Sein Charakter lässt sich nur erahnen, von seinem Privatleben ist wenig bekannt. Nicht einmal ein Porträt existiert von ihm. Joseph Kornhäusel war wohl schüchtern, favorisierte die Zurückgezogenheit, mied gesellschaftliche Zusammentreffen und feilte lieber in seinem Turmatelier an seinen Ideen und Plänen. Er erhielt weder offizielle Auszeichnungen, noch staatliche Aufträge – man könnte fast glauben, er habe mächtige Feinde gehabt.
Kornhäusel schien das egal gewesen zu sein. Er verstand sich als Übersetzer des Klassizismus, Vermittler zwischen den Stilepochen und Gestalter ganzer Stadtviertel, etwa des Ruprechtsviertels in der Wiener Innenstadt. Kritik war ihm fremd, denn für seine Bauwerke erntete er zu Lebzeiten stets Lob und Anerkennung. So schwärmte etwa Erzherzog Karl in seinem Dankesschreiben für Schloss Weilburg von der sinnvollen Anordnung der Räume, der qualitätvollen Fassade und der ökonomischen Sorgfalt des Architekten. Und betraute Kornhäusel gleich nach Fertigstellung des Schlosses mit der Umgestaltung seines Wiener Stadtpalais, der Albertina.
„Kornhäusel vermochte es, den Rahmen für die Lebensart seiner Zeit und für die Bedürfnisse seiner Klientel ideal zu gestalten“, fasst Kunsthistorikerin Bettina Nezval, die Joseph Kornhäusel zum 150. Todestag eine Publikation gewidmet hat, zusammen.
Zwischen den Epochen
Kornhäusel – oft in einem Atemzug mit Biedermeier genannt – schaffte es, zwischen den Stilrichtungen und -epochen zu balancieren. Klassizismus, Historismus, Empire – so richtig zuordnen lässt sich Joseph Kornhäusels Stil nicht. Was ihn jedoch reizte, waren monumentale Bauten wie Lustschlösser und Theater.
Eines seiner bekanntesten Werke ist das 1823 erbaute Schloss Weilburg am Beginn des Helenentals bei Baden, das im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde. Bauherr war einst einer der berühmtesten Feldmarschälle der Monarchie, Erzherzog Karl, der das Lustschloss als Hochzeitsgeschenk für seine Gattin in Erinnerung an deren deutsche Heimat in Auftrag gab.
Dabei sei Schloss Weilburg keine Nachahmung des deutschen Namenspendants geworden, sondern vielmehr eine eigene Schöpfung Kornhäusels, schrieb einst Lokalhistoriker Paul Tausig. Damit habe sich der Architekt einen Ehrenplatz unter den Baukünstlern Österreichs gesichert. „Der Bau, der 1,5 Millionen Gulden kostete, rief eine wahrhafte Sensation hervor. Ganz Wien pilgerte in die grünen Gefilde des Helenentals, um das herrliche Schloss zu bestaunen, das jedermann in Entzücken versetzte“, so der Autor.
Eine der Besonderheiten: Kornhäusel hat das Gebäude auf seine Fernwirkung hin konzipiert, die verschiedenen Baukörper strahlten als Ensemble eine monumentale Wirkung aus. Weiters wurde der mit seinen zwei ausladenden Flügeln ins Tal blickende Bau von einem prächtigen Garten eingesäumt, 1.600 Rosenvarietäten machten ihn zum Lieblingsaufenthaltsort des Feldherren, der Kornhäusel hoch entlohnte.
Zurück in Wien, wurde dem Architekten ein ganz besonderer Auftrag zuteil: Es galt, einen ganzen Straßenzug umzugestalten. Zu dem sogenannten Biedermeier-Ensemble in der Seitenstettengasse in Wien zählt die Stadtsynagoge. Den Auftrag der jüdischen Gemeinde hatte Kornhäusel bei einem Architektenwettbewerb gewonnen. Die Herausforderung bei diesem Bau: Damals war noch kein direkter Straßenzugang in ein nicht-katholisches Gebetshaus erlaubt, weswegen Kornhäusel – bekannt für sein Talent für außergewöhnlich gute Grundrisse – die Synagoge hinter einer Wohnhausfassade erbauen ließ.
