Die wahre Geschichte des Käsefondues

So muss Käsefondue.
Was der weltweite Erfolg des Käsefondues mit Planwirtschaft, gutem Marketing und Käse-Rennanzügen zu tun hat.

Es ist gemütlich, etwas zu fett und enthält oftmals Alkohol – damit ähnelt das Käsefondue dem Österreicher. Kein Wunder also, dass sich das Käsegericht ungebrochener Beliebtheit erfreut, auch und gerade zu Silvester. Auch heuer werden Umfragen zufolge wieder bis zu zwanzig Prozent am 31. Dezember ihr Weißbrot aufspießen und durch geschmolzenen Käse ziehen, in der Hoffnung, es möge nur ja nicht verlustig gehen. Weltweit gilt das Käsefondue als althergebrachtes Schweizer Nationalgericht. Warum das so ist, das werden wir später noch klären, eines aber vorweg: Das ist nicht die ganze Wahrheit.

"Auf die Idee, den von ihnen hergestellten Käse zu schmelzen und zu essen und damit zu einer warmen Mahlzeit zu kommen, dürften die Senner in den Alpen schon sehr bald nach der Entwicklung der Käseproduktion gekommen sein", erklärt Dominik Flammer, Autor des preisgekrönten Standardwerks "Schweizer Käse". Allerdings handelte es sich dabei um ein Arme-Leute-Essen der Älpler, das keine große Verbreitung fand.

"Thu geschabten käss darein und lass ihn im wein kochen"

Das erste bekannte deutschsprachige Rezept stammt aus dem Jahr 1699 und findet sich im Kochbuch der Zürcherin Anna Gessner. Darin heißt es: "Thu ein halb glässlin voll wein in ein blatten und die glutpfann und thu geschabten oder zerrinnen feissen alten käss darein und lass ihn im wein kochen, biss er gantz zergangen und man den wein im kusten nit mehr gespürt."

Die wahre Geschichte des Käsefondues

Deutlich früher, nämlich bereits im achten vorchristlichen Jahrhundert, taucht ein dem Käsefondue ähnelndes Gericht auf. Freilich nicht im Alpenraum, sondern im mediterranen Griechenland, wo Homer seine "Ilias" rund um den Trojanischen Krieg geschrieben hat.

"Hierin mengte das Weib, an Gestalt den Göttinnen ähnlich,
Ihnen des pramnischen Weins, und rieb mit eherner Raspel
Ziegenkäse darauf, mit weißem Mehl ihn bestreuend,
N
ötigte dann zu trinken vom wohlbereiteten Weinmus."

- Homer im elften Gesang der "Ilias"

Dieses "Weinmus" fungierte für die beiden Helden Nestor und Achill eher als Durstlöscher und unterscheidet sich darin erheblich von den uns heute bekannten Varianten. In ihrer Wirkung allerdings gleichen sich die Rezepturen: Die Genießer "freueten sich des Gesprächs und redeten viel miteinander".

Darin sieht auch Käse-Experte Flammer den Grund für die heutige Beliebtheit des Gerichts: "Fondue ist die Urmutter des heute in der Spitzengastronomie so beliebten ‘sharing dinners’", sagt er. Doch wie wurde aus der Leibspeise einiger einsamer Senner auf entlegenen Almen ein weltweiter Essenstrend?

Die einfache Antwort: Gutes Marketing. Und ein planwirtschaftlich agierender Player. Auftritt die Schweizerische Käseunion. Diese 1914 gegründete Vereinigung der Käseexporteure, Milchproduzenten und Käser ist hierzulande bestenfalls als Schuldige für die grausamen Käse-Rennanzüge bekannt, welche die Körper der eidgenössischen Skifahrer und Skifahrerinnen von 1991 bis zum Ende der Käseunion im Jahr 1999 verunstalteten.

Die wahre Geschichte des Käsefondues

In der Schweiz selbst entwickelte sich die Käseunion rasch zu einer wichtigen Instanz, erhielt sie doch das Monopol für den Käseexport zu festen Preisen. Die Preisfixierung galt auch für Milch und Käse im Inland und war an die Bedingung geknüpft, dass die Käseunion die Bevölkerung mit ausreichend Käse versorge.

