich irgendwo zwischen Brust, Solarplexus und Magen breit machen.

Nach außen allerdings ist diese missgünstige Toxizität in ein Kostüm aus kontrollierter Kühle und Gleichgültigkeit gehüllt - mit einem Hauch Arroganz und Herablassung drapiert. Bloß nichts anmerken lassen, sonst riecht die "Gegnerin" meine Angst … denn natürlich liegt nichts anderes dahinter als primitive Unsicherheit.

Jede will die Einzige sein

Dieser Mechanismus ist ein furchtbar anstrengendes Versteckspiel, das immer dann abgespielt wurde, wenn ich mir eingebildet habe, eine Frau - oder früher ein Mädchen - könnte mir meine Position abspenstig machen. In Gefahr sah ich meine Rolle als Mädchen im sonst ausschließlich männlichen Freundeskreis, meine Rolle als kumpelhafteste Frau, meine Rolle als was-auch-immer-ste Frau. Kurz: In meiner unbewussten und nicht-realen Rolle als "Einzige" oder noch schlimmer als "einzig Wahre". 

Alles Feindinnen

Meine heterosexuellen männlichen Freunde können ein Liedchen davon trällern, dass ihre neuen Vielleicht-bald-Freundinnen es anfangs mit mir oft nicht leicht hatten. Das Misstrauen beruhte allerdings oft auf Gegenseitigkeit: Man musste sich langsam annähern, meistens mit positivem, amikalen Ausgang - aber zuerst musste bewiesen werden, dass die jeweils andere keine Gefahr darstellt. Völlig absurd wurde sich benommen, wie Neandertalerinnen, die um einen Platz am Feuer konkurrieren. Die Feindschaft schwelte freilich nur subtil. Kaum bemerkbar für ein nicht eingeweihtes Auge, aber furchtbar anstrengend für alle beteiligten Herausforderinnen.

Gargamel und andere Frauen sind schlecht

Dieses Phänomen hat jedenfalls einen Namen und heißt treffend: Girl Hate (Der Begriff wurde schon 2011 von der US-Bloggerin Tavi Gevinson eingeführt.)

Viele Frauen, die das hier lesen, wissen genau, wovon ich spreche. Nicht weil Girl Hate anatomisch auf dem zweiten X-Chromosom pickt, sondern weil wir von klein auf von dieser Dynamik sozialisiert wurden, dieses Verhaltensmuster erlernen. 

Wir haben schon durch Unterhaltungsprogramm für Kinder gelernt: Gargamel ist böse und es kann nur eine Schlumpfine unter Schlümpfen geben. Es kann sich nur eine Frau im Männer-Pool über Wasser halten. (Auch das Schlumpfinen-Prinzip genannt). 

Weitere Beispiele gefällig? Schneewittchen und die sieben Zwerge, die Wilden Kerle, Hermine neben Harry Potter und Ron Weasley, etc. etc.

Dir schenk' ich den vergifteten Apfel

Die disneyesque oder Grimm'sche Personifikation dieser Emotion gegenüber anderen (fremden) Frauen ist wohl die böse Stiefmutter in Schneewittchen. Wir erinnern uns: "Spieglein, Spieglein, ..." und so weiter … und wir wissen, was die böse Frau mit Schneewittchen machen wollte - sie aus Eifersucht zerstören.

Das giftige Verhaltensmuster treibt sein Unwesen aber nicht nur in Freundschaftsdynamiken - auch der Berufsalltag kann davon durchsetzt sein. 

Viele Frauen und Mädchen haben genau dieses Verhalten von ihren weiblichen KollegInnen und/oder Vorgesetzten erlebt und es - nicht selten - weiter reproduziert, wohl weil sie es nicht reflektieren. Andere Frauen im Berufsalltag werden sabotiert, statt ihnen Stütze und Mentorinnen zu sein.

Zu viele - auch ältere - Frauen scheinen diesbezüglich aus ihrer Haut nicht herauszukommen. Vielleicht auch, weil sie zu hart kämpfen mussten, um dorthin zu kommen, wo sie sind? 

Wir zementieren die Männerdomänen

Ergebnis dieser Girl-Hate-Prägung ist, dass sich Frauen, anstatt sich gegenseitig durch Männerdomänen zu helfen, automatisch bekämpfen, Ellenbogen auspacken, ihr Revier markieren, sich gegenseitig runterdrücken, statt hoch zu helfen. 

Und warum? Schuld daran ist einer meiner Lieblingsbösewichte (um im Märchenbild zu bleiben): das Patriarchat. 

Jetzt ist das Patriarchat auch noch daran schuld, dass sich Frauen untereinander bekämpfen, fragen sich nun wohl einige? Ja, leider irgendwie schon. Girl Hate führt dazu, dass Männerdomänen männlich dominiert bleiben und Frauen in der Einzahl. 

Viele der entwertenden Begriffe, die Frauen im Berufsalltag füreinander fast naiv salopp verwenden, reproduzieren sexistische Herabwürdigungen: "Zicke, schläft sich hoch, anstrengend, etc. etc."

Wir zementieren die frauenfeindlichen Strukturen leise, während wir genau diese laut monieren.

Feminismus und Girl Hate: Wie passt das zusammen?

Selbst in Menschen mit feministischen Werten, wie mir, entsteht Girl Hate, sobald sich eine Frau aus der Anonymität der weiblichen Masse, mit der ich mich solidarisiere, herauskristallisiert und als Individuum in meine persönliche Welt dringt.   

Ich habe Jahre und viel zu viel Energie darauf verschwendet, andere Frauen nicht zu mögen, mich von ihnen bedroht zu fühlen. Irgendwann (es ist kürzer her, als mir lieb ist) war es mir zu anstrengend und vor meinen Kumpels auch peinlich, wenn sie (richtigerweise) behauptet hatten, ich würde gegen andere Frauen agitieren. 

Die ständige Ausrede, dass die das ja bei mir auch machen, wurde mir zu blöde. Besonders schwerfiel mir aber die Akzeptanz, dass gerade ich mich jahrelang so unfeministisch verhalten habe. 

Andere Frauen - ungefähr im selben Alter und heute etwa maximal 10 Jahre jünger - nicht zu “hassen”, ist eine aktive Entscheidung gegen ein erlerntes Verhaltensmuster, die ich regelmäßig aufs neue treffen muss. Aber: aktiv freundlich, offen, einladend, unvoreingenommen oder einfach nur nett zu einer neuen Frau im Umfeld zu sein, war für mich ein Befreiungsschlag. So esoterisch es klingen mag, es ist so befreiend, endlich andere Frauen mögen zu können, Komplimente machen zu können, zu gönnen, sich mitzufreuen. 

Ich merke, dass immer mehr Frauen den erlernten Girl Hate bewusst reflektieren. Nicht nur in meinem Alter (Anm.: 30). Jüngere Frauen scheinen in ihrem Selbstverständnis gestärkter als ich es war und begegnen einander von Haus aus offener und solidarischer. 

Ich hoffe, das wird ein Dauerzustand. Bis dahin: Eat the Girl Hate. 

Dauerzustand" ist die Kolumne von Newsdesk-Redakteurin Diana Dauer über die Lebenswelt als kinderlose Millennial-Frau, über das Älter werden, Schablonen, die man ausfüllen muss und Alltags-Sexismus.  Jedes Wochenende auf Kurier.at

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