Im Regal hinter ihrem großen Holzschreibtisch in der hundert Jahre alten Cottagewohnung stehen Bücher über Norman Foster, Coop Himmelb(l)au und Pierre Chareau. Wesentlich geprägt in ihrer Arbeit haben diese Architekten Elsa Prochazka aber nicht. Vielmehr sind es die breiten Einflüsse von Musik, Literatur und Kunst, welche den Charakter des Architekturberufs formen, meint Prochazka.
Architektur generell bedeute für sie die Möglichkeit, die Welt besser zu deuten und zu verstehen. Es gehe darum, durch die Stadt zu gehen und die vielen analogen Botschaften zu decodieren und zu interpretieren – und daraus eine neue Gemengelage zu machen. „Das ist der kreative Akt des Berufs“, sagt sie. Einen typischen Arbeitsalltag hat die Leiterin des nach ihr benannten Architekturbüros jedoch nicht. „Es entsteht nie Routine, wie man vielleicht annehmen würde – es geht bei jedem Projekt wieder von vorne los“, stellt sie klar.
Multifunktionales Bauen
Was sich jedoch wie ein roter Faden durch Prochazkas Wohnbauprojekte zieht, ist der Wille zur Hybridisierung. Ihr ist es wichtig, keine monofunktionale Stadt vorzufinden, in der die Menschen an einem Ende arbeiten und am anderen wohnen. „Die Übergänge sind fließend und daher sollen auch die Lebensbereiche fließender sein“, sagt sie.
Die von ihr geplanten Wohnbauten wie etwa das Karrée St. Marx oder der Donaufelderhof bestechen durch Gemeinschaftsflächen wie Dachterrassen und Veranstaltungsräume – kombiniert mit Verbrauchermärkten in unteren Geschoßen und öffentlichen Einrichtungen, wie beispielsweise einem Kindergarten beim Margarete-Schütte-Lihotzky-Hof.
Das Problem, dass nicht mehr in diese Richtung getan wird, sieht die gebürtige Wienerin jedoch nicht bei Architekten, sondern der Stadtverwaltung und den Flächenwidmungen. „Sehr große Grundstücke sind ausschließlich für Wohnen oder Gewerbe gewidmet. Man kann als Architekturschaffender mit einem Entwurf oft gar nicht gegenwirken“, sagt sie und spricht von einer „unglaublichen Flächenvernichtung durch riesige, eingeschoßige Verbrauchermärkte“.
Elsa Prochazkas Vision für die Stadt von morgen ist klar: Hybride nutzen, die ökonomisch und gesellschaftlich wichtig sind – wie etwa das komplett freigespielte Erdgeschoß für Gemeinschaftsprojekte im Karrée St. Marx. „Das Quartier funktioniert auch wirklich gut“, berichtet sie und spricht damit die Zufriedenheit der Bewohner an – ein weiterer Aspekt, welcher der Architektin von Bedeutung ist. Bereits zu Zeiten ihres ersten Architektenkollektivs Igirien, kurz nach dem Studium, meinte Prochazka in einem Interview, dass Architektur für sie Bauen aus Neugier am Menschen und dem, wie er leben will, sei. Zuerst abbauen, dann aufbauen, so das Credo.
Ich verfolge sehr stark die demografischen Entwicklungen, welche Bedürfnisse die Bevölkerung bei der Wohnungssuche hat“, sagt Prochazka. Womit sie wenig anfangen kann, ist das starre Raumkonzept der Zwischenkriegszeit, das auf Kleinfamilien mit Kleinkindern konzipiert ist.
Ihr geht es um alltagsgerechtes Wohnen. Das bedeutet, dass sich gleichwertige nutzungsneutrale Räume an die demografische Lebenssituation anpassen: querdurchlüftete Wohnungen, in ihrer Größe durch Zuschalten von Erkern variabel, Fahrrad- und Kinderwagenraum direkt beim Eingang, natürlich belichtete Tiefgarage und Stiegenhäuser, Gemeinschaftswaschküchen und Hobbyräume.
