Mehr Bauch, weniger Lust: Wenn der Mann in den Wechsel kommt

Der hormonelle Wandel beim alternden Mann geht mit sexuellen, körperlichen und psychischen Veränderungen einher.
Manch reiferer Mann erlebt Hitzewallungen und Libidoverlust. Aber gibt es die Andropause wirklich?

"Vor ein paar Jahren wäre ich im Sakko vor Ihnen gestanden. Das geht nun nicht mehr", sagt Karl-Heinz Steinmetz, Medizinhistoriker und Direktor des Wiener Instituts für Traditionelle Europäische Medizin (TEM), zu Beginn eines Vortrages in Wien Ende Mai. Worauf der 55-Jährige anspielt, versteht man beim Blick auf den Titel der Veranstaltung : "Der Mann im Wechsel".

Hitzewallungen und Schweißausbrüche, Stimmungsschwankungen, Verlust der sexuellen Lust: Diese Beschwerden – vor allem in dieser Kombination – assoziieren die meisten mit den Wechseljahren bei Frauen. Was die wenigsten wissen: Auch Männer kommen in den Wechsel.

Begriffsdebatte

Analog zur Menopause werden der sinkende Testosteronspiegel und damit verbundene Symptome oft unter dem Begriff "Andropause" zusammengefasst. Ein Gros der Experten hält diesen für unpassend: "Er suggeriert, es gebe ein männliches Gegenstück zu den weiblichen Wechseljahren, was so nicht stimmt", sagt Shahrokh Shariat, Vorstand der Universitätsklinik für Urologie an der MedUni Wien. Zum einen komme es nicht wie bei Frauen zu einem schlagartigen, sondern zu einem kontinuierlichen Abfall der Hormonproduktion. "Und zweitens beeinflussen die hormonellen Veränderungen nicht die Fruchtbarkeit, wie das bei Frauen in der Menopause der Fall ist."

Anerkanntere Bezeichnungen sind die Kürzel LOH (Late Onset Hypogonadism) oder ADAM (Androgen Deficiency in the Aging Male), zu Deutsch PADAM (Partielles Androgen-Defizit des alternden Mannes). Uneinig ist sich die Wissenschaft darüber, wie viele Männer betroffen sind. Zwar belegen Studien, dass Männer ab 40 pro Jahr rund zwei Prozent an Testosteron verlieren, konkrete Studien zum Mann im Wechsel sind aber nur spärlich vorhanden.

In der European Male Ageing Study (EMAS) resümierten Forscher 2016, dass rund drei Prozent aller Männer am LOH-Syndrom leiden. Andere Studien, die ein breiteres Beschwerdebild betrachten, zeigen, dass fünf bis sieben Prozent der unter 50-Jährigen, und rund 30 Prozent der Männer über 50 Jahren, betroffen sind.

Mehr Bauchfett, weniger Lust

Tatsache ist, dass der sinkende Testosteronspiegel unangenehme Symptome verursachen kann. Diese reichen vom bereits erwähnten Libidoverlust und Erektionsstörungen über wachsendes Bauchfett, schwindende Muskelkraft und Knochendichte sowie Erschöpfung bis hin zu Nervosität, Konzentrationsstörungen und depressiver Verstimmtheit. "All diese Beschwerden können mit einem niedrigen Testosteronspiegel zu tun haben", sagt Shariat. "Wenn Letzterer durch einen Bluttest festgestellt wird, wägt man als Arzt die Gabe des Hormons ab."

Bis eine Testosteronsubstitutionstherapie verordnet wird, müssen zahlreiche Faktoren abgeklärt werden. Die Testosteronkonzentration im Blut des Mannes ist nicht immer gleich: Der Wert schwankt zwischen einem morgendlichen Maximum und einem Tief am Nachmittag. Werte zwischen zwölf und 30 Nanomol pro Liter Blutserum gelten als Normbereich. Wenn der Testosteronspiegel deutlich darunter sinkt und Beschwerden auftreten (und nur dann), werden Patienten medikamentös therapiert.

Verabreicht wird das Hormon über eine Spritze, ein täglich aufzutragendes Gel, ein Skrotalpflaster (auf den Hodensack zu klebendes Pflaster) oder Implantate. "Bevor das passiert, müssen im Patientengespräch Vor- und Nachteile genau besprochen werden. Während der Behandlung muss unter anderem der Testosteronwert ständig überprüft werden", sagt Shariat.

Testosteron wirkt

Betroffene profitieren von der Gabe des Hormons: Etwa in Bezug auf Fettleibigkeit, Diabetes, Osteoporose und die Sexualität. Allerdings gibt Shariat – wie auch etliche andere Ärzte – zu bedenken, dass die Substitutionstherapie kontrovers diskutiert wird. "Es kann zu Schlafproblemen kommen, auch das Risiko für eine gutartige Vergrößerung der Prostata steigt. Wenn man an Prostatakrebs leidet, kann die Behandlung diesen stimulieren." Debattiert wird in Fachkreisen , ob eine Testosterontherapie das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, etwa Schlaganfälle und Herzinfarkte, steigert.

Hormon-Feinde

Die Rolle des Lebensstils darf bei Testosteron nicht unterschätzt werden. Hier kommt die Traditionelle Europäische Medizin ins Spiel. "Das Hormon ist schlafsensibel, sieben bis acht Stunden Schlaf fördern die Bildung, bedeutend mehr oder weniger hemmt sie", sagt Steinmetz. Auch Alkohol und Nikotin sind "Testosteron-Feinde", ebenso wie Stress, Schmerzmittel, Antibiotika oder blutdrucksenkende Medikamente. Mittels Phytotherapie (Pflanzenheilkunde), einer Ernährungsumstellung, Bewegung und Stressmanagement können Beschwerden gelindert werden, sagt Steinmetz.

Als Sportprogramm empfiehlt er Training mit Eigengewicht und Sportarten, die natürliche Bewegungsabläufe intensivieren, etwa Gehen, Laufen oder Klettern. Beim Essen sollte mehr Gemüse und weniger Fleisch auf den Teller kommen.

Wer auf Pflanzliches setzen will, greift zu Kieferpollen, Brennnessel, Wiesenlieschgraspollen, Haferstroh oder Olivenblättern – als Pulver, Dragees oder Tinktur. Eine pflanzliche Behandlung sieht Shariat kritisch – wenn diese nicht mit einem Arzt abgesprochen ist: "Das kann sonst erst recht zu Nebenwirkungen führen, oder nichts bringen."

Bewusstsein schaffen

Wichtig ist, hier sind sich die Experten einig, ein Bewusstsein für Wechselbeschwerden bei Männern zu schaffen. "Erfreulich wäre, wenn das Thema enttabuisiert wird und Männer erkennen, dass Beschwerden, die sie mit ihrem Alter verbinden, nicht nur damit zusammenhängen müssen – und man etwas tun kann." Für Steinmetz ist wesentlich, dass "Männer lernen, über ihre Gesundheit zu sprechen". Nur so könne "Betroffenen geholfen werden".

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