"Medeas Töchter" als System-Erhalterinnen
Ihre Geschichte – in unterschiedlichsten Varianten – „die Sage meiner Mutter füllt seit 2500 Jahren die Bühnen der Welt. In gewisser Weise ist sie der absolute Kassenschlager, ein Rockstar der Theatergeschichte, die Beyoncé der Antike. Medea. Und der Untertitel müsste lauten: Wer hat Angst vor der Schwarzen Frau.“ Ein Zitat aus „Medeas Töchter“. Fünf Schauspielerinnen- gleichzeitig auch (Mit-)Texterinnen – spielten Ende Juni im Dschungel Wien in einem „Showing“ beeindruckend Monologe rund um „heutige“ NachfahrInnen dieser sagenumwobenen Figur. Im Rahmen des Wiener Kultursommers werden sie ihre starken Auftritte auf Wiener Plätzen wiederholen.
Showing: Medeas Töchter* gingen/gehen offline
5 systemrelevante Performances
Dschungel Wien, diverCITYLAB/ Aslı Kışlal & Magdalena Chowaniec
Regie: Corinne Eckenstein
Texte: Tunay Önder, Elif Bilici, Cecilia Kukua, Lilie Lin, Inés Miró, Ivana Nikolic
Systemrelevante Performerinnen*: Elif Bilici, Cecilia Kukua, Lilie Lin, Inés Miró, Ivana Nikolic
Assistenz: Katharina Fischer
Wann & wo?
Im Rahmen des Wiener Kulltursommers "Wien dreht auf!"
25.Juli 2020, 18 Uhr
1220, Hannah Arendt Platz
https://kultursommerwien.at/veranstaltung/medeas-toechter/
26. Juli 2020, 18 Uhr
1190, 12.-Februar-Platz
https://kultursommerwien.at/veranstaltung/medeas-toechter-2/
Genauere Infos: Medeastoechter
In den meisten Versionen – von der Antike weg – gilt Medea als Kindsmörderin. Jason, dem Anführer der Argonauten, zuliebe verhilft sie diesem zum Goldenen Vlies, verrät dafür die eigene Familie, flieht mit ihm in seine Heimat. Wird dort als Fremde angefeindet, er will sich ihr entledigen, um die Tochter von König Kreon zur neuen Frau zu nehmen. In manchen Versionen wird sie von der bösen Mörderin ihrer eigenen beiden Kinder zum Opfer dieses Ver- und Ausgestoßen-Seins, was ihre Tat erklären soll. Andere stellen aber auch in Frage, ob ihr diese beiden Morde nicht nur in die Schuhe geschoben worden seien.
Medea-Gasse
Wie auch immer, die Sagenfigur Medea wurde zum Ausgangspunkt für eine sehr umfangreiche Auseinandersetzung mit dem Stoff, dieser Figur als mögliches Symbol einer sehr starken, eigenständigen Frau, einer „Fremden“. Dschungel Wien, DiverCITYLAB und da namentlich Corinne Eckenstein und Aslı Kışlal sowie Magdalena Chowaniec konzipierten eine stark work-in-progress-Arbeit mit jungen Schauspielerinnen.
Mit der bekannten Rapperin Esra Özmen und der ebenso berühmten Slam-Poetin Yasmo haben zeitweise bis zu 50 junge Frauen Geschichten von jungen Frauen* (bewusst mit Stern, weil auch die geschlechtliche Zuschreibung in Frage gestellt wurde/wird) geschrieben. Die sollten zu einer Bühne-Performance verwoben werden. Dann kam – eh schon wissen mit Ausgangsbeschränkungen, Abstands-Geboten und Vereinzelung bis Isolation. Die Arbeit ging – den Umständen angepasst – weiter – in Wohnungen, Gärten und im Freien wurden Monologe aufgenommen und später als es wieder möglich war, Kleingruppen-Auftritte im Freien – unter anderem bei der Medeagasse in Wien-Favoriten (nahe der U1-Station Alaudagasse) gefilmt.
Von der Kassierin bis zur Krankenschwester
Aus den vielen Texten und unterschiedlich langen Monologen erarbeiteten die fünf Schauspieler*innen Ivana Nikolic, Inés Miró, Lillie Lin, Elif Bilici und Cecilia Kukua eine knapp einstündige Performance. Zunächst tritt jede in einem Solo als Protagonistin eines neuerdings systemrelevanten Berufes auf: Supermarkt-Kassierin, Krankenschwester, Friseurin, Schauspielerin sowie Reinigungskraft und damit Viren-Wegwischerin.
Textlich fließen so manche Merkwürdigkeiten aus der Corona-Hochphase ein – vom Schokogeschenk bis zum Trinkgeld an der Kassa für davor unbeachtete oder von oben herab betrachtete Kassierin bis zu Lob und Beklatschen vormals gering geschätzter Tätigkeiten. Dabei würden sich die betreffenden aber nichts anderes wünschen als gerechte Entlohnung und Anerkennung auch jenseits außergewöhnlicher Krisensituationen. Heldinnen auf Zeit – mit bitterem Beigeschmack.
Kämpfen - (auch) gegen Normen
Die jungen „Töchter Medeas“ jammern nicht, sie zeigen das eine oder andere auf, finden, starke Kämpferinnen wie Greta oder Malala sind auch alles Töchter Medeas und damit ihre Schwestern. Und sie stellen das in Frage, was noch immer zu oft als „normal“, als Druck der Norm zu entsprechen, gilt – in Rollen- und in geschlechter-Zuschreibungen.
Schauspielerin, NICHT Dienstleisterin
Und damit die überkommene – überwiegend von patriarchal denkenden Männern – Zuschreibung der Figur der Medea selbst. Das kommt nicht zuletzt in der Text-Passage zur Sprache, die sich mit dem Theater in der Lockdwon-Phase selbst beschäftigte: Wir brauchen 100 m² für fünf Leute zum Proben. Ich habe den ganzen Raum für mich alleine. Woow endlich bin ich privilegiert. Wie war das: Niemand kommt, niemand geht. Wir warten auf Godot, aber nix passiert. All die autoritären, hierarchischen Regeln machen mich echt fertig. In der Gesellschaft, auch im Theater.
„Du solltest einfach machen, was ich dir sage. Du bist eine Dienstleisterin“, sagte ein Regisseur bei einer Probe. Dann habe ich gesagt: Ich bin keine Dienstleisterin, ich bin eine Schauspielerin. Manche Regisseure denken, dass sie Gott sind und ich eine Puppe.“
"Der undankbare Flüchtling"
Ein wunderbar dazu passendes Zitat aus dem Buch "Der undankbare Flüchtling von Dina Nayerei (Verlag Kein & Aber), das schon hier stand, habe ich leider zu früh veröffentlicht. Das Buch erscheint erst am 1. September 2020 und selbst Zitate dürfen nicht davor veröffentlicht werden. Der Verlag hat gebeten, es - vorläufig - zu entfernen. Wird daher erst ab diesem Zeitpunkt hier wieder eingefügt.
Entschuldigung, Sorry, be bachshid
Kommentare