Alte und neue Königsdramen in uralten Gemäuern
Rechts und links Stück uralter Mauern, daneben ein modernes Glasgebäude. Dieses ist wiederum der Eingang zu den teils unterirdischen rund 800 Jahre alten „Kasematten“, den teils unterirdischen Gewölben im Festungsbau von Wiener Neustadt. Die Kasematten wurden für die vorjährige hier stattgefundene Landesausstellung renoviert und nach langem erstmals wieder zugänglich gemacht. Dafür wurden teils Betonwege gegossen und die Anlage mit Strom und Leuchten versorgt. Diese Räume werden weiterhin kulturell bespielt, ab Anfang März mit dem Festival „Bloody Crown – Europa in Szene“ des Vereins „Wortwiege“. Die Räume „verführten“ die künstlerische Leiterin Anna Maria Krassnigg und ihr Team sofort zu Königsdramen. Und da landest du bald einmal bei Wiliam Shakespeare, sagt Krassnigg im Interview mit Kinder-KURIER und schauTV.
Wr. Neustadt dank Lösegeld für Löwenherz
Einerseits bevorzuge sie es, selten gespielte Stücke in Szene zu setzen. Und so landete sie bei „König Johann“. Außerdem ist dies das einzige Stück Shakespeares in dem Österreich vorkommt. Und es hat viel mit Wr. Neustadt zu tun. König Leopold V und Richard Löwenherz waren gemeinsam mit Frankreichs Philipp II - und deren Heeren - auf dem zweiten Kreuzzug im Heiligen Land. Dort zerstritten sich die Heerführer, Löwenherz, der Engländer, erlitt auf seiner Rückreise Schiffbruch im Mittelmeer, musste übers europäische Festland, u.a. durch Österreich. Da wurde er gefangen genommen. Und gegen 3 ½ Tonnen Silbe freigelassen. Mit einem Gutteil des Lösegeldes wurde Wr. Neustadt gegründet.
Trüffelschweine
Auf vieles seien die Künstler_innen, so gestehen sie im Interview – siehe unten – erst während der vorbereitenden Recherchen draufgekommen. „Wir haben den Ruf, Trüffelschweine zu sein. Wenn man lang genug wühlt in Geschichten, kommen neue Geschichten raus und es kommt etwas über Geschichte heraus. In diesen Räumen ist das besonders toll“, sagt Krassnigg.
Und sie freut sich über den „Glücksfall, dass die Übersetzung von Dürrenmatt so großartig ist. Der hat das sprachlich kernig gefasst.“
Ein altes Königsdrama
„König Johann“ wird in einer Friedrich-Dürrenmatt-Nachdichtung des Shakespeare-Stücks in einem der Räume der Kasematten gespielt. Links und rechts stehen alte Kirchenbänke, auf denen das Publikum Platz nimmt. So war's geplant - für die Aufführungsserie im Frühjahr. Die fiel Corona zum Opfer. Nun, wo wieder gespielt werden kann, wurde dieses Stück in einen gröeßren Raum verelgt - mit Sesseln im - eh schon wissen - Abstand. Gespielt wird vor allem auf einem breiten Holzstreifen zwischen den Publikumsreihen - und run um diese Barriere. Die Holzbahn wird zum Tisch - zum essen, dann wieder zu Verhanldungen. Aber auch zum angedeuteten Schlachtfeld, zur Grenze zwischen verfeindeten Armeen usw.
Unter den Schauspieler_innen sind drei – Petra Staduan, Isabella Wolf und Nina C. Gabriel (u.a. Österreich, also Leopold) -, die auch im zweiten „Königsdrama“ spielen. Dort sind sie die einzigen Darstellerinnen. Während Gabriel als Leopold den am Geschehen eher Desinterssierten gibt, wird sie als Eleonore, Johanns Mutter, die im Hintergrund die Fäden ziehende Herscherin - ihr Wille geschehe.
Bürgerinnen und Bürger werden lediglich zu Schachfiguren in den Plan- Intrigen- und Machtspielen der Herrschenden. Der Bevölkerung der von französischen und englischen Heeren umkämpften Stadt Angers hiflt nicht einmal ihre Neutralität, bei der Vernichtung der Stadt und ihrer Menschen sind sich die verfeindeten Armeen einig.
