„Mitten unter diesem Gewirre und Gewühle von schreienden und jammernden Leuten erblickte ich Sie stehen, den Hut auf dem Kopfe und einen zierlichen Stock oder eigentlich ein leichtes Stäbchen, das Sie spielend drehten, in der Hand, und Sie schienen eher auf einem Maskenballe zu sein, Abenteuer erwartend.“
So erinnert sich Hermann Bahr, ein wacher Beobachter seiner Zeit, an die erste Begegnung mit Joseph Maria Olbrich 1898. Kurz vor einer Ausstellungseröffnung der k.k. Gartenbaugesellschaft soll dieser ein Ruhepol gewesen sein, der auf jede Frage Antwort und auf jede Klage Rat wusste. „Olbrich war hochgeschätzt, doch sein früher Tod und der Ausbruch des Ersten Weltkrieges wirkten wie eine Zäsur“, erklärt Regina Stephan, warum der Mann mit dem Gehstock doch in Vergessenheit geraten sollte. Die Kunst- und Architekturhistorikerin kennt Olbrichs Werk nur zu gut.
Unter anderem war sie 2010 Kuratorin einer Retrospektive auf der Mathildenhöhe in Darmstadt, die – leicht modifiziert – auch im Museum Leopold in Wien gezeigt wurde: „Unsere Intention war auch, ihn wieder in die ihm zustehende Position in der Geschichte zu bringen.“
Aufbruch
Bereits sein spektakuläres Frühwerk, das von Lorbeerblättern gekrönte Secessionsgebäude, ist eine Abkehr vom Historismus und den vertrauten Gebäudeformen. Als Schüler Carl von Hasenauers hat er zwar die prunkvolle Architektur der Ringstraße kennengelernt, aber dann sei „etwas Spannendes passiert“, wie Stephan bemerkt: „Mit seiner Abschlussarbeit sichert er sich den Rom-Preis der Akademie und damit ein Reisestipendium nach Italien.“ Dort fertigt er Zeichnungen und Aquarelle an – gut gemacht und präzise, aber ohne Leidenschaft. Aufgrund einer Planänderung findet er sich sodann im tunesischen Sidi Bou Saïd wieder – „und diese Reise wird zu einem Erweckungserlebnis“, so die Historikerin.
Joseph Maria Olbrich
geboren 22. Dezember 1867 in Troppau, gestorben 8. August 1908 in Düsseldorf
sein Schaffen steht für die Verschmelzung von Lebens- mit (modernen) Formenwelten. Er war Gründungsmitglied der Vereinigung Wiener Secession, der Darmstädter Künstlerkolonie sowie des Deutschen Werkbunds.
wichtigste Bauwerke: Secessionsgebäude sowie Villen in Wien und NÖ, Ernst-Ludwig-Haus, Hochzeitsturm sowie Wohnhäuser auf der Mathildenhöhe in Darmstadt
Innerhalb kürzester Zeit füllt Olbrich vier Skizzenbücher, die Begeisterung ist spürbar: „Er zeichnet Gebäude, die er aus Mitteleuropa nicht kennt. Die weißen, glattverputzten Kuben und flachen Dächer beeindrucken ihn ebenso wie die einfachen Kuppeln und Eingänge und die wenigen Ornamente, die nicht wie im Historismus aufgesetzt sind, sondern aus dem Material herauskommen.“
Nach der Rückkehr kommt er im Büro von Otto Wagner unter, der gerade mit seinen Visionen das imperiale Wien in die Moderne schickt. Wenig später, 1897, ist Olbrich an der Gründung der Wiener Secession beteiligt. Die Vereinigung rund um Gustav Klimt, Koloman Moser und Josef Hoffmann wird die Wiener Variante des Jugendstils weltberühmt machen.