Seit dem Dreißigjährigen Krieg hatten sich die neutralen Eidgenossen als verlässlicher Käselieferant für ganz Europa etabliert. Als in Europa nach der Weltwirtschaftskrise und den beiden Weltkriegen die Märkte am Boden lagen, kollabierte auch der für die Schweizer Wirtschaft wichtige Käseexport. Und die Schweizerische Käseunion machte sich daran, den Ausfall des Exports durch eine massive Steigerung des Inlandskonsums wettzumachen.

Ende der Käse-Vielfalt

Streng planwirtschaftlich agierend, beschnitten die Funktionäre der Käseunion zuallererst die Käsevielfalt: Statt knapp tausend verschiedener Sorten durften die Mitglieder der Käseunion nur mehr fünf Sorten produzieren: Emmentaler, Gruyère, Sbrinz, Tilsitter und Appenzeller. Zudem wurde jedem Produzenten vorgeschrieben, welchen Käse er in welcher Menge zu produzieren und zu welchem Preis zu verkaufen habe. Ansonsten drohte der Verlust von Subventionsgeldern, auf welche die Käseproduzenten nur schwer verzichten konnten.

Und um den Konsum anzufachen, erfand die Schweizerische Käseunion kurzerhand ein neues Nationalgericht: Das Käsefondue. Emmentaler, Gruyère, Weißwein, Mehl, etwas Knoblauch und Kirschwasser, je eine Prise Pfeffer und Muskat. Dazu gewürfeltes Weißbrot. Das habe schon von Alters her den Sennern auf den Almen die Abende versüßt, hieß es.

"Fondue ist gut und macht gute Laune." - Unter diesem Leitspruch wurde den Schweizerinnen und Schweizern ab den 1950er Jahren ihre neue althergebrachte Leibspeise durch öffentliche Fondue-Degustationen und Werbebeiträgen im TV nähergebracht.

In den 1960ern schaffte das Käsefondue den Sprung auf den Menüplan der Schweizer Armee. Und in den Folgejahren in den Kanon der alpenländischen Klischees. Zählten sich 1954 noch 39 Prozent der Schweizerinnen und Schweizern zu den Fondue-Genießern, tunkten 1980 bereits 80 Prozent ihr Brot regelmäßig in den geschmolzenen Käse. 2015 bezeichneten 67,5 Prozent der Eidgenossen das Käsefondue als Schweizer Nationalgericht - vor Rösti, Raclette, Zürcher Geschnetzeltem und Birchermüsli.

Doch die Schweiz war für die Käseunion nicht genug. Nachdem sich die Exportmärkte erholt hatten, überschwemmte man diese kurzerhand mit Käse aus dem Herzen der Alpen. Dabei sorgte die Käseunion durch massive Subventionen dafür, dass die Produkte teilweise unter Einkaufspreis angeboten wurden. Die Kosten trugen - lange Zeit unwissentlich - die Schweizer Steuerzahlerinnen und Steuerzahler.

Unterstützt wurden die Bemühungen durch eine ganze Reihe internationaler Marketingkampagnen, die dem Trend zum Schweizer Fertig-Käsefondue den Weg ebneten. So konnte es sich in den 1970er Jahren kein US-amerikanischer Gastgeber erlauben, bei seiner Party kein Käsefondue aufzutischen.

Noch heute, knapp zwanzig Jahre nach dem Ende der Schweizerischen Käseunion, profitiert die Schweiz von der damals geschaffenen Marktposition und dem teuer erkauften Ruf als Käsenation. 68.459 Tonnen Käse haben die Eidgenossen 2015 exportiert, knapp 36 Prozent machen die als Fondue-Käse bekannten Sorten Emmentaler und Gruyère aus. Dabei habe, so Käse-Experte Daniel Flammer, Emmentaler in einem Käsefondue nichts verloren. Er rät zu einer Mischung aus einem reifen, würzigen Gruyère und einem sähmig-rahmigen Vacharin - "Moitié-Moitié", also halbe-halbe. Und: "Den Käse unbedingt mehrere Stunden vor dem Schmelzen aus dem Kühlschrank legen und Raumtemperatur annehmen lassen. Sonst fettet er beim Erhitzen aus." Darin wiederum unterscheidet sich das Käsefondue deutlich vom Österreicher. Schade, eigentlich.

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