Ein neues Stück
Das zweite Stück – „Die Königin ist tot“ – baut auf dem nicht einmal zehn Jahre jungen gleichnamigen Roman von Olga Flor auf. Die dramatische Fassung besteht fast ausschließlich aus Originaltext des Romans. Es handelt sich dabei um eine moderne Version von Lady Macbeth. Die Autorin konzentrierte sich auf die Frau des (nicht nur) Königsmörders Macbeth. „Lady Macbeth hab ich deswegen so interessant gefunden, weil sie eine sehr starke Frauenfigur ist mit einer fast schon modernen Beziehung zu ihrem Mann. Die agieren wirklich gemeinsam als Paar, das sich miteinander berät. Bei Shakespare gibt es ja wenige glückliche Paare, die verheiratet werden. Entweder sind sie tot oder sie warten noch auf die Paarwerdung“, erklärt die Romanautorin ihre Auswahl für den Stoff.
Medientycoon
Den übertrug sie in die USA der Neuzeit. Aus Duncan, dem ermordeten König, machte sie einen modernen Herrscher, ein Medientycoon. Sie, die über fast die ganzen fast 150 Seiten namenlose Hintergrund-auftraggeberin für den „Königs“-Mord, nennt sich nur an einer einzigen Stelle gegen Ende des ersten Fünftels „Lilly“.
Drei-Einheit
Das wurde in der Bühnenfassung einer der Namen des Trios. Die anderen Lady M sowie Königin. Wobei sie alle drei die eine Haupt-, im Stück überhaupt die einzige Figur sind. „Wir sind Olga Flors Einheit, wir sind die Königin, die drei Aspekte dieser Frau“, sagen die drei Schauspielerinnen im Interview im Chor. Isabella Wolf als Lady M. übernimmt den Part der Strategin, Nina C. Gabriel mimt als Königin den Racheengel und Lilly (Petra Staduan) fühlt sich für die Gefühle zuständig. „Das Schöne ist, dass wir von allen immer wieder eine Facette spielen und uns gut abstimmen. Wir wurden so besetzt. Und das passt“, kommt’s wieder beinahe im Chor. Und natürlich spielt die Drei-Einheit auch mit der Anspielung auf die drei Hexen samt Weissagungen und Flüchen in Shakespeares Macbeth. Von dem ausgehend es übrigens eine Reihe von Aberglauben gibt – manche sprechen nie den Titel aus, sondern sprechen nur vom „schottischen Stück“, andere haben Angst davor, daraus zu zitieren bzw. sagen, wenn, dann müsste mindestens gleich lange Zitate aus Shakespeares Komödien aufgesagt werden. Abergläubis ist offenbar die Romanautorin nicht. Beim probenbesuch von KiKu und schauTV trug sie ein T-Shirt, auf das sie selber ein Zitat eines Macbeth-Monologs aus Shakespeares Original geschrieben hatte.
Hypermodern im alten Gemäuer
Die „Königin ist tot“ spielt in einem anderen Raum. Der hölzerne Bühnenaufbau wird im Betondesign bemalt. Die Fläche zwischen Gehwegen wird mit Wasser gefüllt. Das erinnert an den hochhausturm am Rande des Sees im Roman. Zu diesem Ambiente hatte sich Flor von einem Hochhausturm am Rande Chicagos an einem See inspirieren lassen. In diesem Lake Point Tower residierte übrigen u.a. US-Talkmasterin Oprah Winfrey. Für Flor war es der letzte Rückzugsort, der Turm in der Burg. Vor allem hatte Flor sie ihn einst als alleinstehenden Turm erlebt und später kamen immer mehr Hochhäuser in der Umgebung dazu. Das erinnerte sie an den Hexen-Spruch bei Shakespeare, dass sich Macbeth nicht zu fürchten brauche, solange der Wald von Birnam nicht aufrücke. Und die gegen den Tyrannen zu Hilfe geholten Angelsachsen sich Äste zur Tarnung vorhielten, als sie die Burg des Schottenkönigs auf Dunsinane angriffen.
Faszination König_innen?
Über die beiden konkreten Stücke – von alt bis hypermodern – hinausgehend, drängt sich die Frage auf, was fasziniert so viele Menschen an Geschichten über Royals. Weniger die guten, alten Shakespeare’schen Dramen, sondern vor allem sogenannten News über Meghan, Harry & Co.
Dazu meinte die Leiterin des Festivals und Regisseurin beider Stücke, Anna Maria Krassnigg im Interview: „Auch ganze tolle Drehbücher der jüngsten vergangenen Jahre von englischen oder US-Serien - Game of Thrown, House of Cards - verlaufen klar nach der Königsdramen-Dramaturgie: Es geht um Aufstieg und Fall von Macht und Mächtigen, rise and fall of power. Menschen sind interessiert, wie Macht entsteht, wie sich Mächtige bekämpfen, bekriegen, verraten, fallen, wieder aufstehen usw. Seit der Antike sind Menschen daran interessiert.Spannend aber ist, dass es in jüngster Zeit wieder so eine Hochkonjunktur dabei gibt. Ich vermute, pessimistischerweise, weil wir mit neuen mittelalterlichen Strukturen zu tun haben. Wenn man sich die Herrschaften anschaut, die rundum regieren – im Nahen Osten, in den USA, in Europa, dann haben die was von Feudalherren. Das hat man glaub ich so vor 20 Jahren nicht gedacht.