Olbrich plant dafür das Ausstellungshaus als gebautes Manifest ihrer Ideen. Von Gleichgesinnten wird es als bahnbrechend gefeiert. Das konservative Wien hingegen, das dem allgegenwärtigen Historismus in Kunst und Architektur anhängt, kann mit dem frischen Wind, der da durch die goldfarbenen Lorbeerblätter-Kuppel weht, weniger anfangen. Schon die reduzierte, kubische Erscheinungsform wird als „Provokation nackter Wände“ gesehen.
Jeder soll machen, was er fühlt, wie er's eben fühlt – mit der Zeit wird sich's dann schon zeigen, was er wert ist!
von Architekt Joseph Maria Olbrich über den Seccessionsstil, der Wien um 1900 in Aufregung versetzt
„Für das Gebäude arbeitet sich Olbrich in seinen Entwürfen an die Motive Nordafrikas heran, an die kubische Gebäudeform in Weiß, die Flachdacharchitektur“, so Stephan. „Hinzu kommt dann die wunderbare Blätterkuppel, die zugleich ein modernes Pendant zur Barockkuppel der nahe gelegenen Karlskirche ist.“ Im rund 580 km entfernten Hessen hat auch Großherzog Ernst Ludwig eine Meinung zum Gebäude.
„Ich fühlte sofort, da ist etwas Frisches und ganz zu mir Passendes, etwas Sonniges, was ich bei allen anderen nicht spürte“, zitiert Regina Stephan aus dessen Memoiren. 1899 ruft der Großherzog die Darmstädter Künstlerkolonie ins Leben – und will dafür Olbrich haben: „Er kam sofort auf meinem Ruf, (…) wir beide fingen sofort Feuer. Dabei fühlte ich, dass dem deutschen Geist etwas mehr Leichtigkeit und Geschmack von Nöten war und dass gerade er der Richtige war“, so Ernst Ludwig. Und so fand Olbrich auf der Mathildenhöhe das Experimentierfeld, um sein Konzept des Gesamtkunstwerks zu realisieren.
Revolutionärer Ansatz
Gebäude, Innenausstattung samt Gebrauchs- und Schmuckgegenständen und Gärten sah er als Einheit. Ein völlig neuer Ansatz. Journalist Ludwig Hevesi, der auch den Spruch am Secessionsgebäude „Der Zeit ihre Kunst – der Kunst ihre Freiheit“ formulierte, beschreibt ein Olbrich-Haus als Schneckenhaus. „Er meinte damit, dass Olbrich um die Person, die darin leben würde, herumbaut, von innen nach außen“, so Stephan. „Dadurch geht etwa der Fassade die typische Symmetrie des Historismus verloren. Die Fensterformate orientieren sich nach dem Bedürfnis, nicht nach der Optik.“
Anfangs trägt die Mathildenhöhe den Einfluss des Jugendstils. Klare Formen und ein reich ornamentiertes Portal prägen etwa das gemeinschaftliche Künstleratelier. Olbrichs letztes Werk, der Hochzeitsturm von 1908, ist da anders. „Durch die raffiniert versetzen Klinker bekommt die Fassade eine lebendige Oberflächenstruktur“, so Stephan. „Olbrich entwirft Einzelbalkone und führt die Fensterbänder um die Ecke – Dinge, die später für das Bauhaus typisch sein werden.“
Innerhalb von nur zehn Jahren vollzieht er so den Schritt zum Expressionismus – und wird Wegweiser für Architekten wie Erich Mendelsohn oder Le Corbusier. Schon Zeitgenosse Frank Lloyd Wright, der Olbrichs Werk bei einer Ausstellung in St. Louis kennen lernte, war ein Fan. Es war wohl auch seine Intervention, die Olbrich Mitglied des renommierten American Institute of Architects werden ließ. „Leider ist er mit nur 40 Jahren an Leukämie gestorben. Noch am Totenbett hat er Skizzen angefertigt“, so Stephan. Der Mann mit dem Stock und den unendlichen Ideen – er hätte der Architekturwelt noch viele Abenteuer beschert.
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