Solche Situationen kommen häufig vor, sagt Kinderpsychiater Paul Plener: „Eltern haben zwar kein gutes Gefühl, wenn ihr Kind am Wochenende sechs, sieben Stunden vor dem Computer sitzt. Sie scheuen sich aber, das anzusprechen und zum Thema zu machen, weil sie sich denken: Wenn ich das tue, begebe ich mich in einen Konflikt – und das will ich nicht, weil ich eh schon genug andere Sorgen habe.“
Der Leiter der Uni-Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der MedUni/AKH Wien ist einer der Podiumsgäste beim KURIER-Gesundheitstalk zum Thema „Was die Kinderseele krank macht“ am Mittwoch in Wien.
„Aber Kinder und Jugendliche brauchen Widerspruch und Konfrontationen müssen Eltern aushalten“, sagt Plener. „Erziehung ist auch Arbeit. Man muss als Erwachsener auch Position beziehen und sagen, wenn man etwas für falsch hält.“
Das spreche nicht dagegen, Kindern jene Freiheiten zu geben, die notwendig sind, um sich selbst zu entdecken. „Aber es geht um das Wahrnehmen und Ansprechen von Problemen.“
Mobbing etwa erhöhe das Risiko für ein selbstverletzendes Verhalten wie Ritzen um das Siebenfache, aber auch das Risiko für Depressionen oder Angsterkrankungen.
Offen ansprechen
„Wenn Eltern etwas wahrnehmen, sollen sie sich nicht scheuen, das offen anzusprechen“, betont Plener. Bei Selbstverletzungen etwa sei es dabei auch wichtig, anzuerkennen, „dass sie eine Funktion für den Betroffenen haben – die Regulation von Emotionen –, und nicht bloß ein provokativer Akt sind.“ Jedes fünfte Kind bzw. Jugendlicher leide im Laufe seiner Entwicklung einmal an einer behandlungsbedürftigen psychischen Erkrankung.
Eltern sollten niemals ihre Elternposition aufgeben: „Das tun aber viele, wenn sie sich als bester Freund ihres Kindes bezeichnen. Das sehe ich auch entwicklungspsychologisch sehr kritisch: Denn in der Findungsphase von Jugendlichen geht es schon auch darum, sich vom Elternhaus abzunabeln. Und Eltern müssen sagen können, ,das, was du jetzt gemacht hast, war Blödsinn‘ – und widersprechen.“
"Ich bin kein Freund"
Das sieht auch die Psychologin und Kinderpsychotherapeutin Martina Bienenstein, Gründerin der Internet-Plattform mychild.at, so: „Als Mutter oder Vater bin ich keine Freundin oder kein Freund, sondern Mama und Papa. Und Kinder benötigen Führung, Orientierung und vor allem die Sicherheit der Erwachsenen.“
In dem Bestreben vieler Eltern, alles richtig machen zu wollen, gehe oft die Leichtigkeit, das Bauchgefühl verloren – „und das Vertrauen, dass ihre Entscheidungen gut und richtig sind“. Viele Eltern seien heute in ihrem Erziehungsverhalten sehr verunsichert – „und versuchen das durch das Lesen vieler Ratgeber und Online-Foren auszugleichen. Aber das verunsichert oft nur noch mehr“.
In der Kommunikation mit Kindern gehe es heute ganz viel um Bewertungen („Was du nicht schon alles kannst“) und Erwartungen („Was du aber noch können solltest“). „Aber es geht zu wenig darum: Was höre ich von meinem Kind, was sagt mein Kind, wie geht es ihm?“
Bienenstein plädiert für weniger schlechtes Gewissen in der Erziehung. „Eltern dürfen schon auch ein Stück darauf vertrauen, dass sie es schon gut machen – und dass es in den meisten Fällen wirklich genügt, genau hinzuschauen und auf das zu reagieren, was mir mein Kind zeigt und sagen will.“
Therapien: Ausbau ist nowendig
Seit Jahren weisen Kinder- und Jugendpsychiater darauf hin: „Es gibt eine deutliche Unterversorgung sowohl in den Spitälern als auch bei den Fachärzten im niedergelassenen Bereich“, sagt Paul Plener, MedUni / AKH Wien. „Es gibt aber viele Bestrebungen das zu verbessern – nur kann das nicht von heute auf morgen stattfinden.“
„Der permanente Ruf nach mehr Betten in der Kinder- und Jugendpsychiatrie ist gerechtfertigt“, sagt Ewald Lochner, Wiener Psychiatrie-Koordinator im Psychosozialen Dienst (PSD). „Aber das alleine ist es nicht. Es braucht eine integrierte Versorgung für Kinder und Jugendliche mit psychischen Erkrankungen: Also ausreichend Kapazitäten bei niedergelassenen Fachärzten mit Kassenvertrag – da haben wir so wie viele andere Länder viel aufzuholen – und einen Ausbau der Ambulanzen mit Teams aus verschiedenen Berufsgruppen.“
Gleichzeitig sei auch eine engere Vernetzung mit der Kinder- und Jugendhilfe (MA 11) notwendig. Mit Sozialministerium und Ärztekammer gebe es Gespräche, die Zahl der Ausbildungsstellen für Kinder- und Jugendpsychiater zu erhöhen.
„Was die Kinderseele krank macht und wie wir ihr helfen können“ lautet das Thema des Gesundheitstalks am Mittwoch, 16.10., 18.30 Uhr.
Am Podium:
Univ.-Prof. Dr. Paul Plener (MedUni Wien)
Mag. Martina Bienenstein (Plattform „My Child“)
Ewald Lochner, MA (Psychosoziale Dienste Wien).
Moderation: Gabriele Kuhn (KURIER).
Veranstaltungsort: Van-Swieten-Saal der Medizinischen Universität Wien, Van-Swieten-Gasse 1a (Ecke Währinger Str.), 1090 Wien.
Veranstalter: KURIER, MedUni Wien und Novartis. Der Eintritt ist frei.
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