Wie kommen wir weg davon
Ihre Regie-Kollege und der Dramaturg, Jérôme Junod ergänzt: „Aber man darf nicht vergessen, dass Demokratie in der Geschichte der Menschheit immer noch eine Ausnahme gebildet hat und auch heute noch eine Ausnahme ist. Gerade in einer Zeit, in der Demokratie so wackelt, weil die Herausforderungen – Migration, Klima, und, und, und – größer werden, merken wir, dass wir gar nicht so weit entfernt sind von diesen monarchischen, royalen Systemen wie wir eigentlich seit der französischen Revolution geglaubt haben, dass wir sind. … Diese Stücke transportieren aber auch die Botschaft, wie könnte es doch anders sein. Wie können wir wegkommen, von royalen, feudalen Strukturen. Wie kommen wir zu positiveren Ausblicken, zu einer Stärkung jener Elemente, die Demokratie wollen.
Diskussionen
Um genau diese und andere Fragen drehen sich die begleitenden Vorträge und Diskussionen während des Festivals „Blutige Krone“ – in einem weiteren Raum in den Kasematten – u.a. mit dem Philosophen Franz Schuh, der Politikwissenschafterin Ulrike Guérot, der Psychoanalytikerin und Konfliktforscherin Susanne Jalka oder dem Kulturwissenschafter Wolfgang Müller-Funk. „In denen geht es darum, was sind die Alternativen, wie gehen wir überhaupt damit um. Beim Festival als Ganzes geht es auch darum, Gegenentwürfe zu diskutieren und erforschen“, so Junod abschließend.
Bloody Crown (Blutige Krone)
Europa in Szene – Kasematten Wiener Neustadt
Bis 4. Oktober 2020
Kasematten Wiener Neustadt
2700 Wiener Neustadt
Bahngasse 27
Telefon: 0681 20156977
König Johann
Von Friedrich Dürrenmatt nach Shakespeare
ca. 2 Stunden (ohne Pause)
Cast
Eleonore/Österreich: Nina C. Gabriel
König Johann: Horst Schily
König Philipp: Jens Ole Schmieder
Blanka: Petra Staduan
Isabelle/Arthur/Pembroke/Chatillon/Erster Bürger/Mönchlein: Julian Waldner
Konstanze/Pandulpho: Isabella Wolf
Bastard: Niko Lukić
Crew
Regie: Anna Maria Krassnigg
Raum: Andreas Lungenschmid
Kostüm: Antoaneta Stereva
Musik: Christian Mair
Licht: Lukas Kaltenbäck
Dramaturgie und Regiemitarbeit: Jérôme Junod
Ausstattungsassistenz: Olivia Kudlich
Abendspielleitung: Marie-Therese Handle-Pfeiffer
Aufführungsrechte Diogenes Verlag AG Zürich.
Wann & wo?
Bis 4. Oktober 2020
Kasematten Wiener Neustadt
2700 Wiener Neustadt
Bahngasse 27
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Die Königin ist tot
nach dem Roman von Olga Flor
1 ½ Stunden (ohne Pause)
Cast
Königin: Nina C. Gabriel
Lilly: Petra Staduan
Lady M.: Isabella Wolf
Horst Schily, Jens Ole Schmieder (Film)
Crew
Regie: Anna Maria Krassnigg
Raum: Andreas Lungenschmid
Kostüm: Antoaneta Stereva
Musik und Film: Christian Mair
Licht: Lukas Kaltenbäck
Bühnenfassung und Dramaturgie: Karl Baratta, Marie-Therese Handle-Pfeiffer
Regiemitarbeit: Jérôme Junod
Austattungsassistenz: Olivia Kudlich
Abendspielleitung: Marie-Therese Handle-Pfeiffer
Aufführungsrechte Paul Zsolnay Verlag Wien / wortwiege.
Wann & wo?
Bis 4. Oktober 2020
Kasematten Wiener Neustadt
2700 Wiener Neustadt
Bahngasse 27
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Salon Royal
Impuls und Dialog, jeweils 18 Uhr; ca. eine Stunde
Moderation (wechselnd): Anna Maria Krassnigg und Wolfgang Müller-Funk
Kasematten Wiener Neustadt
2700 Wiener Neustadt
Bahngasse 27
Hier unten der Beitrag von schauTV
gedreht von Wolfgang Semlitsch
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