Ob’s an den Anklängen auf Flucht und Umgang mit Schutzsuchenden liegt, dass Medea auf heimischen Bühnen Saison hat? Medea und mit ihr einige andere Menschen aus Kolchis flüchten mit den Argonauten an Bord vor den diktatorischen Zuständen nach Korinth. Nach anfänglicher Aufnahme werden sie und vor allem Medea zunehmend an den Rand gedrängt, mit Gerüchten diskreditiert und schließlich sogar verbannt. Im Wiener Volkstheater und im Linzer Landestheater wird nach Franz Grillparzers Fassung gespielt. Zwar ein wenig unterschiedlich motiviert ist bei ihm ebenso wie bei Euripides die Frau Mörderin ihrer Kinder. Und nun „Medea. Stimmen“ im Wiener Kosmos Theater.
Kritikerin diffamiert
Dieses Haus, das geschlechtersensibel programmiert, greift daher natürlich zu Christa Wolfs Version. Die deutsche Autor, Grande Dame der DDR-Literatur, hatte vor mehr als 20 Jahren also im wiedervereinigten Deutschland, die oft als „Zauberin“, „Hexe“, „edle Wilde“ klassifizierte Medea vom Jahrtausende alten Vorwurf, Mörderin der eigenen beiden Kinder und ihres Bruders zu sein, befreit. In ihrem Roman – mit Figuren aus Euripides Drama und eigenen fiktiven – biegt sie aber die Geschichte nicht zurecht. Sie findet eine plausible Story, dass die Frau, die vor dem Unterdrücker-Regime flieht, sich in der neuen Heimat auch nicht ducken, unterkriegen lassen will. Wenngleich Korinth offenbar formal nicht wie Kolchis Diktatur ist, sondern auf Gold und Reichtum setzt, haben auch hier die Herrschenden kein Interesse an der Wahrheit und schon gar nicht an grundlegender Kritik.
Die aufrechte, gebildete, redegewandte Medea wird des Hochmuts geziehen, gegen sie intrigiert und nach ihrer Verbannung wird ihr obendrein der Tod ihrer Kinder als Mord in die Schuhe geschoben. Dabei haben die Korinther die beiden Kinder, die Medea beim (Ex-)Ehemann Jason zurücklassen musste, gesteinigt – als Menschenopfer, um Götter und Göttinnen sanft zu stimmen. Nach einem Erdbeben brach die Pest aus. Auch daran soll Medea Schuld tragen.
Perspektiven-Wechsel
Eineinhalb Stunden dramatisierte Version des Romans auf einer Bühne aus stilisierten Wellen erzählen verdichtet – hin und wieder untermalt durch live-musikalische Klänge, die dramatische Stimmungen illustrieren - die Geschichte: Wie bei Wolf jeweils aus der Sicht verschiedener (Haupt-)Figuren: Medea, Jason, hin und wieder auch Glauke (kranke, verunsicherte Tochter von Korinths König Kreon). Und dazu die Wolf’schen Figuren Akamas (Astronom) und Agameda (Schülerin der Heilerin Medea, die weil sie sich zurückgesetzt fühlt Oberintrigantin wird) sowie von Leukon (einem weiteren Astronomen). Jason verrät seine Ehefrau, um seiner eigenen Macht willen, Akamas durchschaut alles und kann sogar die weitere Entwicklung abschätzen, als Zyniker schlägt aber er sich auf die Seite der Macht...
Die Höflinge, die sich anfangs einigermaßen offen gegenüber den Flüchtlingen gaben, schätzen aber deren, insbesondere Medeas kritischen Geist genau so wenig wie ihr Selbstbewusstsein, würden vielleicht lieber bettelnde Unterwürfigkeit bevorzugen. Und scheinen nicht ungern den Rufen des Pöbels gegen die Migrant_innen nachzugeben.
Verkopft
Der Abend bleibt jedoch über weite Strecken verkopft, nur ganz selten sind die starken Gefühle, die die Handelnden antreiben, zu spüren. Eine spannende intellektuelle Auseinandersetzung mit der mythologischen Figur samt bewussten Anklängen zur Gegenwart. Schon vor nicht ganz zehn Jahren sagte Christa Wolf in einem Interview mit der Wochenzeitung „Die Zeit“ (25. Oktober 2007): „Eben dieses sich in der Geschichte wiederholende Muster mag das auffällige Interesse an dem Stoff in der Gegenwart hervorrufen. Wenn unsere Kultur in Krisen gerät, fällt sie immer wieder auf das gleiche Verhalten zurück: die Schuld bei Außenseitern suchen, diese ausgrenzen, sie zu Sündenböcken stempeln... Für mich wäre die größte Errungenschaft unserer Zivilisation nicht das neueste Raumschiff, sondern die Lösung von dem Zwang, Sündenböcke zu opfern: ein Fortschritt in der Humanität, nicht in der Technik.“
Medea. Stimmen nach dem Roman von Christa Wolf
Bühnenfassung: Julia Nina Kneussel, Martina Theissl Regie: Julia Nina Kneussel Medea: Anne Grabowski Jason, Presbon: Jan Hutter Akamas, Leukon: Jens Ole Schmieder Agameda, Glauke: Petra Staduan
Dramaturgie: Martina Theissl Musik: Markus Jakisić Ausstattung: Caro Stark Regieassistenz: Stephanie Kohlross
Die Rechte der Bühnenfassung „Medea. Stimmen“ nach dem Roman von Christa Wolf liegen bei Kiepenheuer Bühnenvertrieb
Wann & wo? Bis 18. März 2017 KosmosTheater; 1070, Siebensterngasse 42 Telefon: (01) 523 12 26 www.kosmostheater.at
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