Die Stadtsynagoge einst und heute – durch den u-förmigen Grundriss und die Säulenstellungen entsteht ein großer Raumeindruck
Und noch etwas hat Kornhäusel umgesetzt, wie kein anderer seiner Zeit: Beim an die Synagoge anschließenden Mietshaus nutzte der Baumeister die Höhe. Der Zinshaustyp, bei dem er den schmucklosen Mietshausstil mit Schmuckelementen kleiner Wohnhäuser kombinierte und dabei in die Höhe baute, gilt als eines seiner Vermächtnisse.
Kornhäusel, der von Zeitgenossen auch „Wiener Palladio“ genannt wurde, hat das Mittelalter in seinen Türmen miteinbezogen. Seinen Faible für diese erkennt man vor allem am berühmten Kornhäusel-Turm in der Seitenstettengasse, in dem das Atelier des Architekten untergebracht war. Historiker Paul Tausig bezeichnet das Turmatelier als die sonderbarste Künstlerlaune eines eigenwilligen Architekten. Der sechsstöckige Turm wirkt bis heute wie ein Industriebau und aufgrund der fehlenden Fenster in den unteren Etagen eher trostlos. Doch durch den Turm avancierte das Gebäude zum höchsten Haus Wiens, das es auch über hundert Jahre lang geblieben ist und so die Silhouette der Stadt geprägt hat.
Neuerungen erprobte Kornhäusel aber nicht nur in luftigen Höhen, sondern etwa auch an Bauwerken, die nicht allzu sehr den Traditionen verschrieben waren – wie in den Räumen der Albertina. Kleinere Räume lösten die für Repräsentationszwecke vorgesehenen barocken Zimmer ab; der Bezug zur Antike, im Stil des Klassizismus, zeigt sich vor allem im Eingangsbereich, der wie ein Aufstieg zum Tempel geplant wurde.
Für Kunsthistorikerin Bettina Nezval macht die Faszination Kornhäusels aus, dass er es so meisterlich verstand, die neuen Architekturströmungen des Klassizismus und des Revolutionsklassizismus, die vor allem aus Frankreich nach Österreich getragen wurden, für den hiesigen Geschmack, das Wiener Architekturgefühl, zu übersetzen.
„Er milderte die scharfkantigen geometrischen Formen wie Zylinder oder Würfel mit glatten Wänden ab und versah sie subtil mit Dekor“, sagt sie. Dennoch sei Kornhäusel den Prinzipien von Symmetrie und klaren Grundrissen stets treu geblieben – was ihn im Vergleich zu seinen Zeitgenossen einzigartig mache.
Aussichtstürme waren speziell in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein unglaublich beliebtes Architekturmotiv – und Joseph Kornhäusel baute sie leidenschaftlich.
von Bettina Nezval
Kunsthistorikerin und Autorin
Ein Bauwerk, das sie besonders anspricht, kann Nezval nicht ausmachen, denn jedes einzelne Gebäude habe seinen besonderen Reiz. „Schloss Weilburg fasziniert durch seine Größe und repräsentative Erscheinung, die Albertina durch ihre Eleganz, seine Villen und Landhäuser überzeugen durch Charme und Wohnlichkeit. Nicht zu vergessen die Theater mit den eleganten Fassaden und subtil gestalteten Zuschauerräumen“, sagt sie.
Bei dieser Fülle an unterschiedlichen Gebäudetypologien war Nezval dennoch überrascht, wie viele Bauten Kornhäusel im heutigen Tschechien und Polen errichtet hat, die in Österreich lange Zeit unbekannt waren. „Somit gibt es neue lohnende Ausflugsziele, wie in Olmütz, Namiest, Jinošov und Teschen, um wiederentdeckte Bauwerke von Österreichs vorrangigem Baukünstler des Klassizismus und der Biedermeierzeit in ihrer ganzen Strahlkraft zu erleben“, so Nezval.
... Adalbert Stifter zeitweilig den Kornhäusel-Turm bewohnt hat? Von diesem aus soll er 1842 eine totale Sonnenfinsternis beobachtet haben, die er in seinem Werk „Aus dem alten Wien“ beschreibt.
... Kornhäusel sämtliche Bauten, Theater wie auch Privathäuser mit „Retiraden“, also Toiletten ausstattete? Dies war für die damalige Zeit bei Weitem nicht Usus.
... die Kornhäusel-Villa im 19. Jahrhundert Teil einer Meierei war? Die „Erste Wiener Kindermilchanstalt“ hatte die Aufgabe, Tierhaltung und Milchverarbeitung auf dem für damalige Verhältnisse höchsten hygienischen Niveau zu gewährleisten und die Milch speziell an die Wiener Kinderspitäler auszuliefern.
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