Ich wünsche mir für Österreich einen sorgfältigeren Umgang mit Land und Boden und dass mehr darüber nachgedacht wird, was wirklich gebraucht wird. Wir fahren teilweise eher durch Verbrauchermarkt-Alleen als durch Landschaft – das ist eine unglaubliche Zerstörung und Versiegelung.
von Elsa Prochazka
Die Wiener Architektin über ihr Anliegen, der Anzahl an Versiegelungen entgegenzuwirken. Auch in der Stadt kann es für sie höher und dichter werden.
All dies vereint der Margarete-Schütte-Lihotzky-Hof, auch unter dem Namen Frauen-Werk- Stadt I bekannt, der 1993 aus der Zusammenarbeit der Architektinnen Elsa Prochazka, Gisela Podreka, Franziska Ullmann und Liselotte Peretti entstanden ist. Hier ging es Prochazka neben der flexibleren Nutzung des Wohnraums auch darum, diesen alltagsgerecht zu gestalten: Die Küche sollte in den Wohnraum integriert werden, um die weiblichen ungeliebten Arbeiten nicht aus dem Blickfeld zu verbannen. Durch diesen Vorschlag habe sie sogar Wettbewerbe verloren, denn niemand wollte die unaufgeräumte Küche in der Wohnung haben, meint die Architektin heute.
Bei der Frauen-Werk-Stadt hat sie dann nicht nur den Küchenblock im Wohnraum integriert, sondern auch die Waschküche aus den Kellern geholt – um ihn als Gemeinschaftsort zu etablieren, der mit Glasfronten ein Gefühl von Sicherheit vermittelt. Wobei sie stets betont, dass es sich hier nicht um ein rein frauenspezifisches Bauen handelt – es gehe um Alltagstauglichkeit.
Kulturelle Vielfalt
Elsa Prochazka hat sich aber nicht nur dem Wohnbau verschrieben – dieser stellt nur einen kleinen Teil ihres architektonischen Schaffens dar. In Wien hat sie mehrere Musikergedenkstätten neu geplant und ausgerichtet, ebenso das Filmcasino, ein Bühnenbild am Volkstheater und unzählige Expositionen. „Viele Leute haben gar nicht gewusst, dass ich so viele Ausstellungen gemacht habe und nicht nur Wohnbau – und umgekehrt. Diese Welten haben kaum Querverbindungen“, sagt sie.
Es mache ihr jedoch sehr großen Spaß, in verschiedenen Welten unterwegs zu sein. Eine weitere ist die universitäre. Nach einer klassischen Architektur-Professur an der Universität Kassel konzipierte Prochzaka 2001 an der Kunstuniversität Linz die Studienrichtung „Raum- und Designstrategien“. Auch hier sind es wieder die Querkompetenzen, die Prochazka schätzt, das Out-of-the-Box-Denken, die Offenheit, die qualitativ hochwertige und kreative Architektur benötigt.
Dabei ging es in dem Studienzweig, den die Architektin zwölf Jahre lang leitete, gar nicht per se um Architektur. „Das Wesentliche für mich ist, junge Menschen zu unterstützen und herauszufinden, wo ihre Stärken liegen“, sagt sie. An ein Projekt erinnert sich die Professorin besonders gerne zurück. „Flagship Europe war ein Abenteuer“, sagt Prochazka und lacht. Gemeinsam mit den Kunststudierenden baute sie den alten Lastenkahn „Negrelli“ in ein bewohnbares Schiff um und reiste damit die Donau entlang bis zum Schwarzen Meer.
„Aufgabe war, dass die Studierenden unterwegs Projekte entwickeln, die nur in so einer Situation möglich sind“, berichtet Prochazka und bezeichnet das „Mammutprojekt“ heute als eine ihrer tollsten Reiseerfahrungen. Die Offenheit neuen Herausforderungen gegenüber sowie Freude am Tun sind bei Elsa Prochazka spürbar, wenn sie über die Projekte im Laufe ihrer Karriere spricht.
Vergangenheitsbezogen ist die Architektin und Ziviltechnikerin aber bei Weitem nicht. „Ich wünsche mir für Wien mehr Mut zur zeitgenössischen Architektur – die Stadt wird dadurch nicht schiacher“, sagt sie in ihrem Abschlussstatement beim Interview. Es scheint, als habe sie noch viele Ideen für diese Stadt in der Hinterhand.
Kommentare