Am Tisch spielt sich ein kulinarisches Stelldichein ab, alles, was Rang und Namen hat, ist da: In der Mitte baden mit Reis gefüllte Dolma-Weinblätter in einer Tomatensauce. Daneben: ein Töpfchen mit Hummus, dieses Mal ist die Kichererbsen-Paste besonders cremig gelungen. Dahinter buhlen Taboulé, ein Bulgursalat mit Tomaten, Frühlingszwiebeln und viel frischer Pfefferminze, und Zigarettenbörek, mit Käse und Kräutern gefüllte Teigröllchen, um Aufmerksamkeit. Pitabrot liegt ebenfalls bereit und die Falafel – Bällchen aus Bohnen, Kichererbsen, Gewürzen und Kräutern – sind auch längst angerollt. Im optischen Understatement üben sich da der im Ganzen gegrillte Karfiol sowie die Schüssel mit Oliven. So oder so ähnlich macht sich der Food-Trend „Levante“ derzeit auf so manchem Tisch breit. Da die levantinische Küche der mediterranen ähnlich ist und wie diese Fleisch und Salz eher beiseiteschiebt, um Gemüse und Kräutern den Vortritt zu lassen, hat sie durchaus das Zeug zum gesunden Ernährungsstil. Grund genug, den Trend genauer unter die Lupe zu nehmen.
Die Spezialitäten aus den Ländern des Nahen Ostens – etwa Israel, Jordanien, Libanon, Syrien oder Türkei – werden dabei gerne als Mezze serviert. Wie bei ihrem spanischen Pendant, den Tapas, werden diese kleinen Happen idealerweise in einer großen Runde verspeist.
Blick unter den Deckel
„Die Ähnlichkeit zur Mittelmeer-Küche liegt nahe“, bestätigt Birgit Barilits, „und diese ist bekannterweise gut für Herz, Hirn und unser Wohlbefinden.“ Wie bei der mediterranen Variante verleiht der abwechslungsreiche Mix aus frischen Zutaten, vor allem aus der Kategorie Gemüse, vielen satt machenden Ballaststoffen und hochwertigem Olivenöl, auch der Levante-Küche eine hohe Bekömmlichkeit. Und sollte Fleisch doch das Speisenangebot ergänzen, dann ist es fettarm und in kleiner Dosis: etwa als Lamm oder Huhn. Dass damit aber in punkto Levante alles gesagt ist, liegt der Wiener Ernährungsberaterin, die in Ottakring die Diätologische Praxis „Ernährungssachen“ führt, fern.
Wie so oft liegt es an der Umsetzung: „Jede Landesküche kann gesund sein“, gibt Barilits zu bedenken. „Man kann beispielsweise auch die österreichische Küche leichter und moderner gestalten. Sie bietet mehr als nur Schnitzel und Schweinsbraten.“ Umgekehrt könne vermutlich jede Ernährungsform schlecht umgesetzt werden: „Olivenöl ist sehr gesund, ertränke ich aber jede Speise darin, kommen auch viele Kalorien zusammen.“ Beim Abwägen der levantinischen Küche fällt neben dem – maßvollen – Einsatz von Olivenöl auch die Vorliebe für Hülsenfrüchte aller Art auf die positive Seite.
Der Superheld im Topf
„Erbsen, Kichererbsen, Bohnen, Linsen und Sojabohnen sind reich an Mikronährstoffen“, so Barilits. „Sie liefern zum Beispiel die Vitamine B1, B6 und Folsäure, haben etwa zwei- bis dreimal so viel Zink wie Reis und Getreide und stellen zudem Eisen und Kieselsäure bereit.“ Ihr hoher Ballaststoffgehalt wirke sich positiv auf Darmgesundheit und Cholesterinspiegel aus, der hohe Kaliumanteil wiederum auf den Blutdruck. „Durch den hohen Eiweiß- und Nährstoffgehalt sind sie ein wichtiges Lebensmittel für Vegetarier und Veganer, und auch wir Allesesser dürfen da gerne öfter zugreifen und so den Fleischkonsum reduzieren“, erklärt Barilits. Wobei hier eine Einschränkung folgt: „Wichtig für die Bekömmlichkeit ist die korrekte Zubereitung.“ Denn führt der Genuss von Hülsenfrüchten zu Beschwerden, kann das unter anderem an einer zu kurzen Einweichzeit liegen. Nur wenn diese genügend lang war, geht das für Blähungen verantwortliche, unverdauliche Kohlenhydrat Stachyose ins Einweichwasser über. Dieses sollte dann auch nicht zum Kochen weiterverwendet, sondern weggegossen werden.
Ich bin ein Fan von Hülsenfrüchten. Erbsen, Kichererbsen, Linsen und Bohnen sind richtige Superfoods. Das Großartige ist, dass es auch viele Sorten aus österreichischem Anbau gibt.
von Mag. Birgit Barilits, BSc
Diätologin und Ernährungsberaterin, www.ernaehrungssachen.at
Das Haar in der Suppe
Die levantinische Küche bietet also alles, um eine gesunde Ernährung zu garantieren. Doch gerade ihre Ungezwungenheit und Vielfalt können zu Nachteilen werden. Denn der Mezze-Stil mag keine Regeln – die kleinen Schüsseln dienen entweder als appetitanregende Vorspeisen oder übernehmen bei wachsendem Angebot auch gerne die Rolle der Hauptspeise. So weit, so situationselastisch. Das Problem: die allzu menschliche Neigung, es zu übertreiben. „Das vielfältige Angebot lädt ein, dass man von überall kostet“, so Birgit Barilits. Normalerweise würde die Attraktivität einer Speise mit zunehmender Dauer der Mahlzeit abnehmen, ein Umstand, der zu einem gewissen Grad zur Sättigung beiträgt. „Je größer aber das Speisenangebot und je vielfältiger Geschmack, Aromen und auch der Anblick sind – das Auge isst mit –, desto mehr nehmen wir zu uns.“
Denn jedes Mezze-Gericht hat das Potenzial, die Geschmacksnerven und Sinne aufs Neue zu stimulieren. Positiv gesehen trägt das dazu bei, dass der Mensch eine gute Bandbreite an Lebensmitteln und damit Nährstoffen aufnimmt. Das Problem bei der Sache ist: „So wird unbewusst auch das Sättigungsgefühl überlistet und wir naschen weiter“, beschreibt die Wiener Diätologin das – fast – Unausweichliche. „Das kennt man ja auch insbesondere vom Buffet. Egal, wie satt man ist, ein Dessert geht immer noch.“
Trotzdem möchte die Ernährungsberaterin den Appetit auf die levantinische Küche nicht verderben: „Das Schöne an so einem genussvollen Essen mit verschiedenen Speisen ist ja gerade das Sich-Durchkosten und Unterhalten. Das sollte man auch als etwas Besonderes und ohne schlechtes Gewissen genießen. Schließlich wird es wahrscheinlich in unserem Alltag ohnehin nicht täglich passieren.“ Und eines sollte man über die gesellige Levante-Küche auch wissen: Durch die Entspannung, die beim gemeinsamen Genießen und dem lustvollen Ausprobieren der Speisen eintritt, sinkt auch der Stresspegel. Am besten einfach ausprobieren.
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