Wie Impfen und Autismus zusammenhängen
Gaia Novarino hat ein großes Ziel: „Mit meiner Arbeit möchte ich Kindern helfen, die mit neurologischen Entwicklungsstörungen auf die Welt kommen.“ Die aus Italien stammende Neurowissenschafterin ist eine der weltweit führenden Autismus-Forscherinnen und hat lange Zeit in den USA gearbeitet. Seit 2014 ist sie am Institut of Science and Technology (IST Austria) in Klosterneuburg tätig, mit April wurde sie dort zur Professorin berufen. Sie erforscht die genetischen Grundlagen schwerer Formen von Autismus.
Novarino hat bereits mehrere Gene identifiziert, die für die Entwicklung von Autismus aber auch Epilepsie und andere neurologische Entwicklungsstörungen verantwortlich sind. „Wir kennen rund 100 Risikogene – jedes von ihnen ist in einer kleinen Patientengruppe mutiert. Tatsächlich eine Rolle spielen könnten aber noch wesentlich mehr Gene“, sagt die Forscherin anlässlich des Welt-Autismus-Tages (2.4.).
„Autismus-Spektrum-Störungen“ zählen zu den „tief greifenden Entwicklungsstörungen“. Eine Störung der Wahrnehmungsverarbeitung beeinträchtigt die Beziehungs- und Kommunikationsfähigkeit. 6 von 1000 Menschen sind betroffen, Buben drei bis vier Mal so häufig wie Mädchen. Die Störung liegt von Geburt an vor und tritt bereits in den ersten Lebensjahren auf. „Die Genetik ist der Bereich, zu dem es die besten Daten gibt“, so Novarino.
Erwiesen sei, dass Impfungen kein Auslöser von Autismus sind, betont Novarino: „Mehrere Studien haben das belegt. Es ist sogar so, dass Impfungen das Autismus-Risiko reduzieren können.“ Denn Infektionen – etwa Rötelninfektionen der Mutter in der Schwangerschaft – können unter bestimmten Voraussetzungen das Autismus-Risiko erhöhen. Impfungen seien deshalb ein Schutzfaktor.
Wenn Autismus-Symptome in einer zeitlichen Nähe zu Impfungen auftreten, sei das ein reiner Zufall: "Und die Wahrscheinlichkeit, Autismus zu entwickeln, ist nach Impfungen geringer als davor.Risikofaktoren sind u. a. auch ein höheres Alter von Mutter und Vater sowie eine sehr frühe Geburt.
Funktion verstehen
Novarino arbeitet an einem Verfahren, welches die Identifizierung solcher Risikogene erleichtern soll. „Wichtig ist aber auch, dass wir verstehen lernen, was genau ihre Funktion ist. Das Verstehen ist der erste Schritt zur Behandlung.“ Die Erkrankungen, die sie und ihr Team untersuchten, seien sehr schwere Formen: „Hier suchen wir nach Therapiemöglichkeiten. Vielleicht gibt es eines Tages ein zugelassenes Medikament, das in ganz speziellen Fällen hilft. Aber dazu müssen wir Autismus besser verstehen.“
„Es gibt derzeit unzählige Erklärungsmodelle für die Entstehung von Autismus“, sagt die Kinderfachärztin und systemische Familientherapeutin Sonja Gobara, ärztliche Leiterin des Autismuszentrums „Sonnenschein“ in St. Pölten. „Wir nehmen eine erbliche Komponente bei mehr als 90 Prozent der Betroffenen an." Und: „Es gibt derzeit leider noch keine biologischen Marker (messbare Indikatoren, etwa im Blut, Anm.), die uns Hinweise geben, welches Kind von welcher Therapie am besten profitiert – also etwa verschiedene Verhaltenstherapien, Musiktherapie, Ergotherapie.“ Derzeit würden viele Eltern auch hohe Summen etwa für Nahrungsergänzungsmittel aus dem Internet ausgeben, „für deren Wirksamkeit es keine Daten gibt“.
Neben der Forschung müsse gleichzeitig aber auch das derzeitige Diagnose- und Therapieangebot ausgebaut werden. „Es ist sehr schwierig für Eltern, Spezialisten zu finden, die in der Diagnose firm sind. Zu uns kommen Eltern mit Kindern im Alter von 13 oder sogar 16 Jahren, die noch nie eine Diagnose erhalten haben.“ Aber auch die Therapieangebote auf Kassenkosten müssten ausgebaut werden: „Es handelt sich um eine kleine Gruppe von Patienten – aber leider auch um eine ganz schlecht versorgte Gruppe.“
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