Das sind die fünf Wohntypen der Österreicher: Welcher sind Sie?
"Wie Menschen denken und leben, so bauen und wohnen sie." Vor mehr als 200 Jahren hat der deutsche Kulturphilosoph Johann Gottfried von Herder erkannt, was heute mehr denn je zutrifft: Die Wohnverhältnisse von Menschen bringt ihre Wünsche und Charakterzüge zum Vorschein.
Harald Deinsberger-Deinsweger, Anja Aichinger und Katrin Schreiner sind Architektur- und Wohnpsychologen. Sie wissen: Grundbedürfnisse wie Natur, Ruhe und Entspannung, persönliche Entwicklung und Entfaltung, Kommunikation und Kontakt sowie Sicherheit sind universell. Das bedeutet: Jeder Mensch sehnt danach.
Wie intensiv diese Bedürfnisse in Wohnräumen ausgelebt werden, ist aber individuell anders. "Genau betrachtet ist jede Person ein eigener Wohntyp", sagt Deinsberger-Deinsweger.
Trotzdem kristallisieren sich fünf Wohnkategorien heraus: die Nestbauer, die urbanen Dorfbewohner, die Flexiblen, die Unentschlossenen und jene zwischen den Welten.
1. Die Nestbauer
Das Einfamilienhaus führt Umfragen an, wenn es um den größten Wohnwunsch der Österreicher geht. So auch in einer Raiffeisen Studie von 2018: Mehr als 50 Prozent der Befragten nannten das Einfamilienhaus als bevorzugte Wohnform. 31 Prozent davon am Land, die anderen 22 Prozent platzieren ihren Traum vom Einfamilienhaus am Stadtrand (siehe: zwischen den Welten).
Für Ingrid Pfaffinger (30) war schon immer klar: Sie will ein Haus mit Garten. Die viele Arbeit, die dieser Wunsch mitbringt, hat sie nie abgeschreckt. Im Gegenteil: "Das Haus bietet so viel Komfort, Pflege und Wartung gehören einfach dazu." Seit drei Jahren lebt sie mit ihrem Mann Klaus (34) und Tochter Nora (1) im eigens gebauten 230 Quadratmeter großen Haus auf einer Hoffläche von 5.000 Quadratmetern in Handenberg (OÖ). In der 1.313 Einwohner-Gemeinde ist sie aufgewachsen.
Damit entspricht Ingrid Pfaffinger dem "Nestbauer". Anja Aichinger ordnet sie dem traditionellen Wohntyp zu. "Bezeichnend ist eine starke Verwurzelung im Dorf."
Die Handenbergerin spielt beispielsweise bei der Musikkapelle und versucht, keine Geburtstagsfeier auszulassen. "Wir leben im Dorf mit. Für mich ist das unglaublich schön. Ich empfinde das als erweiterte Familie", sagt die 30-Jährige.
Sie hat sich bewusst für dieses Lebenskonzept entschieden. Die Wohnbedürfnisse der Nestbauer zeichnen sich auch durch Individualität und starken Naturbezug aus. "Während des Studiums in Innsbruck habe ich im Studentenwohnheim gewohnt. Das hat mich oft eingeengt", so Pfaffinger. Umso mehr schätzt sie den Freiraum, den sie jetzt hat.
2. Zwischen den Welten
Anja Aichinger weiß: "Der Wunsch, angebunden zu sein, die gut ausgebaute Infrastruktur nutzen zu können und gleichzeitig in Garten und Natur zu leben, ist für viele Menschen das Optimum." Besonders deutlich wird der Wunsch nach mehr Grünflächen in Wien: 25 Prozent wollen ein Haus am Stadtrand, weitere 21 zumindest eine Wohnung im Grüngürtel.
