Schulen und Kindergärten: Die wirklichen Fachleute dazuholen!
„Unsere Sorge gilt allen Kindern und Jugendlichen in Österreich, genauso aber auch den unbegleiteten minderjährigen MigrantInnen, die in überfüllten Flüchtlingslagern in Griechenland leben“, sagt Dr. Ernst Berger, Kinder- und Jugendpsychiater, der auch im Leitungsteam des Netzwerks Kinderrechte Österreich aktiv ist.
„Jetzt geht es darum, Betreuung und Betreuungsqualität unter COVID-Bedingungen sicherzustellen“, so der medizinische aber eben auch psychologische Fachmann. „Prüfungen zu ordnen ist zu wenig, Lernen und Gemeinschaft müssen organisiert werden!“, so die von ihm pointierte Forderung des Netzwerks, eines Zusammenschlusses von mehr als 40 Vereinen, Organisationen und Einrichtung, die sich in Österreich für die Rechte einsetzen, die die UNO-Kinderrechtskonvention seit mehr als 30 Jahren verankert.
Wie kann Alltag in Kindergärten laufen?!
„Dazu brauchen wir das Wissen jener, die in der täglichen Praxis mit Kindern arbeiten: Wie kann der Alltag in Kindergärten gestaltet werden? Wie kann Betreuung UND Schutz stattfinden? Die Antworten auf diese Fragen müssen JETZT entwickelt werden. Und zwar in dialogischen Prozessen gemeinsam mit jenen, die etwas davon verstehen. Das sind PädagogInnen, ÄrztInnen, Kinderrechts-ExpertInnen, als auch SchülerInnen selbst. Ministerielle Weisungen können nur das Resultat dieser Prozesse sein, nicht der Anfang!“, macht der ehemalige Leiter der Kinder-Abteilung am Neurologischen Krankenhaus Rosenhügel aufmerksam, der Erfahrung mit sehr herausfordernden Situationen hat (mehr dazu weiter unten).
Niemanden zurücklassen
Das Netzwerk Kinderrechte Österreich erinnert die Bundesregierung an die Bundesverfassung: „Bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen öffentlicher und privater Einrichtungen muss das Wohl des Kindes eine vorrangige Erwägung sein.“ Auch die Worte des UNO-Generalsekretär António Guterres – siehe auch Link hier unten - sind bei der österreichischen Bundesregierung scheinbar noch nicht angekommen: „Was als öffentlicher Gesundheitsnotstand begann, hat sich zu einem gewaltigen Test für das globale Versprechen, niemanden zurückzulassen, entwickelt. […] Lassen Sie uns unsere Kinder schützen und ihr Wohlergehen sicherstellen.“
Nicht nur auf Österreich schauen
„Selbst wenn die durch das Virus verursachte Krankheit bei Kindern mild verläuft, sind Kinder eine bedrohte Gruppe. Unsere Sorge gilt allen Kindern und Jugendlichen in Österreich, genauso aber auch den unbegleiteten minderjährigen MigrantInnen, die in überfüllten Flüchtlingslagern in Griechenland leben“, so Berger.
Hilfe vor Ort: Neuen Covid-Hotspot vermeiden!
Das Netzwerk Kinderrechte Österreich verweist in diesem Zusammenhang auch darauf, dass die Verantwortung für Kinder nicht an den Grenzen Österreichs enden darf. Österreich hat sich zur Einhaltung der UN-Kinderrechtskonvention verpflichtet.
Die Evakuierung der Flüchtlingslager in Griechenland zur Vermeidung der Entstehung eines neuen Covid-Hotspots wäre auch für die dort lebenden Kinder der sinnvollste Schritt. Das Mantra von der „Hilfe vor Ort“ wird unter Katastrophenbedingungen sinnlos. Die Abgeordneten des Europäischen Parlaments weisen auf 1600 unbegleitete minderjährige Migrant_innen hin, die in andere EU-Länder gebracht werden sollen.
Das Netzwerk Kinderrechte fordert die Bundesregierung auf, „zumindest einen Minimalbeitrag zu leisten und sich an diesem Schritt zu beteiligen. Die Verweigerung, dem Beispiel anderer europäischer Staaten zu folgen, ist unmenschlich und lässt jede Verantwortung gegenüber Kindern, egal welcher Herkunft, vermissen.“
Bildung und Sicherheit
Erst seit kurzem wird auf die Gefahren hingewiesen, denen Kinder durch das Leben unter isolierenden Bedingungen ausgesetzt sind: Bildung und Sicherheit – zwei zentrale Kinderrechte – sind nicht gewährleistet. Gewalt in Familien wird durch Arbeitsplatz- und Einkommensverluste gefördert. Nicht nur bildungsferne und armutsgefährdete Familien können ihre Kinder beim Distance Learning nicht ausreichend unterstützen. Die öffentlichen Bildungseinrichtungen – Kindergärten und Schulen – müssen ihre Funktion wieder aufnehmen.
Extremfall – und doch eine individuelle, verträgliche Lösung
Ernst Berger erinnert sich im Zusammenhang mit Corona bzw. Covid 19 an eine natürlich nicht vom Umfang aber im konkreten Einzelfall äußerst herausfordernde Situation im Neurologischen Krankenhaus Rosenhügel, das er lange geleitet hat.
„Wir hatten ein Kind nach einem schweren Schädel-Hirn-Trauma zur Rehabilitation bei uns. Dieses Kind hatte aus der Intensivstation des Krankenhauses noch dazu einen sehr ansteckenden MRSA-Keim sozusagen mitgebracht. Damit setzte eine Schutz-ablauf ein mit Schleusensystem und voller Schutzkleidung für alle – ob Pflegende oder Besuchende – die zu dem Kind ins Zimmer kamen.“
Flexibel
Er habe damals als leitender behandelnder Psychiater gesagt, man könne ein Kind nicht wochenlang diesen sterilen Bedingungen aussetzen. „Wir haben uns dann alle im Team zusammengesetzt und jede Fachkraft – ob Physiotherapeutin, Pflegekraft, die das Kind gefüttert hat, Ärzt_innen oder auch die besuchenden Verwandten – hat versucht beides – entsprechend angepasst zu vereinen: Hygienische Sicherheitsstandards aber auch eine erträgliche Lebenssituation für das Kind.“
Daraus schlussfolgert der Fachmann in Analogie: Es müssen - insbesondere im Kindergarten und in der Volksschule - diese Pädagog_innen, die mit den Kindern arbeiten, gefragt und einbezogen werden in brauchbare, flexible Lösungen, die das wohl der Kinder berücksichtigen. Und nicht zuletzt im Sinn und Geist der Kinderrechtskonvention sollen, nein müssten auch Kinder und Jugendliche dabei zu Wort kommen und gefragt werden.
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