Gerhard Hanappi: Ein Genie zwischen Wuchtel und Zeichenbrett
Stellen Sie sich vor, Lionel Messi würde neben seiner Tätigkeit als Fußballer Architektur studieren, nach seinem Karriere-Ende als Architekt arbeiten und ein neues Stadion für den FC Barcelona entwerfen und umsetzen. Klingt völlig verrückt, oder? Einer, der dieses Kunststück geschafft hat, ist Gerhard Hanappi. In sportlicher Hinsicht ist der österreichische Jahrhundertfußballer durchaus mit Messi vergleichbar:
93 Länderspiele, WM-Dritter mit dem Team 1954 in der Schweiz, von 1955 bis 1962 Nationalteamkapitän, Einberufung in die FIFA-Weltauswahl, Sportler des Jahres, 119 Tore für den SK Rapid Wien, acht Mal Meister, usw. Doch Hanappi war nicht nur als Fußballer eine Legende, er hat sich bereits zu Lebzeiten ein architektonisches Denkmal geschaffen. Das Weststadion, nach seinem Tod umbenannt in Gerhard-Hanappi-Stadion, entstammte seiner Zeichenfeder.
Der „Gschropp“, wie er aufgrund seiner Größe von nur 1,69 Meter genannt wurde, erblickte am 16. Februar 1929 in Wien das Licht der Welt. Nach dem frühen Tod seiner Mutter wuchs Hanappi bei seiner Tante Margarete in einem Gemeindebau in Meidling auf. Fußball war schon seit frühester Jugend Teil seines Lebens. Er war es auch, der ihm den sozialen Aufstieg ermöglichen sollte. Das Arbeiterkind absolvierte die Bundesgewerbeschule Mödling, die heutige HTL Mödling. Im Sommersemester 1948 inskribierte er aus Zeitgründen zunächst als außerordentlicher Hörer an der Architekturfakultät der Technischen Hochschule in Wien, 1950 schließlich als ordentlicher Hörer. Am 2. Juli 1957 legte Hanappi die II. Staatsprüfung aus Architektur mit „gutem Erfolg“ ab – bezeichnenderweise zwischen zwei Mitropacup-Spielen gegen MTK-Budapest (am 30.6. in Wien und am 6.7. in Budapest).
Im größeren Kontext betrachtet, verlief das Leben Hanappis in gewisser Weise parallel zur Nachkriegsepoche Österreichs, beschreibt seine Enkelin Katalin Hanappi in dem kürzlich erschienenen Buch „Gerhard Hanappi, Fußballer und Architekt“. Die österreichische Wirtschaft erlebte einen rasanten Aufschwung, so auch das Arbeiterkind aus Meidling. „Hanappi gehört der Architektengeneration nach 1945 an, die stark in der traditionalistischen Architektursprache ihren Ausdruck fand und in ihrer Architektur noch sehr zurückhaltend mit Zitaten der Moderne war“, sagt die Architekturhistorikerin Ingrid Holzschuh, die auch an dem Buchprojekt mitgewirkt hat. Gerade bei seinen Reisen zu internationalen Spielen kam Hanappi immer wieder mit moderner Architektur in Berührung. „Tradition und Moderne waren damals kein Widerspruch“, sagt Ingrid Holzschuh.
Das Spannende ist vor allem, dass Hanappi beim Weststadion nicht nur seine Erfahrung als Architekt, sondern auch die als Fußballer einbringen konnte.
Gleich nach Beendigung seines Studiums begann Hanappi neben dem Kicken seine Arbeit als Architekt im Planungsamt der Stadt Wien. Sein damaliger Chef: Roland Rainer, Schöpfer der Wiener Stadthalle. „In den 1950er-Jahren wurde ein neuer Geist entfacht. Rainer hat mit der Stadthalle die Nachkriegsmoderne nach Wien gebracht.“ Man kann davon ausgehen, dass auch Hanappi in dieser Zeit mit den Ideen Rainers konfrontiert wurde. Obwohl er nur knapp über ein Jahr dort gearbeitet hat, war es doch prägend für ihn. „Zu dieser Zeit wurde gerade das Planungskonzept für Wien entwickelt, ein großes städtebauliches Konzept“, sagt Holzschuh. Und da sich die Stadt Wien 1959 für die olympischen Spiele 1964 beworben hatte, gehörten natürlich auch die Sportstätten dazu.
