Wenn sich Petra Lindenbauer an ihre Töpferscheibe setzt, dann dreht sich bei der Keramikerin alles um den Moment des Loslassens. Das Gefäß soll selbst entscheiden, welchen Ausdruck es letztendlich annimmt.
Eine selbstbewusste Generation von heimischen Tonkünstlern rund um Lindenbauer, deren Exemplare in den Haubenrestaurants Steirereck oder Aend zu finden sind, rückt den Fokus auf Esswerkzeug und Tischelemente. "Unsere Gastronomen haben die Gäste zu lang umschmeichelt. Dem Gast kann man mehr zumuten – das Bedienen soll weniger werden. Wir sollten uns für andere Formen des Miteinander-Essens öffnen."
Anfang Oktober bringt das Künstlerkollektiv Steinbeisser die erste Ausgabe von "Experimentelle Gastronomie" nach Wien.
Für diesen Anlass kreieren die drei Köche Lukas Mraz („Mraz & Sohn“), Philip Rachinger (Mühltahlhof) und Felix Schellhorn (Der Seehof) ein rein pflanzliches Menü in Kooperation mit zehn Künstlern – darunter Lindenbauer –, die Besteck und Geschirr auf außergewöhnliche Art interpretieren.
"Mit klassischen Tellern hat das nichts mehr zu tun. Ich spreche lieber von Elementen als Projektionsflächen für Speisen. Unser Leben, wie wir sitzen oder wie wir essen, ist genormt. Es geht darum, Gewohntes aufzulösen und wieder zusammenzufügen."
Industrie kupfert ab
Noch bis in die Achtzigerjahre verlangten Hochschulen von ihren Schülern, die Industrie zu kopieren: "Auch ich habe gehört, so perfekt wie die Industrie arbeiten zu müssen, also möglichst makellos. Derzeit erleben wir jedoch eine Trendumkehr: Die Industrie kupfert bei Künstlern und Handwerkern ab."
Sanfte Farbverläufe, aufgeraute Oberflächen oder fehlende Ecken – in Interieur-Geschäften findet der Konsument derzeit kalkulierte Unvollkommenheit. "Wir glauben Fingerspuren vom Töpfern oder einen Tropfen der Glasur zu erkennen, dabei handelt es sich um kopierte Makel, die in die Massenproduktion eingebaut wurden."
Wie der Konsument die Massenware erkennt? Nur durch Erfahrung. England oder Japan seien viel weiter in ihrer Entwicklung: "In Österreich haben wir mit Keramik oft nur im Kindergarten zu tun, wenn wir eine Schüssel formen – in unseren Köpfen ist das Arbeiten mit Ton nur ein Hobby. Dabei sollten Konsumenten Keramiker mit der gleichen Selbstverständlichkeit aufsuchen wie einen Schneider."
Den Wunsch nach unverwechselbarer Keramik ortet die burgenländische Künstlerin im Zeitgeist – genauso wie den Boom von Töpfer-Kursen: "Diese Tendenzen sind vergleichbar mit dem Wunsch, seinen Balkon in eine Oase zu verwandeln. Es geht um das Erlebnis, es selbst tun zu können."
Spiel mit dem Dreck
Zudem gehört Töpfern zum Unvorhersehbaren: "Wir kennen das Gefühl, mit den Fingern über glatte Oberflächen wie das Smartphone zu gleiten, aber wer zum ersten Mal mit Ton arbeitet, ist von Aktion und Reaktion ganz überrascht. Und wir erleben den Reiz, dass wir dreckig werden dürfen."
Experimentelle Gastronomie
Am 5. und 6. Oktober suchen zehn Künstler und drei Spitzenköche in Wien Antworten auf die Frage "Warum essen wir so, wie wir es tun, und geht es auch anders?" Das Menü mit Wein- oder Saftbegleitung kostet 250 Euro pro Person. Alle Infos finden Sie unter: www.steinbeisser.org
Töpfer-Kurse
In Wien bieten die Ateliers Rami und Potteri sowie die Volkshochschulen Anfänger-Kurse für die wichtigsten Griffe zum Arbeiten an der Töpferscheibe an. Viele Termine im Sommer sind bereits ausgebucht. Infos finden Sie unter: www.rami-ceramics.com, www.potteria.at, www.vhs.at
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