"Häufig sind Kinder der Grund, um an den Stadtrand zu ziehen", sagt Deinsberger-Deinsweger. Sie sollen im Grünen und mit Naturbezug aufwachsen können. "Trotzdem gibt es die Anbindung nach vorne in die Stadt", erklärt der Wohnpsychologe weiter. In die Stadt pendelt man, um zu arbeiten und Kultur zu konsumieren, während der Garten das Grünbedürfnis stillt. So war es auch bei Ursula Röck (40).
Die selbstständige Fotografin wohnt seit zwei Jahren mit ihrer Familie in Perchtoldsdorf: "Ich wollte raus und habe Interesse am Garten entwickelt." Trotzdem ist ihr die Stadt wichtig und weiterhin ihr Arbeitsmittelpunkt. "Ich brauche die Kontakte nach Wien, sonst vereinsamt man im Einfamilienhaus."
Auch soziale Kontakte im Dorf sind Röck wichtig. Als Mitglied des Elternvereins hat sie die Schul-Weihnachtsfeier fotografiert. "Das ist mein Beitrag für die Gemeinde."
3. Die Unentschlossenen
Die individuell passende Wohnform zu finden, ist auch aus gesundheitlichen Aspekten wichtig. Aichinger: "Erschöpfungszustände wie Burn-out haben Gründe. Wenn der Wohnraum nicht genug Möglichkeit zur Entspannung bietet, spielt das mit." Sie stellt die logische Frage: Wie soll man sich vom Tag erholen, wenn man in der Nacht nicht gut schläft?
Wie rasch auf Störsituationen reagiert wird, ist individuell unterschiedlich, trotzdem lässt sich auch hier ein Wohntyp erkennen. Ein wesentlicher Charakterzug der Gruppe "die Unentschlossenen" ist, dass sie Wohnungen schneller verlassen, wenn sie sich nicht wohlfühlen.
Diese Gruppe wohnt tendenziell in Miete und ist auf der Suche nach etwas Besserem. So beschreibt Harald Deinsberger-Deinsweger den Wohntyp. "Diese Menschen spüren rasch, dass etwas nicht passt, und reagieren darauf."
Es sei auch einfacher aus einer Wohnung auszuziehen, in der man nicht lange gelebt hat. Denn: Umso länger der Zeitraum, desto stärker die emotionale Bindung. Dem widerspricht Tobias Auböck. Es sei nicht die Dauer entscheidend, sondern die emotionalen Umstände, die einen Auszug einfach oder schwierig gestalten.
Der 31-jährige Oberösterreicher ist in den vergangenen vier Jahren von Innsbruck nach New Orleans und weiter nach Hamburg, konkret St. Pauli, gezogen – auch dort hat er bereits mehrmals die Wohnung gewechselt.
Selbstentfaltung und -verwirklichung sind wichtige Themen für diesen Wohntyp. Zentral sind Fragen wie: Will ich einen Wohnraum teilen oder ein eigenes Badezimmer und Küche? Wo zieht es mich überhaupt hin? "Die Suche nach den Basisbedürfnissen ist nicht auf Österreich begrenzt, sie kann sich auf die ganze Welt erstrecken", erklärt Wohnpsychologin Katrin Schreiner.
"Diese Menschen müssen sich ausprobieren, die reine Gedankenwelt genügt nicht." Das Nachbarschaftbedürfnis ist nicht vorrangig. Soziale Kontakte finden meist telefonisch oder über die Arbeit statt.
4. Urbane Dorfbewohner
Laut einer Studie der Statistik Austria leben 43 Prozent der Österreicher in Haupt- und Untermiete. 37 Prozent besitzen ein Einfamilienhaus- und 11 Prozent haben Wohnungseigentum begründet. 9 Prozent geben andere Wohnformen an. Sobald Menschen Eigentum besitzen, ziehen sie tendenziell seltener um. Der Grund dafür könnte auch darin liegen, dass im Hauseigentum jeder Person durchschnittlich 56 Quadratmeter zur Verfügung stehen.