1962 gründete Hanappi schließlich sein eigenes Architekturbüro. 1965 hängt Dipl.-Ing. Gerhard Hanappi nach einem Abschiedsspiel gegen den 1. FC Köln endgültig die Fußballschuhe an den Nagel, um sich nur mehr der Architektur zu widmen. In diesem Jahr baute er auch sein erstes kleines Stadion für die ÖMV in Stadlau.
Lebenswerk Weststadion
Obwohl er auch Wohnhausanlagen, Einfamilienhäuser oder auch Kegelbahnen und Tankstellen entwarf, ist sein architektonisches Meisterwerk das Weststadion. 1969 erhielt er von der Stadt Wien den Auftrag zur Planung des „Sportzentrums Wien West“, 1971 erfolgte der Baubeginn. „Das Spannende ist vor allem, dass er hier nicht nur seine Erfahrung als Architekt, sondern auch die als Fußballer einbringen konnte“, sagt Holzschuh. „Man sieht, dass sich Hanappi in den 1960ern intensiv mit der Architektur der Stadionbauten auseinandersetzte und mit der Frage, was ist architektonisch und statisch mit dem Material Stahlbeton möglich? Vor allem die schlanken Dimensionen der Tribünen-Dachträger oder die ums Eck geführte durchlaufende Tribüne sind elegant gelöst – es geht fast schon in Richtung Brutalismus“, erklärt Holzschuh. Doch das Projekt, das im Mai 1977 mit einem 1:0-Sieg Rapids gegen die Austria eröffnet wurde, hatte von Anfang an seine Mängel. Bereits bei der Ausführung wurde gespart, verworfen und umgeplant. Die Fertigstellung war für 1974 angesetzt. Schon im November 1977 musste das Stadion aufgrund eines Risses an einem Tribünenträger geschlossen und saniert werden. Erst ab 1978 wurde es durchgehend bespielt. Dennoch war das Weststadion eine sehr moderne Sportstätte, konzipiert als reines Sitzplatzstadion, für die damalige Zeit ebenso ungewöhnlich wie die eingebaute Zisterne zur Bewässerung des Rasens.
Aus dem Gerhard-Hanappi-Stadion wurde die Allianz Arena
Das Lebenswerk Hanappis, das Weststadion (im Bild im Jahre 1980), nach seinem Tod in Gerhard-Hanappi-Stadion umbenannt, wurde 2015 abgerissen. Im Juli 2016 wurde das neue Allianz-Stadion eröffnet.
Das Westtadion wurde am 10. Mai 1977 mit einem Spiel gegen die Austria eröffnet. Rapid siegte 1:0. Vor allem die schlanken Dimensionen der Tribünen-Dachträger des Weststadions sind elegant gelöst. Ins neue Allianzstadion wurde der ehemalige Flutlichtmasten des Hanappi-Stadions integriert.
Am 23. August 1980 starb Gerhard Hanappi an Lymphdrüsenkrebs. Im Oktober 1981 wurde das Stadion nach seinem Erbauer umbenannt, 2003 erfand der damalige Rapid-Trainer Josef Hickersberger den legendären Spitznamen „Sankt Hanappi“. Da er nur kurze Zeit als Architekt tätig war und es leider keinen Nachlass mit einer Werkliste gibt, ist es fast unmöglich, Hanappis Gesamtschaffen zu dokumentieren.
... Gerhard Hanappi als Fußballer alle Positionen, außer die des Tormanns spielte und in seiner gesamten Laufbahn keine einzige rote Karte bekommen hat?
... er im Winter 1950/51 für die Summe von ca. 200.000 Schilling in bar (rd. 14.500 Euro) vom FC Wacker zum SK Rapid wechselte? 1962 bot der FC Barcelona 2 Millionen Schilling für den 32-jährigen Hanappi.
... dass sein Sitznachbar und guter Freund in der Gewerbeschule Mödling der Architekt Gustav Peichl war?
Sein letztes Werk jedenfalls war eine Wohnhausanlage in der Ottakringer Liebhartsgasse, die 2016 in Gerhard-Hanappi-Hof umbenannt wurde. Da auch Sankt Hanappi bis auf einen verbliebenen Flutlichtmasten mittlerweile Geschichte ist, ist sie das letzte Zeugnis eines großartigen Fußballers und Architekten.
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