Die Fehde um den Stephansdom
Himmel, war das ein Streit. Selbst mit Gottes Hilfe war da nichts zu machen. Die Zwei – Jörg Öchsl und Anton Pilgram – „konnten einfach nicht miteinander. Und das hatte einen guten Grund“, sagt Wolfgang Zehetner, Dombaumeister von St. Stephan über seine Vorgänger. Beide, sowohl Öchsl, in Quellen auch Öchsel und Öxl geschrieben, als auch Meister Pilgram, hatten diesen verantwortungsvollen Posten einst inne. Der Wiener Öchsl war vermutlich seit 1500 Dombaumeister. Eine seiner Hauptaufgaben war der Weiterbau des Nordturms. Er arbeitete auch am Baldachin über dem Martinsaltar. Und am Orgelfuß im Nordosten des Stephansdoms.
Anton Pilgram beerbte Öchsl 1511 – sowohl was den Job als auch den Orgelfuß anging. „Damit ist eine Art Balkon gemeint. Darauf hätte eine Orgel installiert werden sollen. Die Stelle war gut gewählt, denn diese Ecke ist akustisch einer der besten Plätze im Dom. Das wissen wir von unseren Fanfarenbläsern, die gelegentlich da oben spielen“, sagt Zehetner.
Als Dombaumeister seit 26 Jahren im Amt, kennt Wolfgnang Zehetner im Steffl – wirklich – jeden Stein. Und viele, schöne druckreife Geschichten dazu. Die der beiden Streithähne geht so weiter: Das Magistrat der Stadt Wien hatte Jörg Öchsl den Auftrag für den Orgelfuß entzogen. Zehetner vermutet, „dass sich die Stadt eine modernere Ausführung gewünscht hat als die von Öchsl in Angriff genommene“. Als neuer Mann für die Aufgabe wurde nun Meister Anton Pilgram aus Brünn angeheuert.
Skandal
Für den renommierten Öchsl muss das ein unheimlicher Affront gewesen sein, auch, weil dieser schon die Hälfte des Orgelfußes fertiggestellt hatte. In einer unbedachten Emotion soll er mit dem Satz „Wer das Kleine macht, soll dann auch das Große machen“ die Arbeit hingeschmissen haben. Prompt nahm der Stadtrat das zum Anlass, Öchsl auch als Dombaumeister zu kündigen. Erledigt war die Sache damit aber nicht. Die unhöflichen Beschimpfungen unter den Meistern ging weiter. Dann stellte sich auch noch die Bruderschaft der Dombauhütte geschlossen hinter Öchsl und probte den Aufstand gegen Pilgram, indem sie ihm die Übergabe der Amtsinsignien – Bücher, Kasse und Siegel – verweigerte. Die Auseinandersetzungen gipfelten in Anklagen der Bruderschaft gegen Pilgram. Skandal perfekt.
Letztlich musste Kaiser Maximilian ein Machtwort sprechen. Er entschied, dass Pilgram im Amt blieb. Der Eintrag in die Wiener Baumeistertafel, in der er als „paumeister zu St. Stephan“ 1511 aufgenommen wurde, belegt das. Doch weder die von ihm geforderte Ausweisung Öchsls aus der Stadt noch die Aushändigung der Bruderschaftsinsignien konnte Pilgram erreichen.
Neue Zeit
Möglicherweise guckt Anton Pilgram deshalb so bekümmert von der Wand unterhalb des Orgelfußes. Dort hat sich der Meister, „der offenkundig einen gewissen Selbstdarstellungsdrang hatte“, so Zehetner, in Farbe selbst verewigt. Porträts wie dieses, vermutlich ist es um 1513 entstanden, waren bis dahin unüblich „und sind ein Beleg für den erwachenden Humanismus, der vom jenseitsgewandten Obrigkeitsglauben weg nun den Menschen in den Mittelpunkt stellte“, sagt Zehetner. Hier kündigt sich also ein neuer Zeitgeist an. Das wird auch in der Formensprache des Orgelfußes mit dem Steinmetzzeichen von Pilgram im Mittelstrahl sichtbar. Das Werk wirkt einfach und klar, ist gleichzeitig aber unfassbar effektvoll.
„Der Pilgramsche Orgelfuß ist ein trotz aller steinernen Schwere entrücktes, sphärisches Gebilde in Form eines Balkons, schwebend im Raum wie ein Orgelton“, schreibt Peter Kodera in seinem charmanten Fotobüchlein über den Stephansdom und unterstreicht seine Expertise weiter: „Pilgram gestaltet die architektonische Form ornamental um. Mit ungemeiner Musikalität verwandelte er die Gewölberippen in ein geschmeidig sich verschlingendes Rippennetz und stellte das reiche Leben der Einzelformen in den Dienst großer architektonischer Wirkung. Die schmuckfrohe Spätstufe der österreichischen gotischen Architektur hatte durch Anton Pilgram ihren Höhepunkt erreicht.“
Für das Erwachen eines neuen Welt- und Menschenbildes spricht auch, dass Pilgram im Dom den Lettner entfernen ließ. „Das war eine Art Trennwand, die den Chorraum der Geistlichkeit vom übrigen Kirchenraum des Kirchenvolkes trennte. Diese Teilung war nicht mehr zeitgemäß. Die Abtragung der steinernen Barriere war ein Schritt in die Moderne“, sagt Zehetner. Dass Pilgram als Dombaumeister daran beteiligt gewesen war, kann als gegeben gelten.
Ansonsten weiß man wenig über den Brünner Baumeister und Steinmetz. Verheiratet war er mit Dorothea. In Brünn hat er ein Haus besessen. 1513 ist er der Fronleichnamsbruderschaft zu St. Stephan beigetreten. So weit die spärlichen Fakten. Auch charakterlich ist Pilgram schwer zu fassen. Die Querelen beim Amtsantritt werfen kein gutes Licht auf ihn. Wenig schmeichelhaft ist auch das Urteil des Historikers Karl Oettinger zu Pilgram, den „ein harter, rücksichtsloser, kaum mehr mit subjektivem Rechtsgefühl zu vereinender Wille, sich durchzusetzen“ auszeichnete.
Diskurs
Außer Zweifel steht, dass Pilgram ein Meister seines Faches war. Früh ging er in den schwäbischen Raum, arbeitete an der Kilianskirche Heilbronn, der Georgskirche Schwieberdingen. Dass er schon damals ein guter Selbstvermarkter war, zeigt das „Weckenmännle“ in der Lorenzkapelle Rottweil, vermutlich ein frühes Selbstporträt. Bevor er nach Wien berufen wurde, arbeitete er an der spätgotischen Kirche St. Jakob in Brünn.
Auch das extravagante Portal des dortigen Rathauses stammt von ihm. Bedenken der Urheberschaft gibt es hingegen zur Domkanzel im Stephansdom. Bisher Pilgram zugeschrieben, zumal darauf sein Steinmetzzeichen prangt, glauben Kunsthistoriker, dass die Kanzel aus der Zeit vor 1500, also weit vor dem Orgelfuß, stammt. Auch das zweite Porträt Pilgrams, unter der Kanzel, bekannt als Fenstergucker, wird diskutiert. „Ist er es oder doch nicht?“, fragen Kunsthistoriker. Der, der es wissen muss, hat das Geheimnis ins Grab mitgenommen. Anton Pilgram starb im Juli 1515 und wurde am „Stephansfreithof“ beerdigt.
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