Am wenigsten Platz haben Bewohner von Gemeindewohnungen mit 30 Quadratmetern. Ein Wohntyp, der wenig Raum durch Gemeinschaftsflächen ausgleicht, ist der "Urbane Dorfbewohner". Die Menschen wohnen in ihren eigenen Wohnungen, leben aber im ganzen Haus.
"Gemeinschaftliche Wohnprojekte vereinen das Beste aus beiden Welten", weiß Harald Deinsberger-Deinsweger. Einerseits gibt es die Anbindung an die Stadt mit all ihren Freiheiten und Angeboten und andererseits den Zusammenhalt, der in Dörfern gelebte Realität ist. Bei gemeinschaftlichen Hausprojekten wird im Kollektiv gebaut und gewohnt.
Auch Veronika Kritzer hat sich mit 64 weiteren Personen für diese Wohnform entschieden. Jeder von ihnen kann mitreden und -entscheiden, hat in den eigenen vier Wänden einen Rückzugsort und Gemeinschaftsflächen, wie Küche, Garten, Dachterrasse und Sauna.
Die Vorteile liegen für die 68-Jährige auf der Hand: "Ich habe mit 35 Quadratmetern die kleinste Wohnung, aber das ganze Haus zur Verfügung." Auch, dass Menschen jeder Altersstufe im Wohnprojekt im 2. Wiener Bezirk leben, tue ihr und allen Generationen gut. Obwohl die gebürtige Linzerin nie am Land leben wollen würde, schätzt sie den Dorfcharakter des Hauses.
Das direkte Wohnumfeld ist den Bewohnern wichtig, aber auch der private Rückzugsort essenziell. Sozialfunktionale Aspekte rücken in den Vordergrund und Verpflichtungen wie Hausarbeit oder auch Kinderbetreuung können geteilt werden.
5. Die Flexiblen
Verändernde Lebensphasen verschieben die Gewichtung der Grundbedürfnisse. "Essenziell hinterfragt werden Wohnsituationen, wenn eine Familiengründung bevorsteht." Aber auch eine Ausbildung und beruflicher Alltag prägen die Wohnform. Besonders davon betroffen ist der Wohntyp "die Flexiblen". Deren Hauptwohnsitz steht beruflich bedingt oft tage- oder sogar monatelang leer.
Diese Gruppe betrachtet sich als Individualisten. Sie sind High-Performance-Menschen, die um die Welt jetten und sich wenig in der eigenen Stadt aufhalten. So beschreibt Architektur- und Wohnpsychologin Anja Aichinger den Wohntyp, der hier als die Flexiblen bezeichnet wird. Sie sind – beruflich bedingt – viel unterwegs.
Sonja Kreibich (32) ist Schauspielerin und oft mehrere Monate im Jahr nicht in ihrer Wohnung im 19. Wiener Bezirk.
Wichtig ist ihr der Rückzugsort trotzdem. "Wenn ich zu Hause bin, freue ich mich über meine persönlichen Dinge", sagt sie. Besonders wichtig sind ihr Pflanzen und Kleidung. "Ich muss oft überlegen, was ich zu den Spielorten mitnehme. In der Wohnung habe ich eine Auswahl."
Mit ihrer Vorliebe für Pflanzen widerspricht sie allerdings dem Stereotyp der Flexiblen: Sie haben nämlich tendenziell eher keine Haustiere oder Pflanzen. Aichinger: "Die Prioritäten sind in dieser Lebensphase anders gesetzt."
Kontakt zu Nachbarn hat Sonja Kreibich nicht – und entspricht damit wiederum der Kategorie. Katrin Schreiner: "Über Höflichkeiten geht der Kontakt im Haus meist nicht hinaus." Gemeinschaft wird im Freundes- und Familienkreis gelebt, bei Hobbys oder auch unter Arbeitskollegen.
Deinsberger-Deinsweger: "Die Wahl der Wohnform ist individuell, der Rückzugsort aber gleichermaßen unverzichtbar." In diesem Sinn, bleibt die Frage: Welcher Wohntyp sind Sie?
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