Pionier in der Architektur: Was macht Vorarlberg besser?
Ein Zeitungsartikel über die Zersiedelung der Landschaft durch Einfamilienhäuser, der 1964 in der Tageszeitung Die Presse erschien, war Auslöser für ein außergewöhnliches Bauprojekt am Stadtrand von Bludenz. Fünf Familien erwarben ein Grundstück auf einem Steilhang und beauftragten den Architekten Hans Purin mit der Planung eines Wohnraums, der Grund und Boden schonen sollte.
Aus diesem Vorhaben entstand die „Siedlung Halde“, die als Schlüsselwerk der Vorarlberger Architektur gilt und in ihrem Anliegen bis heute nichts an Aktualität eingebüßt hat.
Derzeit ist die Siedlung mit einer Reihe anderer historischer und aktueller Bauten in der Ausstellung „Vorarlberg – ein Generationendialog“ im Architektur Zentrum Wien (AzW) zu sehen. Gilt doch seit den 60er Jahren Vorarlberg als Pionier in der Baukultur. Das internationale Magazin Wallpaper bezeichnete das Ländle im Jahr 2000 sogar als „den progressivsten Teil des Planeten in Sachen neue Architektur“. Doch gilt das noch immer? Und hat Vorarlberg Probleme wie Bodenverbrauch und Zersiedelung besser im Griff als der Rest Österreichs?
In der Siedlung Halde ist 1964 etwas gelungen, das auch heute vielen Architekten ein Anliegen ist: sie ist dicht gebaut, doch die Wohnqualität ist sehr hoch. Sie besteht aus drei mehrgeschoßigen, nebeneinander errichteten Häusern in Holzbauweise. Die Grundrisse sind auf ein Minimum an Quadratmeter reduziert – dafür sind die Wohngeschoße loftartig mit großen Glasfronten und bieten einen Ausblick übers ganze Tal. „Die Siedlung Halde bietet mehr Qualität als die meisten Einfamilienhäuser“, so die Architektin Bettina Götz, die selbst dort aufwuchs. „Das Haus hat mich geprägt. Die architektonische Qualität ist dermaßen eigen, dass man es nicht vergisst.“
Verdichteter Flachbau galt als Ideal
Doch wie kamen solche Ideen damals überhaupt ins Ländle? Da es in Vorarlberg keine Hochschule gibt, studierten die meisten Architekten der älteren Generation in Graz oder Wien. Viele waren Schüler von Roland Rainer, der die Ideen des verdichteten Flachbaus an der Akademie der bildenden Künste predigte. Auch Hans Purin war dessen Schüler und später eine zentrale Figur der „Vorarlberger Baukünstler“. Die Gruppe setzte sich dafür ein, mit moderner Holzarchitektur einen Kontrapunkt zur Provinzialität der Nachkriegsära zu setzen.
Siedlung Ruhwiesen, Schlins, 1973
Die Siedlung war die erste Österreichs, die von einer Eigentümergemeinschaft mit hohem Selbstbauanteil realisiert wurde. Geplant wurde sie von Rudolf Wäger
Siedlung an der Ach, Bregenz, 1982
Bis heute ist die Ach-Siedlung in idyllischer Lage am Bach mit 839 Wohnungen eine der größten Wohnbauten des Ländles. Architekt war unter anderen Gunter Wratzfeld
Die Architekten der älteren Generation wurden deshalb vor allem mit dem verdichteten Flachbau berührt. Neben Halde sind weitere Beispiele etwa die Siedlung an der Ach von Gunter Wratzfeld und die Siedlung Ruhwiesen von Rudolf Wäger. Viele jüngere Planer knüpfen an die Pionier-Arbeit an, wenngleich die Rahmenbedingen heute anders sind.
Islamischer Friedhof, Altach, 2012, geplant von Architekt Bernardo Bader
Vorarlberg Museum, Bregenz, 2013, entworfen von Cukrowicz Nachbaur Architekten
Eine dieser Architektinnen ist Bettina Götz. 2009 entwarf sie mit Richard Manahl (Artec Architekten) die viel beachtete Wohnhausanlage „Die Bremer Stadtmusikanten“ in Wien-Donaustadt. Das Gebäude funktioniert wie ein Terrassenbau aus gestapelten Einfamilienhäusern mit vier verschiedenen Wohntypologien. Insgesamt gibt es 100 zweigeschoßige Wohneinheiten mit rund 20 Grundrissvarianten. Die Dachterrasse ist begrünt und bietet ein Swimmingpool für die Bewohner.
In Vorarlberg selbst hat sich in den vergangenen Jahrzehnten allerdings eine andere Typologie durchgesetzt: das Einfamilienhaus. „Die Architekten der 1960er bis 1980er Jahre waren viel weiter als wir. Wir bauen heute keine Siedlungen mehr, sondern hauptsächlich Einfamilienhäuser“, stellt Architekt Matthias Hein fest, der sich mit Bildungsbauten wie dem Kinderhaus Kennelbach einen Namen gemacht hat.
„Schaffa, schaffa, Hüsle baua“ galt lange Zeit als Motto für die Bevölkerung. Mittlerweile ist beispielsweise das Rheintal eine der dynamischsten Agglomerationen Europas geworden und nach Wien und Graz der am dichtesten besiedelte Ballungsraum Österreichs mit entsprechend hohen Immobilienpreisen. Damit einher ging ein rasanter Verbrauch an Grünflächen. Und finanzierbare Grundstücke sind Mangelware geworden. „Die Zersiedelung ist typisch in ganz Österreich, auch in Vorarlberg findet dieses Phänomen statt“, sagt Angelika Fitz, Direktorin des AzW. „Allerdings ist in Vorarlberg das Problembewusstsein höher als anderswo.“
Im März 2019 trat etwa eine Baurechtsnovelle in Kraft, die dafür sorgen soll, dass die Ränder der Gemeinden nicht durch einen Einfamilienhausgürtel zusammenwachsen und gewidmetes Bauland aktiviert wird. Außerdem sehen sich viele Gemeinden bei ihren Bauvorhaben in einer Vorbild-Funktion. „Den Vorarlbergern kommt zugute, dass sie sehr ehrgeizig sind. Wenn eine Gemeinde ein gelungenes Bauprojekt realisiert hat, möchte die Nachbargemeinde es noch übertreffen“, sagt Architekt Matthias Hein, „es gibt ein gewisses Konkurrenzdenken – im positiven Sinn.“
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